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Ein Tag voller Musik

Um nach Leipzig zu gelangen, haben wir uns für eine sehr ökonomische Lösung entschieden, nämlich den Regionalzug. Die Verbindung besteht aus zwei Teilstrecken, einmal von Nürnberg nach Saalfeld über Bamberg, Schweinfurt und den ehemaligen Grenzbahnhof Probstzella, und dann noch einmal von Saalfeld über Gera nach Leipzig Hauptbahnhof. Der erste Zug ist ein Doppeldecker, der zweite ein relativ kleiner und bis auf den letzten Platz ausgelasteter Dieseltriebwagen. Heute ist ein herrlicher Herbsttag, die höher steigende Sonne läßt Nebelschwaden aus den frisch gepflügten Feldern emporsteigen. Abgesehen von einem lautstark schnarchenden Mitreisenden, der für die Fahrkartenkontrolle erst mühsam geweckt werden muss, haben wir recht angenehme Mitreisende, insbesondere den Achtjährigen, der voller Stolz berichtet, er sei mit seinen Eltern und dem kleinen Bruder unterwegs zum Rummel nach Leipzig, der viel größer und schöner sei als zuhause in Gera.

Leipzig ist ein Kopfbahnhof, man läuft vom Bahnsteig schnurstracks hinaus auf den Vorplatz, überquert ein paar Straßenbahngleise und ist dann auch schon in der verkehrsberuhigten Altstadt, wo wir nach wenigen hundert Metern zur Rechten das Motel One vorfinden. Das Zimmer ist noch nicht bezugsfähig, aber wahrscheinlich sehen wir so ermattet aus, dass die freundliche Rezeptionistin verspricht, uns in einem der ersten unterzubringen, die heute frei werden, und stellt auch unsere Koffer unter, so dass wir uns frei in der Stadt bewegen können.

Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, denn wir haben uns für die zwei Tage einiges vorgenommen. Auf dem Besuchsprogramm steht zunächst einmal das Museum für Musikinstrumente, das ein Teil des Grassimuseums ist und mit einem viertelstündigen Fußmarsch erreichbar.

Wie groß mag das Museum wohl sein? Man ist ja immer gut beraten, sich vorab zu überlegen, wie viel Zeit man hat und wieviel man davon in die einzelnen Säle und Themen investieren will. Aber wie viele gibt es? Kann man sich auch Zeit für die eine oder andere Hörprobe nehmen? Die hier nicht wie anderswo über einen Hörer eingespielt werden, sondern stets den ganzen Raum beschallen? Was je nach Besucherstruktur aber durchaus Vorteile hat, besonders wenn jedes Instrument über einen anderen Lautsprecher eingespielt wird.

Sehen wir uns also den ersten Saal an. Es geht um Streichinstrumente mit 18 Saiten, die weiß der Geier wie gestrichen wurden, Im zweiten dann um Klaviere mit geteilten Obertasten und im dritten um das Musikleben zu Bachs Zeiten. Als nächstes folgt nun der Konzertsaal mit der berühmten Silbermann-Orgel, und zu guter Letzt führt der Weg durch drei weitere Säle wieder hinaus ins Foyer mit den Kassen und dem Übergang zum anderen Museum im Grassi, dem Museum für Völkerkunde. Aber das heben wir uns für einen anderen Besuch auf.

Was uns bei den Instrumenten auffiel waren vor allem die vielen Möglichkeiten, die Tafeln mit den einführenden Texten unterzubringen. Mal hingen sie an der Wand wie in anderen Museen auch, dann wieder seitlich an der Vitrine und einmal sogar an der rückseitigen Vitrinenwand. Und dann die vielen exotischen Instrumente! Was wie (eine Kommode mit vielen seitlich ineinander gesteckten Schüsselchen) die Auslage eines Porzellanladens aussieht, ist eine Glasharmonika. Sie wird mit angefeuchteten Fingern gespielt, das Schwämmchen dafür liegt griffbereit. Eindruck machen auch die selbstspielenden Geräte in allen Größen, von der Lochstreifen-Mundharmonika bis hin zum schrankgroßen Orchestrion des Leipziger Herstellers Hupfeld.

Zurück im Hotel ist das Zimmer 330 soeben fertig geworden. Die Innenstadtlage hat den Vorteil, dass wir nicht lange nach einem Imbiß suchen müssen, die Wahl fällt auf den Asiaten gleich nebenan. Reis mit Stäbchen zu essen ist übrigens eine echte Herausforderung.

