Der Tag unserer Anreise beginnt sehr früh, denn um rechtzeitig um 5 Uhr 40 an der Rothenburger Straße zu sein, müssen wir den allerersten Linienbus nehmen. Gibt es an der Haltestelle Gustav-Adolf-Straße, wo wir vom 69er in die U3 umsteigen wollen, einen Lift? Schon, aber irgendein Schlaukopf hat ihn auf die gegenüberliegende Seite der Kreuzung plaziert und auch nicht an Rolltreppen für einsteigende Kofferträger gedacht. Nun, wozu hat der Mensch zwei Arme? Drei Stationen weiter gäbe es eine Rolltreppe auch nach unten, aber die brauchen wir hier nicht, weil wir ja nach oben müssen. Jetzt noch ein Stück weit über holpriges Kleinpflaster, Straßenplaner scheinen nie Koffer bei sich zu haben, und schon stehen wir an der Stelle, wo uns der Leitner-Bus aufnehmen soll. Ist er das? Hinter der Scheibe liegt nur ein Willkommensgruß. Nein, das ist er nicht. Aber der nächste ist es. Rasch sind die Koffer verladen, bei uns Passagieren dauert das Procedere etwas länger, denn jeder hat seinen zugewiesenen Sitzplatz. Bevor aus den ersten Regentropfen ein gänzlich unerwarteter Wolkenbruch wird, sind aber zum Glück alle im Trockenen. Was für ein Wetter! Und der Busfahrer heißt Gerrit.
Wir haben bis Montecatini Terme eine lange Strecke vor uns, und die Lenkzeiten der Busfahrer sind streng reglementiert. Omnibus Kraus aus Forchheim, der für Leitner fährt, setzt daher einen Vorlader ein, der den Bus samt Insassen bis zu einem Übergabeplatz bringt. Vorher gilt es aber noch, in Allersberg weitere Mitreisende aufzunehmen. Personen mit Koffern warten auch in der Nähe von Rosenheim. Einer von ihnen ist der Fahrer, der uns in die Toskana bringen wird und am fünften und letzten Tag auch wieder zurück. E heißt Thomas und ist ebenso sympathisch wie unterhaltsam.
Offenbar verfügt der Bus über eine Kameradrohne auf dem Dach, denn ein Bildschirm zeigt Fahrzeug und Umgebung aus der Vogelperspektive. Aber es ist nur eine Collage aus vier Kamerabildern: vorne, hinten und an jeder Seite. So ausgerüstet, setzt Thomas den Reisebus damit sicherer zurück als unsereiner seinen PKW.
Auch die Zugestiegenen hätte beinahe noch der Regenschauer ereilt, der sich soeben über den abfahrbereiten Bus ergießt. Glück gehabt, wie auch schon bei unserem eigenen Zustieg.
Schnell nähern wir uns nun Innsbruck und der Brennerautobahn. Gleich hinter der Europabrücke gibt es einen Kettenanlegeplatz. Müssen die mitreisenden Damen ab hier ihre Perlenketten anlegen? Späßle. Wir gelangen staufrei nach Italien, wo es bei Trient die erste längere Pause gibt. Mit warmen Würstchen aus der bescheidenen Bordküche, denn die Verköstigung der Passagiere ist bei Leitner Programm. Es hätte übrigens auch Kaffee gegeben. Der Bierkeller befindet sich ganz vorne im Bus, ungefähr da, wo beim PKW das Handschuhfach ist. Und hält natürlich auch Wasser, Apfelschorle und Cola kühl.
Hand hoch, wer war schon einmal in Modena? Der Name des Städtchens ist jedem Italienreisenden vertraut, weil es die ganze A22 entlang als Ziel auf den Wegweisern steht. Heute entscheiden wir uns an deren Ende weder für Milano noch für Bologna, sondern verlassen die Autostrada und gelangen alsbald zu einem kleinen Betrieb, der Balsamico herstellt. Man braucht dafür drei Dinge: gekochte Weintrauben, Holzfässer und viel Zeit. Die teuren, 12 oder 25 Jahre gelagerten Sorten genießt man pur auf erlesenen Gerichten, den nicht ganz so edlen wird etwas Weinessig zugesetzt. Als Salatdressing sind sie natürlich allesamt viel zu schade.
