Die tschechische Hauptstadt verfügt über einen vorbildlichen öffentlichen Nahverkehr. Es gibt drei Metrolinien, die grüne Linie A, die gelbe Linie B und die rote Linie C. Ich hätte die Farben ja anders gewählt, apfelgrün, blutorangenrot und citronengelb, aber wahrscheinlich kennen die Tschechen eine andere Eselsbrücke oder wissen es einfach auswendig. Das müssen sie nämlich sowieso, weil auch die Zugänge in der jeweiligen Farbe gekennzeichnet sind: wer in die grüne Linie A will, muss auf ein grünes M achten, ein gelbes M oder ein rotes M stehen für den Zugang zur Linie B oder C.
Und dann gibt es da noch die Straßenbahnen. Man muss nicht die endlos langen und zugigen Rolltreppen hinab und am Ziel wieder hinauf, sie fahren in angenehm kurzen Abständen, und es gibt sie in den verschiedensten Bauarten, von modern bis historisch. So eine rote Tramvaj macht sich gut zwischen den malerischen alten Häusern, deshalb steigen wir auf dem Weg zum Musikmuseum eine Station zu früh aus und gehen das letzte Stück zu Fuß. Nein, das war natürlich keine Absicht, der Standort war vielmehr falsch in der Karte markiert, aber im Nachhinein war es eine gute Entscheidung, vor allem wenn das Museum erst eine Viertelstunde später öffnet.
Das tschechische Museum für Musik ist in einer ehemaligen Kirche untergebracht und der Hauptraum für Konzerte bestuhlt, man sieht aber auf den Emporen ausser zwei Kirchweihorgeln keine weiteren Instrumente. Diese befinden sich allesamt in der ersten Etage hinter geschlossenen Türen, und das ist auch gut so, denn an der einen oder anderen Stelle ist tonerzeugendes Anfassen erwünscht. Natürlich nicht bei den historischen Tasten-, Streich-, Zupf- und Blasinstrumenten, aber man darf sich an einem echten Theremin versuchen, einem Orgelmodell ein paar Töne entlocken und ein wenig an einer irischen Harfe zupfen. Es gibt ein Mozartklavier, das aber eigentlich ein Cembalo ist, und eines für Vierteltöne. Man wüßte ja zu gerne, wie so ein Instrument gespielt wird, aber es gibt leider nur Hörbeispiele und keine Videos.
Unten im Erdgeschoss ist in einem Nebenraum noch eine Sonderausstellung aufgebaut. Interessant? Wir werfen einen kurzen Blick hinein und werden, obwohl bereits wieder zum Gehen gewandt, von einer Aufsichtskraft zum Vorzeigen der Eintrittskarten genötigt. Ratsch, sind sie auch schon eingerissen. Es waren aber die falschen, nämlich fürs Nationalmuseum, die nun ebenfalls entwertet sind, obwohl wir dort noch gar nicht waren. Die Kassenkraft meint aber, das sei kein Problem, denn für deren Scanner sei der aufgedruckte Code maßgeblich.
Unser nächster Weg führt uns mit der Straßenbahn 22 hinauf zum Hradschin. Vorbei an der Wachablösungs-Zeremonie und über den ersten Innenhof gelangen wir zum Veitsdom, für die man aber Eintrittskarten braucht. Diese gelten für den gesamten Burgbereich und kosten, wenn man noch keine 65 ist, pro Person 250 Kronen. Für uns jeweils nur die Hälfte. Die Kirche verfügt über schöne gotische Glasfenster und ein mit Silber reich verziertes Heiligengrab. Man könnte auch den südlichen Turm besteigen, aber das verkneifen wir uns und queren stattdessen den zweiten Innenhof sowie einen großen Saal, gelangen schließlich zur älteren und kleineren zweiten Kirche mit ein paar schönen Fresken im Chorraum. Auch diese hinter uns lassend erreichen wir das Goldene Gäßchen mit seinen geradezu winzigen Häusern, in denen kleine Läden allerlei Geschmeide feilbieten. Einige sind aber auch historisch eingerichtet, und man kann einen Blick hinein werfen. Sogar ein winziges Kino gibt es, mit vielleicht 12 Sitzplätzen und vielen alten Filmrollen.
Ein enger Durchgang führt von hier nun hinab zu einer Terrasse mit herrlichem Blick über die Stadt und die Moldau, ein ebenso enger zweiter wieder hinauf in die Burg, wo uns als letzte Attraktion das Palais Lobkowitz erwartet. Das herrschaftliche Wohnhaus birgt einen Raum mit Vogelbildern, einen mit Hundebildern, einen mit Schönheiten weiblichen Geschlechts und am Ende einen Musiksaal, der im Augenblick aber unzugänglich ist, weil darin deutlich hörbar ein Konzert stattfindet. Aha, deshalb war also die Tür vom Treppenhaus her verschlossen und mit einer Kordel verhängt gewesen.
Menschen über 65 dürfen die ohnehin preiswerten öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos nutzen. Aber gilt das auch für Touristen aus anderen Ländern? Nun, ich zeige meinen Perso, und der Kontrolleur ist zufrieden.
Für den Abend steht unser erster Opernbesuch auf dem Programm: das Nationaltheater gibt heute Eugen Onegin. Wir haben sehr gute Plätze im zweiten Rang in der ersten Reihe Mitte und genießen das wunderschöne Haus und das ebenso wunderschöne Bühnenbild, wo adrett anzuschauende Mädchen in pastellfarbenen Kleidern zur Ouvertüre tanzen. Die Musik von Tschaikovski ist dafür ja auch ganz besonders gut geeignet. Dem ersten Tanz folgt sogleich ein zweiter, ohne dass einer der Darsteller die Singstimme erhebt. Wir haben doch nicht etwa…? Doch, wir haben aus Versehen statt einer Oper eine Ballett-Aufführung gebucht. Sie heißt auch nicht Eugen Onegin, sondern nur Onegin, also ohne Eugen und eben auch ohne Gesang, was dem Genuss aber keinen Abbruch tut, im Gegenteil. Die Choreografie ist von John Cranko und ebenso das Bühnenbild, die Musik diversen Werken des Komponisten entnommen, darunter auch einige orchestrierte Klavierstücke, aber nicht eine einzige Zeile entstammt der (fast) gleichnamigen Oper.
Wie auch schon heute morgen bei der Straßenbahn muss ein Irrtum nicht zwingend ein Nachteil sein, oft ist es auch genau anders herum: wir erlebten einen großartigen Abend, der uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Und die Darsteller erhielten viel Applaus.