Heute Abend haben wir Karten für die Musikalische Komödie. Gegeben wird die wohl bekannteste Operette von Johann Strauß: „Die Fledermaus”. Zuerst aber gilt es, die im Stadtteil Lindenau gelegene Spielstätte zu finden. Wir nehmen die Straßenbahn zur Haltestelle „Angerbrücke“ und plaudern während der Fahrt mit einer jungen Mutter über deren Pläne, den aufgeweckten Sohn nächstes Jahr bei den Thomanern einzuschulen, wo er vielleicht eines Tages Chorknabe wird. Das letzte Stück Weges gehen wir zu Fuß. Schneller als erwartet, denn der Park war nur ein Grünstreifen und der Fluß nur ein Bach, stehen wir vor einem eingerüsteten Bau und wären beinahe daran vorbei gelaufen, hätten wir nicht die vielen vor dem Eingang wartenden Leute bemerkt. 

Der Theaterbau strahlt samt Personal den nüchternen Charme der DDR aus, aber wir haben gute Sicht auf die Bühne und sind schon bald von der pfiffig inszenierten Handlung und der schönen Musik begeistert. Es geht um einen Mann, der wegen Beleidigung einer Amtsperson eine Haftstrafe antreten und deshalb seine hübsche junge Frau für ein paar Tage allein lassen muss. Beide nutzen die Gelegenheit, sich bis zum Morgen ohne Wissen des anderen zu amüsieren: er beim Maskenball des Prinzen Orlowsky, sie mit ihrem heimlichen Liebhaber, der dann aber für den vermißten Häftling gehalten wird und sich, um die Dame nicht zu kompromittieren, abführen lassen muss. Ganz nebenbei weilt auch die Kammerzofe keineswegs bei ihrer angeblich kranken Tante, sondern auf dem bewußten Ball. Verständlich, dass sich nun allerhand Verwicklungen ergeben, insbesondere als auch noch die Ehefrau maskiert die Szene betritt und ihrem Mann, der sie nicht erkennt, als Beweis seiner Untreue die Taschenuhr abluchst. Zudem wird die Zofe im rosa Fummel ihrer Herrin, momentan aber eben ohne denselben, angetroffen. Mehr soll aber nun wirklich nicht verraten werden.

Die Rückfahrt mit der Straßenbahn zum Hotel verläuft relativ ereignislos.

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Bei Brahms, Mahler und Hagenbeck

Hamburg bot, auch wenn die Hanseaten eher Kaufleute als Künstler waren, auch so manchem heute berühmten Komponisten eine Heimstatt, zumindest für ein paar Jahre. Einer von ihnen, Johannes Brahms, ist hier sogar geboren und hat deshalb in der Peterstraße sein eigenes kleines Museum, das Johannes-Brahms-Haus. Es ist ein recht übersichtliches Gebäude mit einer Wohndiele, an der zwei Zimmer liegen und von wo eine weiß lackierte und leicht gewendelte Holztreppe nach oben steigt in den „Komponistenhimmel”: diese Teilreplik eines berühmten Züricher Deckengemäldes ziert nämlich die obere Wand des Treppenaufgangs, wo uns erneut ein Haupt- und zwei Nebenräume erwarten. Einer von ihnen ist zur Zeit dem mit Brahms befreundeten Zwölftonpionier Arnold Schönberg gewidmet, im anderen steht jenes Tafelklavier von Baumgardten & Heins, auf dem der junge Brahms einem Fräulein aus gutem Hause Unterricht erteilt hat. Es gehörte damals der Familie seiner Schülerin und wird heute noch hin und wieder bespielt.

Während seiner Wiener Zeit war Brahms mit Arnold Schönberg befreundet, dem Entwickler der Zwölftontechnik in der Komposition. Im Ausstellungsraum des Museums illustriert derzeit eine Sonderausstellung die Person und das Lebenswerk Schönbergs, der keineswegs nur Komponist war, sondern unter anderem auch ein Schachspiel für vier Spieler erfand, das er „Koalitionsschach” nannte.

In derselben Häuserzeile, nur wenige Schritte vom Brahmshaus entfernt, befindet sich mit dem Komponistenquartier ein weiteres bemerkenswertes Museum. Mehrere Einzelmuseen sind hier so zusammengefaßt, daß man nacheinander Georg Philipp Telemann (1681-1767), Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Johann Adolph Hasse (1699-1783), Fanny und Felix Mendelssohn (1805-1847 und 1809-1847) sowie dem melancholisch-verschrobenen Gustav Mahler (1860-1911) gewidmete Räume besuchen kann.

