Zum Zeitpunkt unserer Feinplanung sollte laut Wettervorhersage der Mittwoch der angenehmste Tag werden, und so legten wir den Besuch des Parks Güell gleich auf unseren allerersten Vormittag und die Sagrada Familia dann auf den Nachmittag desselben Tages. Zwar scheint sich das Wetter nicht ganz an die Planungen halten zu wollen und beschert uns für den Park einen bedeckten Himmel, aber später zeigt derselbe dann doch noch ein Einsehen.
Wie kommt man nun aber vom Hotel zu diesem Park, der ja auf einem Hügel liegt? Eher zufällig finde ich heraus, dass der Routenplaner meines iPhone nicht nur für Auto und Fahrrad, sondern auch für den ÖPNV brauchbar ist, man muss nur das Ziel eingeben, der Rest erledigt sich quasi von allein. Zum Linienbus V19 sind es vom Hotel aus nur ein paar Schritte, und ein Umsteigen erübrigt sich, da der Bus schnurstracks bis vor den rechten Seiteneingang fährt, also dorthin, wo für gewöhnlich auch die Reisebusse parken. Beim Linienbus denkt unsereiner ja an Taktzeiten, die man nur ungern am Straßenrand wartend zubringen will, aber das ist hier anders, der Bus fährt alle paar Minuten. Ungewohnt ist auch, dass alle Tickets in den Prüfautomaten zu stecken sind, auch die Tageskarten. Das schauen wir uns aber erst während der Fahrt von den anderen Fahrgästen ab.
Sind wir schon da? Nicht ganz, wahrscheinlich erst die nächste Haltestelle. Aber dann fährt der Bus am Parkeingang vorbei uns hält erst wieder ein ganzes Stück weiter oben. Dadurch wird der Weg zwar länger, führt nun aber zum Glück bergab.
Der Park samt einiger kleiner Häuser wurde von Antoni Gaudí, dem Meister des architektonischen Jugendstils, für den Industriellen Eusebi Güell errichtet und ist in einer so liebreizenden Art verspielt, wie sie eben nur ein Gaudí erschaffen konnte. Ein Weg schlängelt sich entlang einiger Viadukte hinauf und an der anderen Seite wieder hinab, wo es ähnlich geformte Wege entlang schräger Säulen gibt, bis man schließlich an einen zentralen, von bunt kachelverzierten Balkonbrüstungen umschlossenen Platz gelangt, von denen man einen herrlichen Blick auf die Stadt und natürlich die Sagrada Familia genießt. Unterhalb des Platzes, wo dem Geräuschpegel nach eine ganze Kindergartenklasse unterwegs sein muß, befindet sich eine halb offene Säulenhalle, und noch ein Stück weiter unten, in der Nähe des Haupteingangs mit den beiden schlumpfig verspielten Häusern, die Wasserachse mit der bunten Echse, vor der gerade alle für ihre Selfies posieren. Leider verwehrt uns ein geschlossenes Tor den näheren Zutritt. Aber wie kommen dann all die anderen Leute hin? Vielleicht von unten? Wir laufen einen Weg hin und einen anderen her, dann stehen wir an der erstrebten Stelle – und werden zurückgewiesen, denn hier ist der Ausgang. Um zur Echse zu gelangen, müssen wir links hinauf, um das Haus herum und durch die Säulenhalle, die wir anderenfalls samt ihrer mosaikverzierten Decke möglicherweise übersehen hätten.
Natürlich ist die markant gekachelte Reptilienskulptur fest in der Hand der Selfie-Fotografen, kaum ist einer fertig, rückt auch schon der nächste an, denn man will ja nicht, dass sich von der Seite her jemand vordrängt. Zudem pflegen kleine Kinder die Fotos der Erwachsenen zu crashen, indem sie ihnen mitten ins Bild laufen. Alles in allem eine herrlich unterhaltsame Szenerie.
