Mit Sisi durch die Unterwelt

Was wäre ein Besuch in Wien ohne eine Begegnung mit der berühmten „Sisi”, wie sie heute jeder nennen darf, auch wenn er nicht wie damals zum engsten Familienkreis gehört? Eine ganz neue Art, die liebreizende junge Kaiserin aus der Nähe kennenzulernen, ist die virtuelle Bootsfahrt, wie sie vom „Sisi Amazing Journey” in der Habsburgergasse angeboten wird.

Die Fahrplanauskunft der Wiener Linien sollte man allerdings besser nicht befragen, wie man vom Hotel aus dort hingelangt. Denn anstelle des Linienbusses, der seine Haltestelle direkt an der Oper hat und auch, kaum dass man dort aus der D ausgestiegen ist, auch schon angefahren kommt, schlägt sie einen viertelstündigen Fußmarsch vor. Ob man nun läuft oder fährt, ist letztlich aber egal, denn das gebuchte Zeitfenster ist ja in beiden Fällen dasselbe.

Die Tour beginnt mit einem Einführungsfilm, dann wird die kleine Gruppe zu einem Raum geleitet, in dessen Mitte ein hölzernes Boot steht, mit Sitzbänken, über denen für jeden Passagier ein VR-Headset baumelt. Man nimmt also Platz, setzt die Taucherbrille auf – und findet sich wenige Augenblicke später zwar in demselben Boot, jedoch in völlig veränderter Umgebung wieder. Zudem scheint der Bootsrumpf auf dem Wasser zu schaukeln, während eine sympathische Gestalt, die sich als Kaiserin Elisabeth vorstellt, im Bug Platz nimmt und auf eine gewinnend herzliche Art, die sicherlich auch der echten Kaiserin zu eigen war, Boot und Passagier – die Mitreisenden sind offenbar unsichtbar geworden oder sitzen woanders – durch die Wiener Unterwelten geleitet, wobei auch schon einmal falsch abgebogen wird. Welche Folgen das für den weiteren Verlauf der Tour hat, sei hier nicht verraten, nur so viel: der Bootsrumpf rüttelt und schwankt, und der Fahrtwind bläst einem ins Gesicht, als flöge man wirklich hinein ins Schloss und bis hinauf in den Schönbrunner Himmel.

Mit ähnlichen Elementen wartet auch die Time Travel Tour auf, die ihr Domizil auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat. Am Ende der langen, in die Tiefe führenden Treppe führen animierte Gemälde von Mozart, Sisi, einem Mönch, Maria Theresia und Sigmund Freud ein lockeres Gespräch quasi von Rahmen zu Rahmen, ehe auch hier die reale Welt hinter einer VR-generierten zurücktritt, in der die Besucher zudem auf ihren Sitzen ordentlich durchgeschüttelt werden. Und was man nicht alles zu sehen bekommt: die Pest, den Bau des Stephansdoms, die gewaltigen Stadtbefestigungen, die Belagerung durch die Türken: die Wiener Kaffeehauskultur soll aus dieser Zeit stammen. Wieder zurück in der realen Welt, gelangt man an einigen prominenten und durchaus gesprächigen Habsburgern vorbei in eine Grube mit Pesttoten wie jene, in der ein gewisser Bänkelsänger Augustin aus seinem Rausch erwacht sein soll, bevor sich im Anschluß die Welt der Wiener Malerei und natürlich der Wiener Musik für einen öffnet. Zur Geschichte Wiens gehört aber auch der Anschluß an das Deutsche Reich und der Bombenkrieg, vermittelt durch den Aufenthalt in einem düsteren Luftschutzkeller, dessen Boden spürbar unter den Explosionen erzittert, so dass man am Ende beklemmter wieder hinausgeht als man hereingekommen ist. Am Ende der Tour erwärmt, nun wieder per Brille dreidimensional, eine magische Fiakerfahrt das Herz des Besuchers, während zugleich echter Schnee vom Himmel rieselt. Aha, es hat jemand die Schneekugel geschüttelt.

Zweifellos zählt Johann Strauss zu den herausragendsten Persönlichkeiten Österreichs, aber es fallen einem auch noch viele andere Namen ein. So war etwa Marie Antoinette, als Ehefrau Ludwigs XVI. Königin der Franzosen, eine Wienerin. Auch der Judenretter Oskar Schindler wurde, obschon das mährische Zwittau heute als Svitavy zu Tschechien gehört, in Österreich geboren. Und „Governator” Arnold Schwarzenegger natürlich sowieso. Im Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud im Wiener Prater sind sie alle versammelt, zusammen mit Größen aus Musikgeschichte und Unterhaltungsbranche wie Haydn, Mozart und der Wahl-Wiener Beethoven, aber auch Herbert von Karajan, Udo Jürgens, Andreas Gaballier sowie natürlich der unvergessene Peter Alexander. Und dann wäre da auch noch unsere geliebte „Sisi”, ihres Zeichens Kaiserin von Österreich und später eine Paraderolle für Romy Schneider, die – anders als ihr historisches Vorbild – eine echte Wienerin war.

Übrigens hat das VR-Zeitalter auch im Madame Tussauds Einzug gehalten: wer will, stürzt sich per Brille die virtuelle Berg-Isel-Schanze hinab oder nimmt, weit weniger exponiert, neben „Bergdoktor” Hans Sigl auf dem Beifahrersitz seines Mercedes Platz.

Drei Tage und zwei Nächte sind natürlich viel zu kurz, um Wien „in Strauss und Braus” wirklich auszukosten, aber es war immerhin ein Anfang, und das Jahr ist ja noch jung. Die Heimreise per ICE verläuft wie die Hinfahrt, nur in umgekehrter Reihenfolge: sowie der Zug deutsche Schienen unter den Rädern verspürt, wechselt er in den Pannenmodus. Aber das kennt man ja und kann es, die herrliche Musik von Johann Strauss noch im Ohr, entspannt über sich ergehen lassen.

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Strauss immersiv

Erst vor ein paar Wochen ist Wien um ein wichtiges Museum reicher geworden. Die Rede ist vom Johann-Strauss-Museum, untergebracht in einem schönen alten Gebäude am Karlsplatz. Derzeit besteht die Fassade allerdings aus bedruckten Stoffbahnen, hinter denen ein Gerüst um das ganze Gebäude herumreicht.

Obschon sich die Ausstellung inhaltlich so umfassend mit dem Leben und Werk des bekannten Komponisten befaßt, wie es sich eben für ein biographisches Museum gehört, ist hier nichts so, wie man es von anderswo kennt: es gibt weder Vitrinen noch Lesetexte, nicht als kleine Täfelchen und erst recht nicht in wandfüllenden Dimensionen. Alles, was dieses Museum zu erzählen hat, wird vielmehr automatisch in die am Eingang ausgegebenen Kopfhörer eingespielt, so bald man den Raum oder den Bereich vor dem Exponat betritt. Gegen versehentliches Verlassen des aktiven Abschnitts helfen Bodenmarkierungen, gegen versehentliches Stehenbleiben, weil einen die eingespielte Musik gerade so beschwingt, eigentlich nur ein Walzerschritt oder auch deren zwei. Und so gerät der Museumsbesuch über das intellektuelle Erlebnis hinaus vor allem auch zu einem akustischen.

Das gilt speziell auch für die Operettengasse mit darin eingeblendeten Vorstellungen der „Fledermaus”, des „Zigeunerbaron” oder auch des „Wiener Blut” – jene Zusammenstellung bekannter Strauss-Melodien, die der 73-jährige zwar noch autorisiert hatte, deren Uraufführung er jedoch nicht mehr erlebte. Schade nur, dass an dieser Stelle nicht der zum Bild passende Ton in die Kopfhörer eingespielt wird, sondern eine andere Stelle aus derselben Operette, was auf den Verfasser ein wenig irritierend wirkt.