Ein besonderes Ausstellungsstück ist hier das Welte-Reproduktionsklavier: ein Konzertpiano von Steinway & Sons, das die Einspielung eines Pianisten in einen Lochstreifen ermöglichte, inklusive seiner Anschlagsdynamik. Im Repertoire der Firma befanden sich Lochstreifenrollen von Komponisten, die ihre eigenen Werke einspielten, so dass man deren Spiel noch heute wiedergeben kann, als säße die Person selbst am Klavier. Für Besucher sind diese Aufnahmen natürlich nur als Aufzeichnungen verfügbar, immerhin ist aber eine der originalen Rollen zu sehen. Sie trägt die Aufschrift „Sopran Solo aus der IV. Symphonie Das himmlische Leben G. Mahler, gespielt von…” und darunter die originale Unterschrift Mahlers, denn das war als Nachweis der Authentizität und der vom Künstler geprüften Qualität üblich. Vermerkt ist auch das Datum 9. XI. 05.

Ein ebenfalls bemerkenswertes Exponat ist das Modell einer barocken Opernbühne samt Schiebekulissen, Wolkenfahrstuhl und Wellenmaschine im Abschnitt über den Komponisten Johann Adolph Hasse. Vom einmanualigen Cembalo mit 4 5/6 Oktaven nach Francois Étienne Blanchet ist weltweit nur ein einziges Original erhalten, das im Telemann-Raum gezeigte Instrument ist ein Nachbau. Original ist aber die Viola d‘amore von 1727 sowie einige weitere Instrumente und Notenbücher aus dieser Zeit.

Wie wäre es, noch ein paar Augenblicke in Fanny Mendelssohns efeuumrankter Laube Platz zu nehmen und den Tonaufnahmen zu lauschen, die dort über Kopfhörer angeboten werden? Die Hörer können am Empfangstresen des Museums ausgeliehen werden und vermitteln in jedem Abschnitt, worum es zwischen all den Exponaten und Tafeln geht: um klassische Musikwerke mit Bezug zu Hamburg.

Vorbei an einem Supermarkt und der Michaeliskirche wenden wir uns nun den Landungsbrücken zu, wo um 14.30 Uhr unsere einstündige Hafenrundfahrt starten soll. Wo genau? Wir fragen am Auskunftschalter nach und erfahren, dass diese Fahrt leider ausfalle, wir sollten aber sicherheitshalber noch einmal am Pier nachfragen. Dort weiß man zwar nichts von einem Ausfall, wir könnten aber  das Boot für die 14-Uhr-Tour besteigen, denn das läge gerade noch abfahrtbereit am Kai. Das lassen uns natürlich nicht zweimal sagen.

Kurze Zeit später passiert unsere Barkasse die beiden Museumsschiffe und den soeben ablegenden Mississippi-Dampfer, der weder ein Dampfer ist noch jemals Mississippi-Wasser unterm Kiel hatte. Das nahe Kehrwiederfleet wird seit einigen Jahren von der Brücke überspannt, die beide Gebäude des Miniatur-Wunderlandes verbindet, wir sehen die Besucher zu uns herabwinken. Am immer noch nicht eröffneten Westinghouse und der imposanten Elphi vorbei gelangen wir an die jenseitige Hafenkante und bewundern die Blohn&Voss Werft, die Hafenkräne und als krönenden Abschluss die neue „Mein Schiff 7”, deren fabrikneuer Anker offenbar noch nie im Wasser war. Der Steuermann unserer kleinen Barkasse tut uns Fahrgästen seine persönliche Meinung zu Kreuzfahrten kund, dann geht es zurück zur Anlegestelle, wo unsere Mini-Kreuzfahrt endet.

Jetzt aber schnell zurück zum Hotel, denn um 18.30 Uhr beginnt schon die Einführung zur Oper „Carmen“ in der traditionsreichen Hamburger Staatsoper. Die liegt zum Glück an derselben Buslinie wie unser Hotel, wir müssen nur vom Ziel Stephansplatz ein paar Schritte in Richtung Stadtmitte laufen. Allerdings sieht keines der Gebäude an dieser Straße wie ein Opernhaus aus. Das  liegt schlicht daran, dass es sich um einen Neubau aus den 1950er-Jahren handelt mit entsprechend minimalistischen Erscheinungsbild, auch im Inneren. 

