Vom Frauenschuh zum Glücksdrachen

Es gibt einen Berghang in der Fränkischen Schweiz, den ich mit meinem Papa in den vergangenen Jahren so oft aufgesucht hatte, dass wir uns dort schon fast wie zuhause fühlten: mit jedem Baum und jedem Strauch waren wir quasi per Du, kannten jede Wegbiegung und natürlich auch jede Stelle, an der es sich lohnte, ein paar Augenblicke lang zu verweilen, um den Blick in die Ferne zu genießen, das Summen der Insekten, den Duft der Wiesenkräuter oder das Zwitschern eines Vogels.

Ganz besonders liebten wir aber die botanischen Raritäten entlang des Weges und erfreuten uns an deren jährlichem Stelldichein an den vertrauten Stellen: das Heckenrosengestrüpp etwa, bei dem sich Jahr für Jahr ein paar Blütenstände der Bocksriemenzunge zeigten, jener heimischen Orchidee, deren Einzelblüten ungewühnlich lang und an ihren Enden spiralig aufgerollt sind, und die angeblich nach Ziegenbock riecht. Weit weniger auffällig sind im Vergleich dazu die kleinen Bienen-Ragwurze, die sich ganz in der Nähe um ein ähnliches Gesträuch gruppieren. Hat man erst einmal seine Augen an einer der insektengroßen Blüten geschärft, entdeckt man ringsum meist noch ein paar weitere. Heute aber nicht: entweder hatte die Art ein schlechtes Vorjahr, oder aber die Knospen verbergen sich noch so tief in den Blattrosetten, dass man sie nicht vom Gras unterscheiden kann.

Am liebsten würde ich an diesem herrlichen Fleckchen Erde noch für einige Zeit verweilen, den Blick am Hochsitz vorbei über das weite Land schweifen lassen und dabei an meinen Papa denken, der diese Fernsicht auch stets sehr genossen hatte, bevor wir wieder zurückliefen zum Wanderparkplatz. In den letzten Jahren strengte ihn der Weg und vor allem die kleine Steigung jedoch zunehmend an, und wir wanderten auch nicht mehr weiter zum Aussichtspunkt mit den Sitzbänken. Seit diesem Jahr ist er nun nur noch in meinen Gedanken mit von der Partie.

Ganz sicher hätte er auch heuer wieder vorgeschlagen, jenes Wäldchen aufzusuchen, wo unsere schönste heimische Orchidee, der Frauenschuh, in recht beträchtlicher Zahl vorkommt. Man muss die Stelle in einem lockeren Buchenlaubwald allerdings kennen, sonst findet man sie nicht. Und da sind sie auch schon: zuerst nur ein paar einzelne verstreute Blüten, aber schon ein Stück weiter heißt es dann aufpassen, wohin man tritt. Jede Pflanze trägt nur eine oder zwei Blüten, die aus jeweils einer pantoffelförmigen gelben Insektenfalle und vier weiteren rostroten Blütenblättern besteht. Eigentlich sind es sogar deren fünf, von denen zwei so verwachsen sind, dass nur die doppelte Spitze das kleine Geheimnis verrät.

Nun ist es aber an der Zeit, zum eigentlichen Ziel unserer heutigen Fahrt aufzubrechen: wir wollen auf der Bühne der Luisenburg-Festspiele eine öffentliche Probe miterleben. Um die Fahrt ins rund 100 Kilometer entfernte Wunsiedel etwas interessanter zu gestalten, wählen wir nicht die Autobahn, sondern nehmen von Pegnitz die Strecke über Kemnath. Leider hat die Erinnerungsstätte für den Heldentenor Peter Hoffmann gerade nicht geöffnet, und auch den Gedenkraum für den Komponisten Max Reger lassen wir ebenso links liegen wie zuvor schon das Wurzelmuseum in Tremmersdorf. Denn allmählich melden sich gewisse Hungergefühle, und an der Luisenburg gibt es, wie wir von unserem letzten Besuch wissen, ein SB-Restaurant. Dummerweise hat es aber geschlossen.

Fündig werden wir allerdings unten im Ort bei Lydias Bratwursthaisl, wo es hinter der Imbißhütte einen kleinen Biergarten gibt – so klein, dass nur gerade einmal vier oder fünf Tische darin Platz gefunden haben. Was für ein bezaubernder Ort, um hier mit einer Halben Bier je einen Bratwurst-Cheeseburger hinunterzuspülen.