Höhepunkt des Museums ist zweifellos der Immersivraum ganz am Ende des Rundgangs: hier werden alle vier Wände raumhoch mit rechnergestützten Projektionen bespielt, die auf diverse Lebensaspekte und Werke Bezug nehmen. Der konsequente Einbezug der Kopfhörer auch in diesem Bereich erlaubt zudem eine an den Standort des Betrachters angepaßte Zuspielung: erklingt in Raummitte noch das ganze Orchester, wird beim näheren Herantreten an eine Geige, ein Cello oder eine Klarinette der Ton selektiv auf eben dieses Instrument fokussiert. Nach demselben Prinzip läßt sich wenig später auch in Erfahrung bringen, was die Frauen, die in Strauss’ Leben eine Rolle spielten, zu sagen haben. Wer aber in diesem letzten Raum des Johann-Strauss-Museums einfach nur seine Musik im visuell anregenden Ambiente des Immersivkinos genießen will, braucht einfach nur auf die betreffende Passage zu warten. Es lebe der Donauwalzer!

Geht man vom Museum kommend die Operngasse hinauf und läßt hinter der Staatsoper die Albertina links liegen, steht man schon bald vor dem Wiener Theatermuseum mit seiner Sonderausstellung über Johann Strauss, die hier noch bis Mitte Juni 2025 zu sehen sein wird. Hierfür hat das im prachtvollen Palais Lobkowitz untergekommene Haus eigens seine Dauerausstellung teilweise ausquartiert, um Platz zu schaffen für die Fledermaus samt Original-Partitur, die – obschon eher unauffällig – eines der Highlights darstellt.

Natürlich geht es auch hier um das Leben und Werk des Wiener Operettenkönigs, aber auch um den Walzer an sich, dessen Grundschritt ein kleines Schulungsvideo vermittelt. Thematisiert werden auch die jährlich aus dem Musikvereinssaal weltweit übertragenen Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker. Aber wer hat eigentlich die animierten Schaubilder für die diversen Orchesterbesetzungen entworfen, deren jeweils gezeigte Handhabung der Instrumente einem jeden Musiker die Haare zu Berge stehen läßt?

Vor dem Verlassen des Museums sei noch rasch ein Blick in die Sammlung Richard Techner mit den schönen asiatischen Stabpuppen geworfen, dann neigt sich die Aufnahmefähigkeit des Verfassers allmählich dem roten Bereich entgegen. Vielleicht noch ein kurzer Blick in den Stephansdom? Der ja sehr verkehrsgünstig liegt, da sich unter dem zugehörigen Platz die beiden wichtigsten U-Bahn-Linien kreuzen?

Wohin geht man in Wien, wenn man trotz aller Begeisterung für den Walzerkönig auch einmal etwas anderes sehen und hören möchte? Nun, die Wiener Bühnen bespielen nicht weniger als drei Spielstätten, von denen das Raimund-Theater derzeit eines der berühmtesten Musicals auf dem Spielplan hat, nämlich das „Phantom der Oper” in der deutsch gesungenen originalen Fassung von Andrew Lloyd Webber.

Abgesehen von ein paar Sitzen „mit Sichteinschränkung” hat das Raimund nur gute und sehr gute Plätze. Zum Glück versperrt die Säule vor dem ersten Platz der Reihe 8 ob ihrer Schlankheit die Bühne nicht wesentlich. Als noch glücklicher erweist sich jedoch der Umstand, dass trotz ausverkauftem Haus die Reihe 7 bei Vorstellungsbeginn fast vollkommen leer geblieben ist: da dürfte wohl eine geschlossene Gruppe irgendwo hängen geblieben sein. Und so beginnt, kaum dass die Saaltüren ins Schloss gefallen sind, ein großes Aufrücken mit dem Ziel der eigenen Lageverbesserung. Leider währt dieses Glück nicht lange, denn schon beim ersten Applaus nähert sich von links der Kegel einer Taschenlampe, gefolgt von einer Saaldienerin mit den Vermißten im Schlepptau. Am Ende sitzen dann alle wieder auf dem Platz, der auf ihrem Ticket steht.

Die nun folgende, wirklich großartige Vorstellung hat nicht nur ein raffiniert wandlungsfähiges Bühnenbild zu bieten, sondern auch einiges an Überraschungen, Stichwort Kronleuchter. Mehr sei hier aber nicht verraten, nur eines noch: man ist schneller und bequemer wieder zuhause, wenn man an der Haltestelle Mariahilfer Gürtel der Linie 18 aus- und auch wieder einsteigt statt wie empfohlen an der Gumpendorfer Straße. Warum? Weil man dort, wo dann die Massen zusteigen, bereits im Wagen ist.

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Johann Strauss, der Jubilar

Es gilt einen Geburtstag zu feiern. Der Jubilar heißt Johann Strauss und wurde am 25. Oktober 1825 in Wien geboren. Bis zum eigentlichen Festtag sind es zwar noch 10 Monate hin, aber eine für Wien und die ganze Welt so bedeutende Musiklegende wie der „Walzerkönig” verdient es doch, ein ganzes Jahr lang mit Aufführungen seiner Werke und Ausstellungen zu seinem Leben geehrt zu werden. Und so packen auch wir Abendrobe, Konzertkarten und Stadtplan in seinen Koffer und vertrauen uns dem Reiseunternehmen Ameropa an, das uns wunschgemäß ein Paket aus Bahnfahrt und Hotelaufenthalt geschnürt hat, ersteres sogar mit Platzreservierung im ICE.

Die Fahrt verläuft so, wie man es von der Deutschen Bahn kennt und erwartet. Ab Passau ändert sich nicht nur das Kolorit der Durchsagen, sondern es kommt auch der unermüdlich wiederholte Hinweis hinzu, die 20-minütige Verspätung sei von der DB übernommen worden.

Zum B&B Hotel Wien Hauptbahnhof sind es ein paar mehr Schritte als erwartet, was aber auch dem regnerischen Wetter und dem Streusplitt auf dem Gehweg geschuldet sein kann. Es ist eine sehr angenehme Unterkunft, und wenn man erst einmal herausgefunden hat, dass über die Straßenbahnlinie D eine gute und häufig bediente Verbindung zu allen für diese Reise relevanten Zielen besteht, fühlen wir uns hier den eigenen Ansprüchen gemäß bestens aufgehoben.

Der Tag ist noch jung und das erste Ziel nur ein paar Stationen von der Haltestelle Alfred-Adler-Straße entfernt, mit Umsteigen am Quartier Belvedere und Ausstieg mitten in St. Marx, also jenem Stadtteil, wo sich auch der Friedhof mit dem Mozartgrab befindet. Aktuell interessiert hier aber die immersive Show, die zur Zeit in der Marx-Halle gastiert, und die sich um die vom Vesuv im Jahr 79 verschüttete und im 18. Jahrhundert wiederentdeckte römische Provinzstadt Pompeji dreht. Der Begriff „immersiv“ bedeutet, dass die Besucher in die virtuelle Welt quasi eintauchen und die reale Umgebung dabei in den Hintergrund tritt. In der Marx-Halle passiert das, nachdem man den kleinen konventionellen Ausstellungsteil hinter sich gelassen hat, auf dreierlei Art: mit übergezogener VR-Brille auf einem Stuhl sitzend, in einem Saal die Rundum-Projektion betrachtend und schließlich, ausgestattet mit einem kabellosen VR-Headset, eine virtuelle römische Villa durchstreifend, als handle es sich dabei um eine ganz gewöhnliche Führung. Es muss von außen ein lustiger Anblick sein, eine Handvoll Menschen mit einer Art Taucherbrille auf dem Kopf aufmerksam in einem leeren Raum umherwandern zu sehen.