Dem Operngenuss tut das freilich keinen Abbruch, und auch die Inszenierung ist zwar modern und ausgesprochen farbenfroh, fügt der Handlung aber gottseidank nichts Irritierendes hinzu. Im Gegenteil, die Aufführung gerät zu einem Erlebnis der Spitzenklasse und wird uns noch lange in Erinnerung bleiben.

Für den letzten Tag haben wir keine besonderen Pläne mehr. Wie wäre es, dem berühmten Hagenbeck-Zoo einen Besuch abzustatten? Der liegt zwar etwas abseits vom Stadtzentrum, scheint  mit der U-Bahn-Linie 2 aber gut erreichbar zu sein. Was die kleine Navigationshilfe in unseren Händen aber nicht wissen kann ist, dass es am Berliner Tor baustellenbedingt eine lange lange Holztreppe hinaufzusteigen gilt. Und auch der Bahnknoten selbst wartet mit langen Wegen auf, aber irgendwann sitzen wir dann doch im richtigen Wagen.

Der Hagenbeck umfaßt einen Zoo und ein Tropen-Aquarium, die Entscheidung für das eine, das andere oder beides fällt an der Kasse, denn es gibt ein Kombiticket. Heute ist ein eher unfreundlicher Tag, was sich zwar nicht auf die Laune der Kassenkraft auswirkt, sehr wohl aber auf unsere Entscheidung. Und so schieben wir wenig später die Tür auf, die das Drinnen vom Draußen trennt, um die kommenden Stunden in angenehm tropischer Wärme zu verbringen.

Natürlich wird auch hier das beliebte Suchspiel „wo ist das Tier?” gespielt. Welches? Selbst ein Blinder hätte damit keinerlei Problem, er müßte lediglich auf die Kommentare der anderen Besucher achten: „Schau mal Mama/Papa, ein/e <Name des Tieres>!”. Natürlich sind alle Tiere zuhause, was bliebe ihnen denn auch anderes übrig? Und ebenso erwartungsgemäß sind auch alle Kinder begeistert, wenn sie denn so einen Terrariumsbewohner entdeckt haben: „Papa/Mama schau! Jetzt schau doch mal!” Unsereiner interessiert sich natürlich mehr dafür, wo das Tier seinen natürlichen Lebensraum hat, und ob dieser Lebensraum möglicherweise bedroht ist, was leider eher die Regel ist als die Ausnahme.

Im Raum mit den beiden großen Bullaugen kehren sich die Verhältnisse plötzlich um: nun sind es wir Besucher, die aus ihrem engen U-Boot hinausschauen in die Weite der Unterwasserwelt, in der Rochen und Haie majestätisch dahinziehen. Diesem ersten Blick auf Aquarien voller bunter Fische und Korallen folgen im Verlauf des Rundgangs noch viele weitere. Vorbei an Nemos bunter Verwandtschaft gelangen wir in einen Raum, der einerseits von einer gläsernen Wand gewaltigen Ausmaßes und andererseits von mehreren Sitzreihen geprägt ist. Sich hier niederzulassen und den Schwärmen der diversen Meeresbewohner zuzusehen hat etwas Beruhigendes und Entspannendes. Im Hintergrund des Wasserbeckens sind zwei Bullaugen zu sehen: es sind dieselben, durch die wir vorhin von der anderen Seiten her das große Aquarium bewundert haben. Welch ein Erlebnis!

Der Rundgang führt nun ohne weitere Höhepunkte hinauf in den Gastronomiebereich, wo sich, gebührenden Abstand zu uns haltend, allerlei frei fliegende Vögel tummeln. Wie gut, dass das Krokodil zwei Etagen weiter unten wohnt.

Und dann ist dieser Besuch auch schon wieder zu Ende. Das weitere Programm sieht so aus, dass wir unsere Koffer aus dem Hotel holen und uns an den Bahnsteig begeben, wo um 18 Uhr unser ICE nach Nürnberg startet. Hamburg, ade und bis bald wieder.

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Welten in klein und in Wachs

Das NIU Yen hat einen angenehm großzügigen Früstücksraum, und auch das Frühstück selbst entspricht den Erwartungen. Heute haben wir das Miniatur-Wunderland auf unserer Agenda stehen. Dort gibt es nämlich mit Monaco/Provence und Patagonien zwei neue Abschnitte, die wir noch nicht kennen.

