Die Grotte des Kini

Heute vor 139 Jahren, am 14 Juni 1886, ertrank König Ludwig II. von Bayern auf ungeklärte Weise im Starnberger See. Schon wenige Tage später wurden seine Prachtbauten für gewöhnliche Besucher geöffnet. Für ungläubiges Staunen sorgte dabei die „Wundergrotte“, die sich der „Kini” im Park von Schloss Linderhof hatte erbauen lassen: eine künstliche Höhle mit einem Höhlensee, darauf ein Muschelboot als Requisite für den Tannhäuser aus Richard Wagners gleichnamiger Oper. In diesem einzigartigen Theater gab es nur einen einzigen Zuschauer, nämlich den König selbst. Sein Platz war oben auf dem Pfauenthron, zu dem einige Stufen hinaufführen.

Die Führungen in der nunmehr wieder zugänglichen Grotte beginnen um 9 Uhr und dann alle 20 Minuten. Ob man es in die erste Guppe des Tages schafft, hängt natürlich von der Situation an der Kasse ab: hatte man Pech und eine Reiseleiterin mit einer Tasche voller Bargeld vor sich, reicht die verbliebene Zeit nicht mehr aus, um noch die erste Führung des Tages zu erreichen, denn zur Grotte heißt es ein Stück weit bergan zu laufen, eine Viertelstunde etwa, je nach Kondition. Wie man uns oben sagt, hat heute kein einziger Besucher die Herausforderung bewältigt, an ein Zeitfensterticket schon für 9 Uhr zu kommen, um vor den ersten Reisegruppen an den Gestaden des Grottenmeeres zu stehen und aus verborgenen Lautsprechern Richard Wagners zauberhaften Klängen zu lauschen, während sich zugleich blaues, von der gleichnamigen Grotte auf Capri inspiriertes Licht über die Szenerie ergießt.

Die Wundergrotte, deren Steintür sich jetzt wieder hinter uns schließt, ist aber nicht das einzige faszinierende Bauwerk hier oben. Nur einige Schritte entfernt steht auf einer Terrasse mit malerischer Aussicht der Maurische Kiosk, dessen Inneres durch die bunten Glasfenster in zauberhaftes Licht getaucht erscheint. Ganz hinten schlagen drei kristallene Pfauen ihr farbenprächtiges Rad. Natürlich darf kein Besucher dort hinein, aber die bodentiefen Glasfenster gewähren einen ausreichenden Einblick.

Der Weg hinab zum Königsschlößchen führt über den offenen grünen Musikpavillon und dann durch einen herrlichen Laubengang. Eigentlich sind es sogar deren zwei, einer links und einer rechts der Wasserkaskade. Unten angekommen heißt es, sich in die richtige Warteschlange für die Schlossführung einzureihen. Zum Glück ist unsere Schlange nur genau zwei Personen lang, nämlich wir beide, und erst kurz bevor es losgeht, kommen noch eine Handvoll weitere hinzu. Drinnen geht es im Uhrzeigersinn durch die verschiedenen Räume, das königliche Schlafzimmer liegt nach hinten hinaus und der Speisesaal mit dem berühmten Tischlein-deck-dich an der Ostseite. Hatten wir nicht vorhin schon einen dieser schönen Porzellanpfauen? Richtig, es gibt nämlich zwei davon, und immer wenn der König anwesend war, standen sie draußen vor der Tür.

Die große Wasserfontäne im Schlossteich wird immer nur für kurze Zeit in Betrieb genommen, wahrscheinlich reicht der Wasserdruck nicht für Dauerbetrieb. Punkt 11 Uhr baut sich der gischtende Strahl auf und verbreitet angenehme Kühle, denn heute ist ein sonniger und warmer Frühsommertag.

Der Schlosspark hat abseits der verspielten neubarocken Wasserkunst noch viel mehr zu bieten, vorausgesetzt man ist einigermaßen gut zu Fuß und scheut auch nicht den langen Weg bis hinunter zum Verbotenen Tor ganz am Ende des Parks, denn dort in der Nähe steht die Hundinghütte. Es ist nicht mehr dieselbe wir zu König Ludwigs Zeiten und steht auch nicht mehr am ursprünglichen Platz, denn das Original war dort 1945 abgebrannt, und die Rekonstruktion ist aus diversen Gründen hier im Schlosspark besser aufgehoben. Damit sie nicht dasselbe Schicksal erneut ereilt, hat die Schlösserverwaltung einen Aufpasser abkommandiert. Ob wir Wagnerianer seien, versucht der sympathische Baum- und Schwerthüter unser Vorwissen zu testen, während ich ihm zugleich seinen Arbeitsplatz neide, denn es ist ein sehr angenehmer und verträumter Ort, der mit seinem Waldweiher zum Verweilen und Philosophieren einlädt, wie es dazumal wohl auch der Märchenkönig ausgiebig praktiziert hat. Der Baum freilich, um den die Hütte herum konstruiert ist, will mir ein wenig exotisch erscheinen, denn eine Buche trägt für gewöhnlich kein Eschenlaub.

Vorbei an Gurnemanz’ Einsiedelei wenden wir uns nun wieder dem westlichen Parkteil zu, wobei wir uns zum Glück für den Weg über die Hügel entscheiden, denn der ist mit Tafeln garniert, welche die geplanten, aber nicht realisierten Parkbauten erläutern. Auch der marmorne Pavillon am Endpunkt des Weges war eigentlich als Platzhalter für den Theaterbau gedacht, der hier entstehen sollte: im schlosswärtigen Hang sind noch die heute grasbewachsenen Rampen für die Pferdekutschen erkennbar, und der Blick von hier oben auf das Königsschlößchen ist so märchenhaft, dass man, hätte man an einen Rucksack mit Verpflegung gedacht, durchaus länger hier verweilen könnte und möchte. Letztlich gewinnt aber die Sehnsucht nach einem schattigen Biergarten die Oberhand, und nach einer kurzen Visite im Raum, der direkt neben den Kassenschaltern die Sanierung der Venusgrotte dokumentiert, schlägt das entsprechend instruierte Navi vor, sich nach Oberammergau zu wenden. Den dortigen Biergarten gibt es zwar, leider aber heute ohne Bewirtung. Immerhin versorgt uns aber der nebenan gelegene Supermarkt mit dem nötigsten: Wurst, Brötchen und Bierdosen. Wenn wir jetzt noch einen hübschen schattigen Parkplatz fänden? Im Idealfall, bevor wir die Autobahn erreichen? Letztlich wird es, rund eine Stunde später, aber dann doch der vertraute Stellplatz hinter dem Hotel.

Category: Allgemein, Ausflüge
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