Das Erlebnis ist so perfekt, dass man durchaus auf die Idee kommen könnte, am Hausaltar nach den Äpfeln in der Opferschale zu greifen. Es wäre jedoch ein Griff ins Leere. Auch der Versuch, sich zum genußvolleren Betrachten des Gartens ein wenig über die Balustrade zu lehnen, endet in einem dezenten visuellen Hinweis auf die hier verlaufende Grenze der virtuellen Welt. Die hoch aufragende Marmorstatue im Eingangshof von allen Seiten zu betrachten ist jedoch problemlos möglich, man muss dabei nur aufpassen, nicht mit den Porträtbüsten zusammenzustoßen, die um einen herumschweben und dabei mal nach links, dann wieder nach rechts oder nach oben schauen, während sie sich auf die nächste Tür zubewegen: das sind nämlich die anderen Besucher im Raum. Und man sollte sich vor dem Nichts retten, das nach ein paar Minuten Wände und Objekte in Schemen verwandelt als Aufforderung, sich in den nächsten Abschnitt der Villa zu begeben, ganz als folgte man einer unsichtbaren Reiseleiterin.

Im letzten Raum verneigen sich alle noch einmal würdevoll. Nein, nicht wirklich, sie nehmen nur ihre Headsets ab und halten sie noch ein paar Sekunden lang in den Händen. Einen Augenblick später steht man, es ihnen gleich tuend, wieder in der realen Welt, wo sich nun auch ein gewisses Hungergefühl einstellt. Zum Glück passiert die Straßenbahnlinie 18 auf ihrem Weg durch den Süden Wiens auch den schönen neuen Hauptbahnhof, wo es Imbisse in Hülle und Fülle gibt.

Der heutige Abend steht ganz und gar im Zeichen des Komponisten, dessen 200sten Geburtstag wir heuer feiern. Seine Operette „Das Spitzentuch der Königin“ wird zwar auf den Bühnen der Welt kaum noch gegeben, heute aber eben doch, und zwar auf derselben Bühne, die 1880 auch schon die Uraufführung erlebt hat: das Theater an der Wien.

Die ehrenwerte, jedoch frisch renovierte Spielstätte steht zwar seit 1801 an derselben Stelle, allein vom namengebenden Flüßchen ist hier längst nichts mehr zu sehen, es ist zugunsten des Naschmarktes quasi in den Untergrund gegangen. Ähnliches können, so sie denn ortskundig sind, auch die Besucher tun, die an der Haltestelle Oper der Linie D aus der Straßenbahn steigen. Von dort gibt es nämlich eine unterirdische Passage zunächst zum Karlsplatz und dann weiter zum Ausgang beim Secessionsgebäude. Wenn man ihn denn findet. Kommt man hingegen anderenorts wieder an die Oberfläche, ist der Weg etwas weiter. In Wien baut man eben gerne unübersichtlich, was auch schon bei der Planung der etwas verwinkelten Bühne in der linken Wienzeile 6 so gewesen sein muss.

In jedem Theater gibt es gute uns schlechte Plätze. Und eine Proszeniumsloge. Je nach Reihe und Platz sitzt man dort entweder zwei Armlängen vom Bühnenparkett entfernt und hat zugleich einen schönen Blick auf Orchester und Dirigent, oder aber der Bühnenblick reicht gerade einmal so weit, dass der Vorhang während der Vorstellung genauso gut geschlossen bleiben könnte. Zum Glück erlauben die verrückbaren Stühle jedoch eine gewisse Optimierung, so dass die prächtig kostümierten Darsteller dann doch die meiste Zeit über im Sichtbereich verweilen. Bei einer Operette steht ja ohnehin die Musik im Mittelpunkt, vor allem, wenn ein Johann Strauss sie komponiert hat. Denn obschon das Bühnenwerk heute nur wenigen bekannt ist, stecken viele wohlbekannte Melodien darin, insbesondere der ohrwurmträchtige Walzer „Rosen aus dem Süden“ (wo die wilde Rose erblüht, hin es mich zieht…).

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Besser als ihr Ruf

Auf den Regionalverkehr bezogen ist die Deutsche Bahn besser als ihr Ruf. Man sitzt zwar immer, wenn es heißt „der Anschluß wird vsl. nicht erreicht”, eine Zeit lang wie auf Kohlen, aber im letzten Moment kommt in der Regel dann doch die Durchsage, dass der Anschlusszug auf die umsteigenden Fahrgäste warten wird. Ein weiteres Loblied sei an dieser Stelle auch auf das Deutschlandticket gesungen: für den Preis eines Einzelfahrscheins nach Berlin und zurück läßt es sich damit rund drei Monate lang entspannt quer durch ganz Deutschland reisen, und den Nahverkehr am Zielort gibt es noch obendrauf.

Ein einigermaßen glückliches Händchen hatten wir auch bei der Wahl unseres Hotels. Zwar war es immer ein wenig schwierig, ans hintere Bett und ans Fenster zu kommen, dafür hatten wir aber ein gutes Frühstück, und es war alles sehr sauber. Unsere Ziele in Berlin konnten wir zudem leicht mit dem Bus oder der U-Bahn erreichen, da beide Haltestellen nur ein paar Schritte vom Motel Blue entfernt liegen. Eine dieser Nahverkehrsverbindungen, nämlich die U3 mit anschließender S-Bahn-Ringlinie bringt uns nun heute samt Koffern zum Umsteigeknoten Berlin-Südkreuz, wo wir dank üppiger Zeitreserve schon so früh eintreffen, dass wir einen anderen Zug nach Elsterwerda nehmen können als den ursprünglich geplanten. Das verkürzt zwar nicht unsere Gesamtreisezeit, jedoch ist die Regionalbahn über Zossen, Baruth, Luckau und Doberlug deutlich weniger frequentiert als die Flughafenstrecke. Und so nimmt auch niemand Anstoß daran, dass wir mit unseren Koffern ein ganzes Viererabteil belegen, denn eine Ablage gibt es hier nicht.

Das ändert sich erst im Zug nach Chemnitz, wo nun auch fröhliches Kinderspiel das Abteil erfüllt: es sind nur zwei, aber sie könnten es an Lautstärke mit jedem Kindergarten aufnehmen. Und natürlich steigen sie genau wie wir am Chemnitzer Hauptbahnhof in den Zug nach Hof um. Eile ist dieses Mal übrigens nicht geboten, sehr wohl aber beginnt irgendwo zwischen Sachsen und Bayern wieder das bekannte Spielchen: erreichen wir den Anschlusszug nach Nürnberg, oder erreichen wir ihn nicht? Wahrscheinlich wiegt der hundertfache Ärger über einen unfreiwilligen einstündigen Aufenthalt am zugigen Bahnsteig dann doch mehr als der ebenso hundertfache über ein paar Minuten Verspätung bei der Abfahrt. Mit anderen Worten: der Anschluss wartet. Und holt die Verzögerung dann entlang der Pegnitzstrecke wieder auf. Denn die hat Gefälle.

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Zauberhaftes

Zur Alten Nationalgalerie kommt man am besten, indem man am Bahnhof „Hackescher Markt“ aus der S-Bahn steigt statt mit der U5 zur Museumsinsel fährt. Da ich nur kurz Spitzweg und Segantini sehen will, wartet die Liebste unten auf mich, bevor wir zum Magicum weitergehen. Dieses zauberhafte private Museum über Magie befindet sich ebenfalls in fußläufiger Entfernung zum Hackescher Markt, allerdings in die entgegengesetzte Richtung.