Den Parkplatz vor der Luisenburg-Bühne kennen wir bereits von unserem ersten Versuch, hier oben an eine warme Mahlzeit zu kommen. Dass wir ein zweites Mal für den Parkplatz bezahlen müssen, ist zum Glück nicht der Fall: das System erfaßt von jedem einfahrenden Auto das Kennzeichen, das man sodann beim Bezahlen in den Kassenautomaten tippen muss. Unterläßt man es, wird eine saftige Vertragsstrafe fällig. Auf dem Hinweisschild steht aber, dass das Ticket 24 Stunden gilt.

Und Hinweisschilder sagen ja bekanntlich immer die Wahrheit: unterhalb der letzten Treppe steht zum Beispiel eines, das auf eine öffentliche Toilette hinweist, mit einem Pfeil in Richtung eben dieser Treppe. Aber wo befindet sich das ersehnte Örtchen denn nun? Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes werden wir fündig. Leider ist aber die Tür versperrt. Und das, obwohl eine Besucherin sagt, sie habe dort vor wenigen Minuten noch jemanden herauskommen sehen. Ich frage am Eingang des Felsenlabyrinths, wie das denn sein kann? Wir schließen in einer halben Stunde, so die Auskunft, also haben wir das Klo geputzt und abgeschlossen. Dann müssen Sie aber doch auch Ihr Hinweisschild wegräumen, mache ich meinem Ärger Luft. Welches Schild? Da unten, unterhalb der Treppe, ein großer Aufsteller mit einem Pfeil drauf! Es stellt sich heraus, dass nicht der Angesprochene, sondern das Hotelrestaurant dieses Schild aufgestellt hat, wahrscheinlich weil bei denen immer wieder Besucher nach einem Klo begehrten. Ich hatte meine Kritik an die falsche Person gerichtet.

Die öffentliche Probe der Festspielbühne läuft etwas schleppend an. Zwar sind die Tickets bereits kontrolliert, aber die Türen zur Tribüne bleiben bis zur letzten Minute geschlossen. Zum Glück stehen wir ganz vorne: der frühe Vogel fängt den Wurm des guten Platzes. Ist ein Arzt anwesend, will plötzlich jemand wissen. Wir haben nämlich einen Notfall. Und müssen deshalb ganz weit zur Seite rücken, werden schließlich sogar durch den kleinen Seiteneingang in den Zuschauerbereich geführt, mit den am längsten Anstehenden als unfreiwilligen Schlußlichtern. Das macht aber nichts, denn die guten Plätze reichen für alle. Und so harren wir der Dinge, die da kommen sollen.

Heute wird die Szene mit dem Spinnennetz geprobt, in welchem sich der arme Glücksdrache verfangen hat, jedoch mit einer List wieder freikommt. Später hat Fuchur, der ganz allerliebst die Augen aufschlagen kann, auch noch eine Szene, in der er seine Flügel ausbreitet und fliegt. Leider mußten eben diese Flügel noch einmal zurück in die Werkstatt, so dass wir nur einen Kopf auf einer Metallkonstruktion zu sehen bekommen. Aber in der Unendlichen Geschichte geht es ja gerade um Phantasie, das passt dann schon. 

Aus den oberen Felsen der Naturbühne tritt soeben eine Stimme heraus. Liegt es an ihren eurythmischen Bewegungen, dass wir die Stimme auch sehen können? Die Stimme wiederum spricht nicht nur, sondern hört auch zu, versteht allerdings nur Gereimtes. Genau hier hat nun das schüchterne Menschenkind Bastian seinen ersten Auftritt, denn Atreju, der nie eine Schule besucht hat, kann nicht reimen. In Wunsiedel wird der Held übrigens von einer athlethischen jungen Frau verkörpert, denn „auch Mädchen können Helden sein“. Wie es mit der Geschichte um das Land Phantasien und seiner Kindlichen Kaiserin weitergeht, wird heute noch nicht verraten.

Es war ein sehr schöner Einblick in die Probenarbeit der Festspielbühne, den wir da bei freiem Eintritt erleben durften, und wir sind schon sehr gespannt auf die fertige Vorstellung – die einzige übrigens, die von den Rechteinhabern autorisiert wurde. Die Fahrt zurück nach Nürnberg verläuft ohne besondere Vorkommnisse.

Category: Allgemein, Ausflüge
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