Bei Rembrandt in der U-Bahn

Wir frühstücken beim „Lukas”, das ist ein Bäckerei-Café ganz in der Nähe der Nicolaikirche, das auch sonntags schon sehr früh öffnet, auch wenn der Andrang zu weniger unchristlichen Zeiten sicher deutlich größer ist und die Serviceroboter, die wir gestern schon bemerkt hatten, sicher mehr zu tun haben als heute. Auch von den drei Bestellterminals macht niemand Gebrauch, obwohl es zu Stoßzeiten sicher sehr angenehm ist, seine Wünsche einfach in den Bildschirm zu tippen und sich dann nach dem Bezahlen per Karte samt PUK, so heißen die kleinen Piepser, an einen freien Tisch zu setzen und auf Robby oder Wally zu warten. Woher wissen die beiden elektronisch Beflissenen eigentlich, wo der Gast Platz genommen hat? Nun, der PUK wird es ihnen verraten haben. Unser Tablett müssen wir natürlich selbst vom Roboter herunternehmen und ihm den PUK übergeben, damit das Maschinchen dann wieder in die Küche rollen und den nächsten Gast bedienen kann. Ciao, Wally.

Viel zu früh stehen wir wenig später vor einem der Eingänge des Museums der bildenden Künste. Es hat deren vier, einen pro Himmelsrichtung. Als um Punkt 10 Uhr der Aufschließer kommt, fällt er sogleich vor uns auf die Knie. Aber nicht aus Ergebenheit, sondern weil sich die Schlüssellöcher für die Glastüren im Fußboden befinden.

Das Museumsgebäude ist ein Kubus von gewaltigen Ausmaßen, wirkt aber dennoch leicht und luftig. Allein bei der Konzeption der Schließfächer hatte der Architekt einen schlechten Tag, denn die Gasse hinter der Kasse mit den Schränkchen zu beiden Seiten ist eng, und man steht sich selbst bei geringem Andrang gegenseitig im Weg. Dafür sind aber die Treppen, von denen es mehrere gibt, recht großzügig bemessen.

Der Bereich für die Sonderausstellungen befindet sich im Untergeschoss. Die sehr geschickte Raumaufteilung läßt keinen Zweifel daran, in welcher Reihenfolge man die Bilder und Zeichnungen betrachten soll. Jedoch kommt relativ schnell das Gefühl auf, man sei akustisch in eine U-Bahn geraten. Denn wer kennt nicht diese typische Geräuschkulisse, wenn sich zum Stimmengewirr im Großraumabteil des abfahrbereiten Zuges das immerfort schrillende Lülo-Lülo der sich auf Knopfdruck in Kürze öffnenden oder gleich schließenden Türen hinzu gesellt, mal laut und in der Nähe, mal weiter entfernt und oft auch gleichzeitig aus mehreren Richtungen? In der Rembrandt-Ausstellung des Leipziger MdbK kann man das ganz genauso erleben. Denn die Gemälde und insbesondere die Zeichnungen  Rembrandts und seiner Zeitgenossen sind lichtempfindlich und die Beleuchtung entsprechend gedimmt, während gleichzeitig die Texte auf den Täfelchen klein sind. Und so unterschreitet in der weitläufigen Hängungsrunde alle paar Sekunden ein sich vorbeugender Kopf oder eine auf Details zeigende Hand den per Bodenlinie markierten Sicherheitsabstand, so dass Alarm und Wachpersonal den Täter, so er sich denn als solcher wahrnimmt, zurückzucken und für den Rest seines Rundgangs mehr auf die Linie denn auf die Kunst achten läßt. Aber die akustische Sensibilisierung wirkt natürlich nur bei jenen, die einmal damit in Konflikt geraten sind, die neu Hinzukommenden hingegen wissen noch nichts von der hohen Empfindlichkeit der Abstandswarner.

Das MdbK verfügt auch über eine umfangreiche Dauerausstellung, die sich in den oberen Stockwerken befindet. Der Lift nach oben führt freilich ein etwas verstecktes Dasein und läßt sich auch sehr lange bitten, so dass wir am Ende dann doch die lange Treppe nehmen. Oben angekommen, tut sich eine Welt auf. Eine Welt voller Gemälde, von denen viele Weltruf genießen, Caspar David Friedrichs Lebensalter zum Beispiel oder Claude Monets „Boote am Strand von Etretat”. Das Lieblingsmotiv des Verfassers ist hingegen weit weniger spektakulär. Es zeigt ein Gerippe, das gerade einem dringenden Bedürfnis nachgeht. Den „pinkelnden Tod” nannte Max Klinger sein Werk.

Wer mit der Bahn fährt, kann das Leben in vollen Zügen genießen. Und das sogar, wenn in der Fahrplanauskunft „geringe Auslastung“ stand. In der Sitzgruppe gegenüber hat sich eine junge Frau niedergelassen, die über geschlossene Kopfhörer mit irgend jemandem telefoniert. Sich akustisch in einer anderen Umgebung wähnend, spricht sie natürlich viel zu laut und bekommt auch nicht mit, dass sie die anderen Fahrgäste mit ihren intimsten und privatesten Details beschallt. So weiß schon bald das ganze Abteil, wann und wo sie sich mit ihrem Gesprächspartner treffen will. Und dass sie der Freundin, die morgen Geburtstag hat, eigentlich den weißen Pullover schenken wollte, den sie nun aber schon hat. Als der Zug in einem Bahnhof hält, schreckt sie auf: wo sind wir hier eigentlich? Und wie aus einem Mund antworten die Mitreisenden: „In Breitengüßbach!“

Category: Allgemein, Ausflüge
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