Das urige Ambiente könnte nicht besser gewählt sein: vom Eingangsbereich heißt es ein paar enge Stufen in den Keller hinabsteigen, wo sich zur Linken der Blick in ein geheimnisvolles Alchimielabor auftut. Es folgt ein längerer, den fünf Weltreligionen gewidmeter Flur mit Kartentischen zur Rechten wie zur Linken, die allerlei Orakelhaftes offenbaren, ehe man ein Stück weiter dann in die Folterkammer gelangt, mit schauderhaften Werkzeugen, denen man sich besser nicht ausgeliefert sehen möchte. Ein ganz erstaunliches Objekt ist im folgenden Raum die Klangschüssel, die durch Reiben ihrer beiden Griffe mit angefeuchteten Händen einen so durchdringenden Ton erzeugt, dass das Wasser in der Schüssel zu sprudeln beginnt. Bei welcher Lautstärke das passiert, probieren wir lieber nicht aus, denn just in diesem Moment beginnt im nächsten Raum die Zaubershow. Der Magier, dem die Beherrschung der Voodoo-Künste schier ins Gesicht geschrieben steht, jongliert zunächst ein wenig mit Glaskugeln und bittet dann einige Zuschauer zu sich auf die Bühne, die dort erstaunlicherweise allerlei unsichtbare Berührungen an sich wahrnehmen. Sein wichtigstes Kunststück ist aber, mit verbundenen Augen zu erkennen, was ein Mädchen aus der Zuschauerriege auf ein Stück Papier gemalt hat. Damit alle außer dem Magier es sehen können, hält das Mädchen den Zettel hoch, woraufhin eine andere begeisterte kleine Zuschauerin ruft: „ein Herz!”. So war das natürlich nicht gedacht, aber immerhin wissen jetzt auch die Allerkleinsten, wie wichtig es manchmal sein kann, Geheimnisse nicht auszuplaudern. Im letzten und größten Raum, dem sich noch ein kleines Spiegelkabinett anschließt, darf dann wieder alles angefaßt werden: die magischen Pendel, ein Fingerlabyrinth, die Kristallkugeln. Auch erfährt man hier allerlei Interessantes etwa über Hexenkräuter, die Sternzeichen der Chinesen und der Kelten, den Halloween-Brauch und seine Hintergründe. Richtig, heute ist ja Halloween.

Wie immer um diese Zeit meldet sich nun der kleine Hunger zu Wort. Zum Glück gibt es in derselben Straße und nur wenige Schritte vom Magicum entfernt eine vietnamesische Garküche, wo wir unter etwas beengten Verhältnissen eine ebenso wohlschmeckende wie preiswerte Stäbchenmahlzeit einnehmen. Unter der Hand sei aber verraten: sie haben dort auch Gabeln und sogar Löffel.

Beim Stöbern in diversen Prospektständern haben wir noch eine weitere Attraktion entdeckt, nämlich das Lighthouse of Digital Art mit seinem Programm „The Grand Tour” zu den Planeten des Sonnensystems und darüber hinaus. Das Eckhaus an der Revaler Straße in Berlin-Friedrichshain und die kopfsteiggepflasterten Zuwege zum Gebäude sehen zwar wenig einladend aus, die Transformation zum attraktiven Medienzentrum ist aber bereits im vollen Gange.

Wie bei immersiven Shows üblich erstreckt sich die Projektion raumhoch über alle vier Wände des Zuschauerraums und bezieht auch den Fußboden mit ein, auf dem allerlei Liegekissen zum entspannten visuellen Genuss einladen. Die faszinierenden Bilder der diversen NASA-Missionen dürfte wohl jeder schon einmal gesehen haben, aber ganz sicher nicht in dieser, den gesamten Gesichtskreis füllenden Größe. So ungefähr muss das Universum einem Astronauten erscheinen, wenn er Jupiter, Saturn oder auch nur den Mond in unmittelbarer Nähe passiert.

Auch unsere Milchstraße sieht auf solchen Fotos immer sehr eindrucksvoll aus, aber Moment mal: sprachen die Astronomen und Astronauten nicht immer davon, wie messerscharf sich die Himmelskörper von der schwarzen Leere des Weltraums abheben? Hier nun konkurrieren aber die dünnen Ringe des Saturn mit der hell leuchtenden Galaxie im Hintergrund. Und was ist das? Der Uranus und der Neptun haben ja ebenfalls Ringe! Das ist zwar durchaus korrekt und wurde von der Voyager-Sonde und den Weltraumteleskopen auch bestätigt, aber speziell die Neptunringe sehen keineswegs so geschlossen aus wie das projizierte Bild glauben machen will. Auch dass es die Astronauten von Apollo 8 waren, die am 24. Dezember 1968 zum ersten Mal die Erde über der kargen Oberfläche des Mondes aufgehen sahen, trifft durchaus zu, jedoch kam die Landefähre, die in diesem Augenblick über die Leinwand schwebt, dort erst ein halbes Jahr später zum Einsatz.

Bevor wir gehen, sehen wir uns noch die Großbildschirme im Nebenraum an. Sie wirken irgendwie schärfer und brillianter, aber das liegt sicher am kurzen Betrachtungsabstand.

In Berlin gibt es übrigens einen sehr schönen Halloween-Brauch: die Kinder ziehen verkleidet durch die Ladengassen z.B. der Einkaufspassage am Potsdamer Platz und erhalten vom Verkaufspersonal Süßes. Läßt man sich also mit seiner Eiswaffel hier irgendwo nieder, kann man ausgiebig die phantasievollen Verkleidungen der kleinen und manchmal auch großen Passanten bewundern. Ein fataler Fehler wäre freilich, statt in die Passage versehentlich in die Fahrradgarage des Europacenters hinunterzusteigen, wie uns das vorhin passiert ist, denn das Umfeld des Potsdamer Platzes ist wegen des im Aufbau begriffenen Weihnachtsrummels samt Schlittenbahn zur Zeit etwas unübersichtlich.

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Virtuelles und Schattenloses

Man ist nicht in Berlin gewesen, wenn man nicht auch im Humboldtforum war. Zur Zeit läuft dort die interessante Ausstellung über die gerade einmal 14 Jahre währende Geschichte des „Palast der Republik“, der einst das altehrwürdige Berliner Stadtschloss ablöste und dann, weil asbestverseucht, seinerseits vom rekonstruierten Schloss abgelöst wurde.

Aber ganz so einfach war es dann doch nicht. Erstens vergingen zwischen dem Abriß der kriegszerstörten Schlossruine und der Wiederbebauung des leeren Platzes in der Mitte Berlins noch etliche Jahre. Zweitens war der DDR-Prunkbau nach der Sanierung asbestfrei und hätte vielleicht sogar weitergenutzt werden können. Und drittens sieht der Neubau dem alten Schloss zwar äußerlich ähnlich, ist in seinem Inneren aber ein modernes und vielseitig nutzbares Gebäude. Das alles läßt sich in der Sonderausstellung „Hin und weg“ sehr gut nachvollziehen.

Eine Medienstation zeigt zudem, welche Großveranstaltungen der je nach Bühnengröße bis zu 4.442 Zuschauer fassende Saal im Laufe der Jahre gesehen hat. Udo Lindenberg trat dort auf, Carlos Santana, Miriam Makeba, Mikis Theodorakis, natürlich auch die DDR-Rockband „Puhdys” oder der Schlagersänger Frank Schöbel in ”Ein Kessel Buntes“, „Schlag(er) auf Schlag(er)” oder beim Festival des politischen Liedes. Und dann gab es ja auch noch die Parteitage der SED und die Kongresse diverser Organisationen sowie im nördlichen Gebäudeteil die Räume der Volkskammer. Das alles brauchte viel viel Platz.