Zwischen Bologna und Florenz haben die Italiener eine neue Autobahn gebaut. Obwohl es eigentlich schon eine gibt, und noch dazu eine sehr schöne, in die Berglandschaft des Apennin eingepaßte, mit vielen Brücken und Tunneln. Aber sie war eben nicht mehr leistungsfähig genug, und so kam man auf die Idee, eine völlig neu trassierte Direttissima zu bauen und die alte Strecke als Panoramica weiter zu betreiben. Stellenweise wird die bisher nach Süden führende Fahrbahn auch so umgebaut, dass jetzt beide nordwärts befahren werden. Und an einer Stelle liegen die beiden Trassen sogar vertauscht, so dass man die Gegenfahrbahn ein Stück weit zur Rechten hat statt zur Linken. Die Umbauten sind allerdings noch nicht ganz abgeschlossen.
Ob wir es wohl rechtzeitig zum Abendessen ins Hotel nach Montecatini Terme schaffen? Die Straßen des alten italienischen Städtchens sind eng und mit Platanen gesäumt, da kann ein so großer Reisebus nicht einfach abbiegen. Und weil Thomas noch nie hier war und auch seine beiden Navis, das vom Bus und das private, mit der Situation nicht so wirklich zurecht kommen, irren wir erst einmal kreuz und quer durch die Kernzone, denn wegen der Einbahnstraßen braucht es für jeden neuen Anlauf erst wieder einen langen Umweg. Mit telefonischen Tipps von der Hotelrezeption, einer Zweitmeinung aus den Reihen der Passagiere und etwas Intuition biegen wir dann aber doch noch in die zielführende Straße ein. Zum Umziehen ist keine Zeit mehr, wir setzen uns direkt an den für Germania gedeckten Tisch.
Das Abendessen kommt aber nicht. Warum nicht? Weil die Küche noch auf Thomas warten will, der seinen Bus nicht vor dem Hotel stehen lassen darf, denn dafür hat er keine Konzession. Irgendwann kommt dann aber doch etwas auf den Tisch: Vorspeise, erster Gang, Hauptgang, Salatbuffet und schließlich die Dolci, also der Nachtisch. Das Hühnchengericht ist irgendwie verschnürt, aber man bekommt das Gummiband nicht herunter, und durchschneiden läßt es sich auch nicht. Nun, langsam essen soll ja sehr gesund sein.
Wir wohnen auf Zimmer 232 im zweiten Klavier. Nein, im zweiten Stock, das italienische Wort ist ja dasselbe. Und die Steckdosen sehen so aus, als könne man keinen Fön daran anschließen. Alles, was Eurostecker hat, paßt aber, und für den Haartrockner hält die Rezeption passende Adapter bereit. Vorausgesetzt man kann seinen Wunsch dem Rezeptionisten verständlich machen: wie bitte heißt Adapter auf italienisch? Oder auf englisch? Ich habe eine bessere Idee und rufe auf dem Handy einfach das Bild eines Schukosteckers auf. Und schon liegt das Gewünschte vor uns. Fünf Euro Kaution wollen sie dafür haben, für den Fall, man ihn nicht zurückbringt. Hotels kennen halt ihre Pappenheimer.
Der Abend ist noch jung, und in der Straße, in der auch das Hotel steht, steppt der Bär. Will heißen, es reiht sich ein Restaurant oder Nachtcafé an das andere. Wir laufen, bis wir an eine Eisdiele kommen. Wie heißt nochmal Eistüte auf italienisch? Und Kugel? Ich bestelle mir Stracciatella, den Gelatiero freut’s: wahrscheinlich habe ich es richtig ausgesprochen. Und das original italienische Eis tropft schon beim Verlassen der Eisdiele auf den Boden, denn es in Montecatini ist es heiß. Da heißt es schnell schlecken!