Wenn man im Berner Oberland einen Alpengarten anlegen will, genügt es eigentlich vollkommen, das ausgewählte Gelände einzuzäunen. Denn wo keine Kuh mehr Zutritt hat, kehrt über kurz oder lang die alte Buntheit der Almwiesen wieder zurück.
Zugegeben, ein wenig mehr Mühe haben sich die Gründer des Alpengartens auf der Schynige Platte schon gegeben. Zum Beispiel haben sie überall, wo eine botanische Rarität wächst, ein erläuterndes Schildchen aufgestellt. Fast überall. Denn im Gegensatz zu einem normalen botanischen Garten, wo einer jeden Art ein eigenes Areal zugewiesen ist, kommen die typischen Vertreter der Alpenflora hier praktisch im gesamten Garten vor, denn es ist ja ihr natürlicher Lebensraum. Und um ganz sicher zu gehen, dass auch wirklich jeder Besucher einen Enzian, eine Alpenrose und insbesondere ein Edelweiß findet, sind deren Hauptstandorte mit übergroßen Exemplaren aus Holz markiert.
Natürlich kommen auch ausgesprochene Raritäten im Garten vor: ein winziges Kräutlein genießt die volle Aufmerksamkeit eines Fotografen. Dass ich das Objekt vor seiner Linse korrekt als Orchidee identifizieren kann, erstaunt ihn. Kenner unter sich. Chamorchis alpina (oder auf deutsch Zwergorchis) heißt der grüne Winzling.
Um den Alpengarten mit der wohl hinreißendsten Aussicht der Welt zu erreichen, nehmen wir eine gut zweistündige Anfahrt mit dem Zug auf uns: zuerst mit dem Scheidegg-Bähnchen eine Station in die Gegenrichtung, also nach Grindelwald. Dann mit dem Regionalzug hinaus nach Wilderswil bei Interlaken. Und dann mit einem weiteren „Regionalzug“, der eigentlich eine historische Bergbahn ist, aber zur Berner Oberlandbahn gehört, in einer einstündigen Fahrt hinauf auf über 2000 Meter Meereshöhe. Bieten sich den Fahrgästen anfangs noch wunderschöne Ausblicke auf den Thuner und den Brienzer See, übernimmt ganz oben das Bergtrio aus Eiger, Mönch und Jungfrau die Aufgabe, die Fahrgäste zu entzücken. Zur Linken gesellt sich natürlich noch das Wetterhorn und zur Rechten das Breithorn hinzu sowie unzählige andere Schneegipfel.
Da es entlang der Strecke nur zwei Ausweichen gibt, ist kein schnellerer Takt als 40 Minuten möglich. Das Alphorntrio, das jeden ankommenden Zug begrüßt und dann wieder 40 Minuten Pause hat, kommt in dieser Zeit hörbar aus der Übung. Oder sie gönnen sich zwischendurch jeweils einen Aperol, wer weiß?
Da auch der Rückweg in die Eiger Lodge zwei Stunden in Anspruch nimmt, brechen wir sattgesehen am frühen Nachmittag wieder auf und steigen dieses Mal an der Station Grindelwald Terminal aus. Die liegt nämlich nur ein paar Schritte neben unserem Hotel. Muss man halt wissen.