Als besonderes Highlight wird in einem Nebenraum eine Mixed-Reality-Installation des Künstlerduos „Cyberräuber” angeboten, bei der man mit einer VR-Brille auf dem Kopf frei im Raum herumgehen kann, während ringsum gitterartige Elemente scheinbar im Raum schweben. Man kann sie mit der Hand beiseite schieben, so dass sie mit anderen Elementen in der Nähe kollidieren. Aber das ist nur zum Eingewöhnen, wenig später füllt sich der Raum mit geisterhaften Sitzgruppen, in deren Polstern man sich aber besser nicht niederlassen sollte: es würde mit schmerzhaftem Bodenkontakt enden. Oben an der Decke schweben derweil jene typischen Beleuchtungskörper, die dem Gebäude dereinst den Spitznamen „Erichs Lampenladen“ eingetragen hatten. Seine Mitbesucher wie auch die eigenen Hände samt Armbanduhr sieht man übrigens ebenso schemenhaft, manchmal sogar mit einem Menüsymbol zwischen Daumen und Zeigefinger.

Nach etwa zehn Minuten beginnt sich der Raum mit schwebenden Fotografien zu füllen, die an der Seite jeweils ein blaues Griffstück haben. Man kann sie an dieser Stelle anfassen und zu sich heranziehen, falls notwendig ins Hochformat drehen oder auch einmal von hinten betrachten. Die Motive sind samt und sonders aus den hinterlassenen Notizen anderer Besucher KI-generiert, die Cyberräuber nennen das Erinnerungsspende und geben uns abschließend den Tipp, auch noch die mit VR-Technik arbeitende Ausstellung „Kunst als Beute” in der dritten Etage anzuschauen.

Gesagt, getan! Gleich hinter dem Eingang zu besagter Ausstellung hilft uns eine sympathische junge Frau beim Anlegen der VR-Brillen, die hier die tatsächliche Umgebung vollkommen ausblenden. Aber wo sind wir? Ringsum stapeln sich große Holzkisten, und an der Wand lehnen diverse gerahmte Bilder, darunter das Rembrandt-Selbstporträt, das wir gerade eben erst real in der Ausstellung gesehen haben, und das in der Zeit des Zweiten Weltkriegs im Salzbergwerk Altaussee verborgen war. Und genau an diese Stelle versetzt uns die VR-Technik. Die Minenarbeiter, deren Schatten sich auf den Kistenwänden abzeichnen, schafften es damals, die Sprengung des Bergwerks zu verhindern. Es ist ein faszinierender Ort, den man auch real besuchen könnte, nur eben nicht zu jener Zeit, als der Rembrandt dort eingelagert und vom Totalverlust bedroht war.

Auch die zweite Virtual-Reality-Erfahrung gilt einem Objekt, das im Original in der Ausstellung zu sehen ist und beinahe vollständig verloren gegangen wäre, nämlich die Quadriga auf den Brandenburger Tor. Nach dem Einmarsch Napoleons in die deutsche Hauptstadt 1806, den man oben auf dem Tor stehend miterlebt, gelangte sie zerlegt als Kriegstrophäe nach Paris und wurde dort restauriert, aber nie öffentlich ausgestellt. Nach dem Sturz Napoleons 1814 kehrte die Figurengruppe nach Berlin zurück. Unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde sie, durch Einschüsse stark beschädigt, als Demonstration des Sieges über den Hitlerfaschismus vom Tor gestürzt, demontiert und eingeschmolzen. Allein der Kopf des rechten Pferdes entkam diesem Schicksal, denn er lagerte im Keller eines Berliner Wohnhauses.

Das dritte VR-Bild rankt sich um den balinesischen Dolch aus dem Ethnologischen Museum, den der getötete Wächter im Tempel Goa Lawah noch in der Hand hält. Die niederländischen Truppen hatten hier 1849 während des dritten Bali-Krieges Hunderte Balinesen getötet. Als Schenkung eines deutschen Sammlers, der auf den Inseln Sumatra und Java für die niederländische Kolonialverwaltung tätig gewesen war, gelangte der Dolch 1851 nach Berlin.

Zu den Benin-Bronzen im hinteren Teil der Ausstellung sowie zu den übrigen Beutekunst-Objekten gibt es kein VR-Erlebnis, wir gelangen von dort quasi übergangslos in die neue, sehr weitläufige Dauerausstellung „Asien”. Der sich allmählich meldende Hunger läßt uns nach einem Aufzug Ausschau halten, schließlich wissen wir irgendwo unter uns im Erdgeschoß das Bistro „Lebenswelten”, auf dessen Speisekarte leckere Königsberger Klopse stehen. Allerdings verbindet der Lift nur die beiden Ausstellungs-Etagen, der Weg zur Futterkrippe führt über die Rolltreppen im Foyer. 

Unseren Rückweg zum Hotel vertrauen wir dieses Mal den U-Bahnen U5, U6 und U3 an. Viel Zeit haben wir nicht, denn heute abend steht nun die Opernaufführung der „Frau ohne Schatten” auf dem Programm. Staatsoper und U-Bahnhof tragen zwar beide den Namen „Unter den Linden”, aber der Berliner Prachtboulevard ist lang, deshalb bemühen wir noch kurz den Bus 100 und vertreiben uns die gottlob kurze Wartezeit mit einem Blick ins DRIVE der Volkswagen Gruppe, wo im Eingangsbereich unter anderem ein alter Brezelkäfer und ein schmucker weiß-roter Samba-Bus ausgestellt sind. Warum sich aber die Bushaltestelle trotz des eindeutigen Namens nicht direkt vor dem Operneingang befindet, weiß wohl nur die BVG.

Die Staatsoper unter den Linden ist ein frisch renoviertes Opernhaus mit drei Rängen, wir sitzen im zweiten links, ganz vorne in der ersten Reihe. Die Handlung der Oper, für deren Libretto der Dichter Hugo von Hofmannsthal zeichnet, rankt sich in ihrem Kern um die Probleme des Färbers Barak mit seiner zänkischen Ehefrau („Sie haben mir gesagt, dass ihre Rede seltsam sein wird und ihr Tun befremdlich die erste Zeit”) und um die Frage, ob die Frau ihren für Fruchtbarkeit und menschliche Empathie stehenden Schatten nicht an die Kaiserin abtreten könnte, die als Tochter des Geisterkönigs dringend einen solchen gewinnen muss, weil anderenfalls der Kaiser nach Ablauf der gesetzten Frist zu Stein erstarren wird. Dreh- und Angelpunkt des Dramas ist natürlich die Menschlichkeit, die sich allmählich im Mitgefühl der Kaiserin für einem gepeinigten Menschen zeigt, und die sie die ihr unwissentlich auferlegte Prüfung dann schließlich auch bestehen läßt, denn sie möchte nicht ihr eigenes Glück auf Kosten der Färbersleute erkaufen.

Das alles zieht sich über drei Akte hin, mit zwei Pausen dazwischen, in denen sich wieder einmal bewahrheitet, dass Zeit relativ ist: ohne Pausenbier dauert eine Pause relativ lang, mit Pausenbier relativ kurz, und am kürzesten ist sie für diejenigen, die an der Theke für ihr Pausenbier anstehen müssen. Damit uns dieses Schicksal erspart bleibt, ordern wir es im voraus. Prompt steht es einladend auf Tisch 27 für uns bereit, direkt neben der Warteschlange: oh je, und wir sollen doch Empathie für gepeinigte Mitmenschen zeigen! Ob wir jetzt unseren Schatten verlieren? Der Egoist, der ein paar Sitze weiter in Blickrichtung Bühne seine volle Leiblichkeit samt Ellbogen über der Brüstung hängt, damit er alles gut sehen kann, glaubt jedenfalls ganz fest an seine Durchsichtigkeit.

Erstaunlich finden wir auch, dass an den Zuschauerrängen dieses Theaters insgesamt mehr als 100 Bühnenscheinwerfer montiert sind, die eigentlich gar nicht gebraucht werden: unsere Oper heißt ja „Die Frau ohne Schatten” und nicht „Die schattenfrei ausgeleuchtete Frau”.