Nun ist es aber an der Zeit, den bereits bekannten Linienbus ein zweites Mal zu entern, und dieses Mal fährt er uns nicht direkt zum Ziel, sondern wir müssen vier Häuserblocks einer Querstraße entlang laufen, was sich aber als eine ausgezeichnete Idee erweist, denn so nähern wir uns dem eindrucksvollen Jugendstil-Kirchenbau durch einen kleinen Park, dessen Palmwedel ein unterhaltsames Verstecken mit den Türmchen der Kathedrale spielen, so dass uns die Gerüste und der Turmkran gar nicht so sehr ins Auge fallen. Denn an der Sagrada wird ja immer noch gebaut.
Eigentlich hätten wir noch fast eine Stunde länger im Güellpark bleiben können, aber in einer fremden Stadt plant man ja zeitliche Reserven ein. Und dann dürfen wir endlich die Sicherheitsschleuse passieren: Oberbekleidung ablegen, Taschen entleeren, den Gürtel aus der Hose fädeln und alles ins Plastikschälchen legen, man kennt das ja vom Flughafen. Wie denn, die Armbanduhr auch? Ja. Und auch die Brille, wird mir bedeutet. Das geht mir aber nun doch etwas zu weit, und ich darf mitsamt Brille durch den Körperscanner.
Wir betreten den eindrucksvollen Bau durch das östliche Portal. Es ist der Geburt Jesu gewidmet, was nicht nur an den überdimensionalen steinernen Krippenfiguren kenntlich ist, sondern auch an dem großen Christbaum darüber. Mit grünen Zweigen, auf denen weiße Tauben sitzen. Und mit einem Kreuz an der Spitze. Alles aus Stein.
Drinnen weiß man erst gar nicht, wohin man zuerst schauen soll. Die hohen Fenster und die Rosetten der Ostseite bestehen aus unregelmäßigen Gläsern in grünen und blauen Farbtönen, die der Westseite sind eher in Rot und orange gehalten, denn dort befindet sich das Passionsportal. Anders als in gotischen Kirchen verzweigen sich die tragenden Säulen des Kirchenschiffs nach oben hin, alles zusammen wirkt wie ein Wald aus weißem Stein. Und alles ist vom Licht durchflutet, das durch die farbigen Fenster hereinfällt. Die Säulen der Vierung tragen auf halber Höhe die Embleme der vier Evangelisten Johannes, Matthäus, Markus und Lukas, natürlich in der katalanischen Form: Joan, Marc, Mateu, Lluc. Und in die wuchtig-bronzene Tür des Hauptportals sind in 50 Sprachen Sätze aus dem Vaterunser eingraviert: Pare nostre que esteu en el cel, sugui santificat el vostre nom. Aha, die Katalanen siezen Gott.
Bevor wir durch die Passionspforte wieder hinausgehen, um das Portal und seine Architektur von außen zu betrachten, werfen wir noch einen Blick in die Krypta, wo der Architekt und Schöpfer mit seinem denkwürdigen Gotteshaus für immer vereint ist. Gleich nebenan gibt es ein Museum, welches die Geschichte der Sagrada Familia anhand interessanter Ausstellungsstücke und Tafeln ausgiebig thematisiert.
Der Bahnhof Sants, von dem wir morgen nach Madrid starten werden, ist vom Hotel aus mit der Metro etwas umständlich zu erreichen, es gäbe zwar eine direkte Regionalbahn, aber gelten unsere Fünftagetickets auch für die unterirdisch geführte Bahnlinie? Aus den Beschreibungen werden wir nicht schlau, daher hilft wohl nur Ausprobieren, zumal es in Bahnhofsnähe heute abend sicher auch das eine oder andere Essenslokal gibt. Wir haben Glück: die Schranke am Zustieg zu den R-Linien akzeptiert unser Ticket. Und Pech: im und am Bahnhof gibt es weit und breit nichts Warmes zu essen, mit einer Ausnahme, und die heißt McDonalds. Die georderten Wraps sind jedoch irgendwo zwischen lauwarm und kalt angesiedelt. Das hätten wir einfacher haben können.