Der Giardino Giusti, ganz in der Nähe unseres Quartiers, könnte eine schöne Aussicht über die Stadt bieten, kostet allerdings Eintritt, und das nicht zu knapp. Zudem soll vor drei Jahren ein Orkan die Goethe-Zypresse zerstört haben. Wollen wir ihn trotzdem besichtigen oder lieber der Straße auf den Hügel folgen? Beim Garten sind auch die Innenräume der Villa inkludiert, und das gibt schließlich den Ausschlag: wir investieren 2×11 Euro und stehen in einem Garten, der uns geschlagene drei Stunden lang fesselt.
Geschlagene Stunden darf in diesem Fall wörtlich genommen werden, denn Punkt 12 Uhr geben die Veroneser Kirchenglocken quasi ihr Mittagskonzert. Aus allen Himmelsrichtungen kommen die Stundenschläge, gefolgt vom jeweiligen Geläut. Vor Ehrfurcht halten sogar die ewig zirpenden Zikaden ein paar Minuten lang inne. Nein, sie zirpen natürlich weiter, wir hatten uns einfach nur an die Geräuschkulisse gewöhnt.
Schon Dichterfürst Goethe soll sich hier von den Strapazen seiner Italienreise erholt haben. Bis vor drei Jahren gab es sogar noch die Zypresse, in deren Schatten er vielleicht das eine oder andere seiner Werke erdichtet hat. Doch dann kamen Sturm und Drang auch über den Garten. Ob der Drang Spuren hinterlassen hat, wissen wir nicht, der Sturm jedenfalls entwurzelte die ehrwürdige Goethe-Zypresse und auch noch etliche andere. Inzwischen sind die Lücken aber wieder weitestgehend geschlossen, und nur der eine oder andere Buchsbaum hat noch nicht zu seiner kugeligen Form zurückgefunden.
Zur Linken bewahren die Gärtner ihr Werkzeug auf, hier ist also sozusagen das Rechenzentrum. Vorbei an allerlei Statuen steigt man hinauf zum keinen Pavillon und findet hinter diesem eine versteckte Steintreppe, die hinab zur Grünen Höhle führt, einem blattumrankten Laubengang. Zur anderen Seite hin soll es eine geheime Wendeltreppe geben. Auch sie ist schnell gefunden und gar nicht so geheim, denn ihre vier Fenster, eines pro Stockwerk, liegen direkt in der Sichtachse des Lustwandelwegs. Oben trennt eine Balustrade mit Aussichtsbalkon die obere Wiese vom Steilhang. Von unten sieht man, dass der Balkon ein grimmiges Gesicht macht. Aber warum nur? Rätselt er vielleicht schon seit hundert Jahren über den richtigen Weg durch das Labyrinth? Auch wir finden ihn nicht. Müssen wir aber auch nicht, denn die Mitte besteht einfach nur aus Mitte und sonst nichts. Machen wir es doch lieber den Schildkröten nach und genießen noch ein Weilchen die beiden Springbrunnen.
Zum Garten gehört vorne das herrschaftliche Haus mit seinen herrschaftlichen Möbeln. In einem der Zimmer, dem Pferdezimmer, sind sie durchgängig hufeisenförmig: die Beine des Tisches und der Sessel, ja sogar das Wandregal. Und im Schlafzimmer der Dame befindet sich der Kleiderschrank oberhalb des Himmelbetts, mit einer verborganen Treppe zum Hinaufsteigen. Bemerkenswert sind auch die ausgestellten Fotoalben vom Urlaub in St. Moritz anno 1890.
Auf dem Rückweg noch schnell ein paar Kleinigkeiten einkaufen? Ja, wenn das so einfach wäre! Den Supermarkt aus dem Navi-Stadtplan gibt es nicht mehr, die kleinen Läden in den Straßen führen alles außer Alimentari, und der Veroneser Aldi befindet sich für fußläufige Verhältnisse ziemlich weit weg. Schon recht erschöpft gönnen wir uns eine Mahlzeit in einer kleinen Pizzeria direkt neben dem Anfiteatro, genau dort, wo Teile der diversen Bühnenbilder auf ihren nächsten Einsatz warten. Der haushohe bronzene Kopf gehört wohl zu Tosca, die Theaterloge mit dem roten Samtvorhang wiederum können wir keiner Oper so recht zuordnen.
Der Abend gehört heute der Frau, die ein gewisser Radamès mit den Worten beschreibt: „Celeste Aida, forma divina”. Wir sind nämlich am Hauptziel unserer Reise, in der Arena di Verona, dem römischen Amphitheater, von dem noch so viel Mauerwerk steht, dass darin seit mehr als hundert Jahren Opernfestspiele ausgetragen werden. Und heute abend wird „Aida” von Giuseppe Verdi gegeben – jene Oper für Kairo, die der berühmte Mailänder Komponist anfangs gar nicht schreiben wollte, sich dann aber doch dazu breitschlagen ließ. Anderenfalls stünde heute vielleicht „Aida” von Richard Wagner auf dem Spielplan, und wir säßen auch nicht in Verona, sondern auf dem grünen Festspielhügel.
Für die Rolle der Aida wurde heute keine Geringere verpflichtet als Anna Netrebko. Einige weitere Akteure des heutigen Abends stehen aber, obwohl sie ebenfalls tragende Rollen innehaben, überhaupt nicht auf dem Programm. Die Wolke zum Beispiel, in der sich die Strahlen des Lichtdoms trefen und so den ergreifenden Anschein erwecken, als sende Gott Osiris seine Strahlen vom Himmel herab auf die Opernbühne. Und auch nicht der aufgehende Vollmond, der sich ein wenig später genau über derselben erhebt und im weiteren Verlauf immer höher klettert, als sei er ein Teil der Inszenierung. Für ein einzigartiges Opernerlebnis sorgen zudem die riesige Zahl von Ballett- und Chormitgliedern sowie natürlich die vielen farbigen Laserlichteffekte, die wahrscheinlich in der ganzen Stadt zu sehen sind. Genau wie auch Verdis Musik, die wirklich zu den besten der Operngeschichte gehört, die Straßen ringsum erfüllen und somit auch dort für ein zauberhaftes Ambiente sorgen dürfte.