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Prominenz in Wachs

Die Wachsfiguren des Hamburger Panoptikums haben unsere Neugier auf weitere Kabinette dieser Art geweckt, allen voran das Madame Tussauds in Berlin. Heute um Punkt 10 Uhr haben wir nun die Gelegenheit für einen Vergleich.

Vorher heißt es aber, sich erneut dem Berliner Nahverkehr anzuvertrauen. Vom Bahnhof Zoo nehmen wir in der Regel den 100er, denn der hat das Zeug zum Sightseeing-Bus, führt seine Strecke doch an Gedächtniskirche, Siegessäule und Schwangerer Auster vorbei, bevor er dann in die Berliner Prachtstraße „Unter den Linden” einbiegt und wir im Aussteigen noch einen Blick auf das Brandenburger Tor erhaschen können, ehe wir uns in die gottlob sehr kurze Warteschlange vor der roten Tür des Tussauds einreihen, denn wir sind ein paar Minuten zu früh. Man kann seine Tickets vorab erwerben, dann steht man links, oder spontan an der Tageskasse, dann steht man rechts. Zu so früher Stunde steht man aber eigentlich überhaupt nicht.

Die sonst bei Ausstellungen üblichen Täfelchen neben den Exponaten braucht es im Tussauds nicht, man erkennt ja alle Personen auf Anhieb, und falls nicht, hilft einem der Kontext, in den sie gestellt sind. Da sind zum einen die Personen mit Berlin-Bezug wie Klaus Wowereit, Angela Merkel oder Willy Brandt, Marlene Dietrich oder Max Schmeling, aber auch ein Erich Honecker und sogar ein ziemlich versteckter Adolf Hitler begegnen uns auf dem Weg zur Treppe in das obere Stockwerk, wo es mit Beethoven, Bach, Einstein, Marx und Grass weitergeht und bei Helmut Kohl, Olaf Scholz und Dirk Nowitzky noch lange nicht endet. Viele Figuren sind so arrangiert, dass die Besucher in ihrer Nähe für ein Selfie posieren können, auf Sigmund Freuds Couch zum Beispiel oder auf dem Wer-wird-Millionär-Ratestuhl. Und wer wissen möchte, wie so eine Wachsfigur hergestellt und bemalt wird, findet auch darüber zahlreiche Erläuterungen. Wir selbst fühlen uns von der Bar im nachgestellten Nachtclub Moka Efti magisch angezogen, wo Charlotte Ritter lässig am Tresen lehnt, während Swetlana Sorokina im Pailettenkleid tanzt und Kommissar Gereon Rath das ganze vom Eingang aus beobachtet. Der Cocktail, den wir uns hier gönnen, heißt „Pumpkin Spice Latte“, die Hintergrundmusik „Zu Asche zu Staub” stammt aus der Fernsehserie „Babylon Berlin“, aus der auch die Bar und die Figuren entlehnt sind.

Waren wir schon bei all den anderen Prominenten aus Film und Fernsehen? Nein, die kommen jetzt: Abba und Michael Jackson, Helene Fischer und Roland Kaiser, Johnny Depp, Leonardo diCaprio und noch einige mehr. Den Figuren aus Star Wars hat man einen eigenen Bereich mit passendem Ambiente gegönnt: im Inneren des Raumschiffs begegnen uns neben R2D2 und C3PO auch Luke Skywalker, Han Solo, Darth Vader, Prinzessin Leia und viele weitere bekannte Gestalten der Weltraumsaga. Natürlich auch einen Meister Yoda sie hier haben, auf einem bequemen Sessel er sitzt. Im Ausgang dieser letzten Abteilung, der zugleich Eingang zum Shop ist, begegnet uns noch Elvis Presley, dann dürfen wir abschließend ein paar Fragen beantworten: Welche Figur haben Sie vermißt? Den Miljöh-Maler Heinrich Zille natürlich. Und auch ein Max Raabe hätte sicher ganz gut in die Riege der Berliner Originale gepaßt.

Das Humboldt-Forum mit seinen vielen Museen hat dienstags zu, immerhin ist aber das SB-Restaurant im Schlüterhof geöffnet. Nach dieser kleinen Stärkung wenden wir uns dem Deutschen Historischen Museum zu, wobei „zu” auch hier das richtige Stichwort ist, denn das Zeughaus wird derzeit saniert und ist also samt DHM-Dauerausstellung ebenfalls geschlossen. Unser heutiges Interesse gilt aber ohnehin nur der Sonderausstellung im rückwärtigen sogenannten Pei-Bau, entworfen vom chinesisch-amerikanischen Architekten und Schöpfer der Louvre-Glaspyramide Ieoh Ming Pei (1917-2019). Das Foyer des Berliner Gebäudes ist nach außen vollständig verglast und innen mit dem mehrgeschossigen und nahezu fensterlosen Ausstellungsbau verschränkt.

In der attraktiv und interessant konzipierten Ausstellung zur Epoche der Aufklärung geht es um Erfindungen und Erkenntnisse, um die Herrschaft der Vernunft (Kant: „Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen”), die Suche nach Wissen, die Ordnung der Welt, die Pädagogik und die Frage nach dem Raum, den Gott in einer vernunftgeleiteten Welt noch einnehmen kann. Auch die Gleichheit aller Menschen ist ein wichtiges Thema: wie ist es um die Rechte der Frauen bestellt? Und warum fand trotz allem auch die Sklaverei Befürworter? Besonders springt uns in diesem Ausstellungsteil eine Tabelle mit vorgeblichen Eigenschaften der europäischen Völker ins Auge: Spanier seien hochmütig, heißt es dort, Franzosen leichtsinnig und Deutsche offenherzig. Sie verbrächten ihre Freizeit bevorzugt mit Trinken, während die Polen gerne zanken und die Wälischen (Italiener!) schwätzen. Die Frage, welche Lehren wir aus der Antike ziehen können, wird in den nachfolgenden Abschnitten erörtert. Es geht um Staatskunst und den Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit, um Welthandel, Kolonialismus und natürlich um Menschenrechte.

Für den heutigen Abend steht eine Veranstaltung der Freunde der Staatsoper auf dem Programm, Referent am Konzertflügel ist der Solo-Korrepetitor Elias Korrinth, der nicht nur erläutert, warum die Kaiserin in der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten” keinen Schatten hat, sondern auch, wie so ein Schatten überhaupt musikalisch abgebildet werden kann, was sich von unzähligen Leitmotiven begleitet sonst noch so alles in der Handlung ereignet, und wo dieser Richard Strauss musikalisch einzuordnen ist: „Richard I. ist Wagner, einen Richard II. gibt es nicht, also ist Strauss Richard III.“ (Hans von Bülow)

Bei Veranstaltungen mit freier Platzwahl ist man übrigens gut beraten, rechtzeitig loszufahren, um vor Ort noch einen guten Platz zu ergattern. Verlängert sich dann allerdings, weil offenbar ein Bus ausgefallen war, die Umsteigezeit von 7 auf fatale 22 Minuten, nützt einem das herzlich wenig, und so sitzen wir im prunkvollen Apollo-Saal der Staatsoper dann leider doch etwas am Rande des Geschehens.

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Das Experiment

Wir wagen ein Experiment: kann man von Nürnberg mit Nahverkehrszügen nach Berlin reisen? Der DB-Navigator schlägt eine Haus-zu-Haus-Verbindung mit siebenmaligem Umsteigen vor: den Bus und die U-Bahn zum Hauptbahnhof nehmen, von dort über Hof, Chemnitz und Elsterwerda nach Berlin Südkreuz fahren und dann abschließendnoch per S-Bahn und U-Bahn zu unserem Hotel, dem „Motel Blue”. Doch sind die vom DB-Navigator kalkulierten Umsteigezeiten knapp bemessen und betragen in Hof und in Chemnitz jeweils nur wenige Minuten.

Bei Zwickau passiert es dann, wir müssen auf die Einfahrt in den Bahnhof warten, was uns 6 Minuten Verspätung einträgt. Und das liest sich auf dem Display dann so: Ankunft auf Gleis 10 um 12.09 Uhr, Anschlusszug nach Elsterwerda um 12.09 von Gleis 7. Das fängt ja gut an.

Fängt es auch, denn der Zugbegleiter hält seinen Zug so lange fest, dass die herbei eilenden Fahrgäste allesamt noch bei ihm einsteigen können. Von hier bis nach Elsterwerda teilen wir uns das Abteil nun mit einer 7. Schulklasse, die auf dem Weg in eine „voll geile Jugendherberge bei Elterswerda“ ist? Wo bitte? Der Junge mit dem etwas schwachen Namensgedächtnis heißt Tom, weil er beim Sport immer rot wird wie eine Tom-Ate. Jugendsprache ist gar nicht so schwer, und dass zwischendurch ein paar Gummibärchen von hüben nach drüben fliegen und die heisere Stimme der Zugbegleiterin ein wenig untergeht … waren wir nicht alle mal so? Auch um unseren Anschlußzug müssen wir uns dieses Mal keine Sorgen machen, denn wir haben gute 20 Minuten Pufferzeit, und zudem wäre der Zug sogar beinahe pünktlich gewesen.

Unser nächster Teilstreckenzug ist ein IC, der ausnahmsweise auch mit Nahverkehrsticket genutzt werden darf. Mit uns sind auffallend viele Reisekoffer zugestiegen, deren Besitzer offensichtlich auf dem Weg zum Flughafen BER sind. Nach etwa einer Stunde sind wir dort, setzen die Flugpassagiere ab – und rollen in die entgegengesetzte Richtung wieder los. Zurück nach Elsterwerda? Glücklicherweise nicht, der Zug hatte nur einen kleinen Umweg genommen. Theoretisch liegen wir nun schon zum dritten Mal so weit hinter dem Fahrplan, dass der Anschluss am Berliner Südkreuz nicht erreicht wird, aber auch dieses Mal sieht die Praxis völlig anders aus, denn vom unteren Bahnsteig via Rolltreppe zum oberen sind es ja nun wirklich keine 7 Minuten. Im S-Bahn-Abteil riecht es bestialisch nach Raubtierkäfig, und wir werden auch sofort angebettelt, aber das ist eben Berlin. Und warum fährt der Aufzug am Heidelberger Platz nur nach oben, wo wir doch mit den Koffern nach unten wollen? Aha, wir hätten den anderen nehmen sollen. Unten angekommen sind es jetzt nur noch zwei Stationen stadteinwärts und dann ein paar Schritte bis zum Hotel, das wir pünktlich um 16 Uhr erreichen. Und das mit siebenmaligem Umsteigen!

Das Motel Blue befindet sich in der ersten und zweiten Etage eines ganz normalen Berliner Wohnblocks und ist lediglich durch ein blaues Schild über dem Eingang kenntlich gemacht. Wäre die schwere Holztür nur angelehnt, könnten wir hineingehen. Sie scheint aber verschlossen zu sein, also rufen wir die angeschriebene Telefonnummer an und erfahren, dass wir nur kräftiger hätten drücken müssen. Hinter der Tür liegt ein langer Flur, dem seitlich eine Holztreppe in die oberen Stockwerke folgt. Dort, im ersten Stock, verrät ein Schild „Rezeption“, dass wir hier richtig sind. Unser Zimmer 207 liegt allerdings im Stockwerk darüber, wir müssen also samt Koffern wieder zurück ins Treppenhaus, dieses Mal aber mit einem Liftschlüssel, den wir auch behalten dürfen.

Das Zimmer ist angenehm modern, aber ungewöhnlich schmal und dadurch – was typisch für einen Altbau ist – quasi höher als breit. Damit das nicht so auffällt, ist auch der Wandschrank extrem hoch: so hoch, dass nur ein Riese das oberste Fach ohne Leiter erreichen könnte. Das erfordert eine gewisse Logistik beim Einräumen, denn man kann auch nicht einfach zur anderen Bettseite herumgehen. Aber das macht uns nichts aus, das kennen wir ja von zuhause.

Unten an der Kreuzung haben wir einen Supermarkt entdeckt, wo wir rasch noch ein paar Kleinigkeiten besorgen, ehe wir uns auf die Suche nach einer warmen Mahlzeit machen. Der Hauptbahnhof ist hier eine gute Adresse, man erreicht ihn vom Hohenzollernplatz, indem man den Bus 249 zum Bahnhof Zoo nimmt und von dort eine beliebige S-Bahn, was im Gewühl der Baustellen gar nicht so leicht ist. Lohn der Mühe: eine authentische Berliner „Curry36” Currywurst.

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Modelleisenbahn im Maßstab 1:1

Als die Menschen noch mehr Zeit hatten als heute, störte sich wohl kaum jemand daran, dass man während der Fahrt von Ebermannstadt nach Behringersmühle quasi einen Blumenstrauß hätte pflücken können, so gemächlich zuckelt das Bähnlein durch die idyllische Landschaft des oberen Wiesenttals. Die Wagen haben Plattformen an beiden Enden, so dass man während der Fahrt in einen anderen Wagen umsteigen könnte, wenn man denn wollte oder der Schaffner wäre, den wir vorhin schon hinter dem Fahrkartenschalter gesehen hatten. Hier auf der DFS, der Dampfbahn Fränkische Schweiz, ist eben alles noch so wie früher. Auf die vorgespannte Dampflokomotive müssen wir heute allerdings verzichten, sie kommt nur jeden zweiten Sonntag zum Einsatz. Man kann eben nicht alles auf einmal haben.

Abfahrt in Ebermannstadt ist um 10.05 Uhr, natürlich warten wir aber auf den etwas verspätet eintreffenden Regionalzug aus Forchheim. Schon bald erblicken wir auf einem Felssporn die markante Ruine Neideck. Von hier weg wird das Tal nun enger, die Felsen rücken näher an die eingleisige Strecke heran, und stellenweise bleibt gerade noch Platz genug für Straße, Flüßchen, Bahngleis und Wanderweg. Hinter Behringersmühle entfällt dann auch das Bahngleis, aber davon später. Zunächst einmal passieren wir den Bahnhof Muggendorf, der heute ein Naturpark-Infozentrum samt Modelleisenbahn beherbergt. Detailliert in H0 dargestellt ist ein Teil des Streckenabschnitts, den wir gerade befahren.

Man könnte hier also aussteigen und dann auch gleich noch hinüberlaufen zum Modelleisenbahnmuseum der Familie Häntzschel mit seinen Anlagen in unterschiedlichen Spurweiten, insbesondere der seltenen Spur S. Oder aber einen der zahlreichen markierten Wanderwege begehen, die es hier gibt. In zwei Stunden käme dann der nächste historische Zug vorbei, um einen wieder mitzunehmen bis zum Endbahnhof, denn wer würde schon freiwillig au den Rest der Fahrt verzichten und gleich hier den Gegenzug nehmen?

Wer wenig Zeit hat oder weder Lust auf Wandern noch Einkehren verspürt, kann im Bahnhof Behringersmühle auch einfach im Abteil sitzen bleiben, verpaßt dann aber das Rangieren der Lok vom einen Ende des Zuges zum anderen. Wir warten noch, bis der Zug pfeifend wieder in Richtung Westen verschwunden ist, dann laufen wir in der entgegengesetzten Richtung los, denn wir wollen nach Tüchersfeld. Natürlich nicht die Straße entlang, sondern auf der anderen Talseite. Aber welches Tal ist das richtige? Ein suchender Blick und die hilfsbereite Auskunft einer Ortskundigen sind quasi eines: wir müssen die Straße und eine Brücke queren und dann einfach nur den Weg folgen. Anfangs noch breit, wird der allerdings immer sparsamer und schließlich zum Trampelpfad. Sind wir hier wirklich richtig? Eine Wegmarkierung, die Gelbe Raute, beseitigt unsere Zweifel, und dann wird der Weg auch wieder besser und führt, von raschelndem Laub bedeckt, am Talrand entlang bis zu einer Fußgängerbrücke, der wenig später eine Straßenbrücke folgt. Von hier weg müssen wir ein Stück weit der Straße folgen, denn unser Wanderweg führt an ein anderes Ziel, irgendwo bergauf. Aber es sind ja nur wenige hundert Meter, die uns noch vom Ziel trennen: dem ikonischen Felsendorf Tüchersfeld.

Ikonisch deshalb, weil hier eine markante Felsengruppe zwischen den Häusern aufragt. Etwa auf halber Höhe zeigt sich einer der Fachwerkgiebel des Fränkische-Schweiz-Museums. Hier könnte man durchaus ein paar Stunden zubringen – oder den Besuch auf einen anderen Tag verschieben, denn wir wollen ja rechtzeitig wieder am Bahnhof sein und vorher auch noch etwas essen. Zum Beispiel im Gasthof zum Fahnenstein, der nach der zweiten markanten Felsgruppe im Ort benannt ist. Um zum Gipfel mit der Fahne zu gelangen, hieße es allerdings Treppen steigen, und das auf leeren Magen. Mit Bier und Schnitzel im Bauch fiele die Tour allerdings erst recht schwer. Kurzerhand streichen wir Gasthaus und Aussichtspunkt und laufen von hier erst einmal den Wanderweg zurück nach Behringersmühle, von wo aus der Rest des Weges überschaubarer ist.

Kuchen und dunkles Bier sind zwar eine eher unübliche gastronomische Kombination, aber die Wirtin hat nichts dagegen einzuwenden, und so runden wir diesen schönen Wandertag hier ab, nur einen Katzensprung vom Bahnhof entfernt, wo Punkt 17.05 Uhr der Zug zurück nach Ebermannstadt abdieselt. Es ist der letzte für heute und auch der letzte in diesem Jahr, denn der kommende Sonntag und die Nikolausfahrten stehen beide im Zeichen des Dampfes.

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Bei Rembrandt in der U-Bahn

Wir frühstücken beim „Lukas”, das ist ein Bäckerei-Café ganz in der Nähe der Nicolaikirche, das auch sonntags schon sehr früh öffnet, auch wenn der Andrang zu weniger unchristlichen Zeiten sicher deutlich größer ist und die Serviceroboter, die wir gestern schon bemerkt hatten, sicher mehr zu tun haben als heute. Auch von den drei Bestellterminals macht niemand Gebrauch, obwohl es zu Stoßzeiten sicher sehr angenehm ist, seine Wünsche einfach in den Bildschirm zu tippen und sich dann nach dem Bezahlen per Karte samt PUK, so heißen die kleinen Piepser, an einen freien Tisch zu setzen und auf Robby oder Wally zu warten. Woher wissen die beiden elektronisch Beflissenen eigentlich, wo der Gast Platz genommen hat? Nun, der PUK wird es ihnen verraten haben. Unser Tablett müssen wir natürlich selbst vom Roboter herunternehmen und ihm den PUK übergeben, damit das Maschinchen dann wieder in die Küche rollen und den nächsten Gast bedienen kann. Ciao, Wally.

Viel zu früh stehen wir wenig später vor einem der Eingänge des Museums der bildenden Künste. Es hat deren vier, einen pro Himmelsrichtung. Als um Punkt 10 Uhr der Aufschließer kommt, fällt er sogleich vor uns auf die Knie. Aber nicht aus Ergebenheit, sondern weil sich die Schlüssellöcher für die Glastüren im Fußboden befinden.

Das Museumsgebäude ist ein Kubus von gewaltigen Ausmaßen, wirkt aber dennoch leicht und luftig. Allein bei der Konzeption der Schließfächer hatte der Architekt einen schlechten Tag, denn die Gasse hinter der Kasse mit den Schränkchen zu beiden Seiten ist eng, und man steht sich selbst bei geringem Andrang gegenseitig im Weg. Dafür sind aber die Treppen, von denen es mehrere gibt, recht großzügig bemessen.

Der Bereich für die Sonderausstellungen befindet sich im Untergeschoss. Die sehr geschickte Raumaufteilung läßt keinen Zweifel daran, in welcher Reihenfolge man die Bilder und Zeichnungen betrachten soll. Jedoch kommt relativ schnell das Gefühl auf, man sei akustisch in eine U-Bahn geraten. Denn wer kennt nicht diese typische Geräuschkulisse, wenn sich zum Stimmengewirr im Großraumabteil des abfahrbereiten Zuges das immerfort schrillende Lülo-Lülo der sich auf Knopfdruck in Kürze öffnenden oder gleich schließenden Türen hinzu gesellt, mal laut und in der Nähe, mal weiter entfernt und oft auch gleichzeitig aus mehreren Richtungen? In der Rembrandt-Ausstellung des Leipziger MdbK kann man das ganz genauso erleben. Denn die Gemälde und insbesondere die Zeichnungen  Rembrandts und seiner Zeitgenossen sind lichtempfindlich und die Beleuchtung entsprechend gedimmt, während gleichzeitig die Texte auf den Täfelchen klein sind. Und so unterschreitet in der weitläufigen Hängungsrunde alle paar Sekunden ein sich vorbeugender Kopf oder eine auf Details zeigende Hand den per Bodenlinie markierten Sicherheitsabstand, so dass Alarm und Wachpersonal den Täter, so er sich denn als solcher wahrnimmt, zurückzucken und für den Rest seines Rundgangs mehr auf die Linie denn auf die Kunst achten läßt. Aber die akustische Sensibilisierung wirkt natürlich nur bei jenen, die einmal damit in Konflikt geraten sind, die neu Hinzukommenden hingegen wissen noch nichts von der hohen Empfindlichkeit der Abstandswarner.

Das MdbK verfügt auch über eine umfangreiche Dauerausstellung, die sich in den oberen Stockwerken befindet. Der Lift nach oben führt freilich ein etwas verstecktes Dasein und läßt sich auch sehr lange bitten, so dass wir am Ende dann doch die lange Treppe nehmen. Oben angekommen, tut sich eine Welt auf. Eine Welt voller Gemälde, von denen viele Weltruf genießen, Caspar David Friedrichs Lebensalter zum Beispiel oder Claude Monets „Boote am Strand von Etretat”. Das Lieblingsmotiv des Verfassers ist hingegen weit weniger spektakulär. Es zeigt ein Gerippe, das gerade einem dringenden Bedürfnis nachgeht. Den „pinkelnden Tod” nannte Max Klinger sein Werk.

Wer mit der Bahn fährt, kann das Leben in vollen Zügen genießen. Und das sogar, wenn in der Fahrplanauskunft „geringe Auslastung“ stand. In der Sitzgruppe gegenüber hat sich eine junge Frau niedergelassen, die über geschlossene Kopfhörer mit irgend jemandem telefoniert. Sich akustisch in einer anderen Umgebung wähnend, spricht sie natürlich viel zu laut und bekommt auch nicht mit, dass sie die anderen Fahrgäste mit ihren intimsten und privatesten Details beschallt. So weiß schon bald das ganze Abteil, wann und wo sie sich mit ihrem Gesprächspartner treffen will. Und dass sie der Freundin, die morgen Geburtstag hat, eigentlich den weißen Pullover schenken wollte, den sie nun aber schon hat. Als der Zug in einem Bahnhof hält, schreckt sie auf: wo sind wir hier eigentlich? Und wie aus einem Mund antworten die Mitreisenden: „In Breitengüßbach!“

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