Die Attraktionen der Speicherstadt sind allesamt über die Hochbahnstation Baumwall an das übrige Hamburg angebunden und von dort fußläufig erreichbar. Zum Glück regnet es heute morgen nur mehr leicht, und schon bald stehen wir vor dem Eingang zum Kaispeicher, über dessen zweites bis viertes Stockwerk sich die größte Modellbahn der Welt erstreckt. Genau genommen kommt sie schon seit ein paar Jahren nicht mehr mit dem Platz im ursprünglichen Gebäude aus, also hat man eine Brücke über das Fleet gebaut und sich auch das jenseitige Gebäude erschlossen. Analog zur geographischen Realität sind drüben vor allem die Länder der Neuen Welt untergebracht, was freilich nicht ganz konsequent ist, da sich die USA nach wie vor diesseits des Fleet-Atlantiks befinden. Aber so ist das eben, wenn man immer wieder erweitert: in ein paar Jahren sollen drüben Atacama, Regenwald und Karibik eröffnen.

Eine Herausforderung für die Wunderland-Besucher besteht ja stets darin, die Treppen zur jeweils oberen oder unteren Etage zu finden. Man könnte natürlich einfach die vorgeschlagene Runde laufen, aber weil es so viele Welten gibt, in deren Details man sich immer wieder neu verlieren kann, käme man dann wohl erst spätnachmittags in Monaco an. Wir kürzen also ab und stehen vor der berühmten Formel-1-Strecke, wo soeben die Mini-Boliden die S-Kurve heruntergefahren kommen. Wie an der echten Rennstrecke sieht man von seinem Standpunkt aus immer nur einen kleinen Abschnitt, kann das Rennen aber über die Monitore mitverfolgen. Wo haben die nur die vielen Kameras im Modell versteckt? Natürlich: im Modell-Kameraturm, wo denn auch sonst? Wenige Minuten später ertönt von irgendwo die britische Nationalhymne. Aha, Siegerehrung.

Direkt neben dem monegassischen Zwergstaat erheben sich im Hamburger Modell die Berge und Schluchten der Provence. Der Modellzug passiert gerade das Tal, das vom bekannten Pont du Gard überspannt wird. Gerade eine Zuglänge davon entfernt befindet sich, für Eingeweihte leicht zu identifizieren, die Felsbrücke Pont d’Arc, von der sich ein winziger Klippenspringer in die Fluten stürzt, während von ganz in der Nähe das Geräusch eines fahrenden Mopeds ans Ohr dringt. Wie in der Realität hört man das kleine Zweirad-Teufelchen schon, bevor man es sieht. Aber man hat ja eine zweite, dritte und vierte Chance, immer wenn wieder jemand den Knopf „Moped” drückt: aha, da ist es!

Nun ist es aber an der Zeit, die Brücke hinüber nach Südamerika zu queren, wo man zur Linken auf die schon nicht mehr ganz neue Copacabana stößt. Nach wie vor gondelt hier eine Seilbahn zum Zuckerhut hinauf, nach wie vor sorgt der Gegensatz zwischen den modernen Hochhäusern und wild verschachtelten Favelas für Erstaunen und der Karneval von Rio im Sambadrom für die passende Geräuschkulisse. Und als die Dunkelheit hereinbricht, was im Wunderland alle 15 Minuten der Fall ist, grüßt vom Modell-Corcovado der erleuchtete Cristo Redentor herab.

Für den nachfolgenden Abschnitt müßte man sich nun eigentlich einen Friesennerz überwerfen wie die winzigen Polarforscher, die von ihrem Expeditionsschiff aus die Pinguine beobachten. Was hier von den Modellbauern erschaffen wurde, verdient höchsten Respekt: das stürmisch bewegte Wasser der Drake Street sieht durch die von unten projizierten Schaumkronen so unglaublich echt aus, und auch die kleinen Boote schaukeln so heftig hin und her, dass man schon vom Hinsehen schier seekrank wird. Deutlich entspannter geht es beim kalbenden Morenogletscher zu: die Eisstücke senken sich so bedächtig ins Wasser, als würde eine imaginäre Hausfrau rohe Eier in ihren Kochtopf bugsieren. Hier müssen die Modellbauer wohl noch ein wenig nachbessern. Gut gelungen sind jedenfalls die Gruppen blökender Schafe, die der Schmalspurzug von den Schienen scheucht, während auf Knopfdruck zwei Andenkondore die raumhohen Gipfel umkreisen.

Zurück in der Alten Welt wollen wir noch rasch in die Schweiz reisen, das bekannte Dü-Da-Do (für die Musiker unter uns: cis-e-a) der Postbusse weist akustisch den Weg. Aber was ist das? Wie wir da so auf das gewaltige Matterhorn sehen wie jüngst im Zermatt-Urlaub, öffnet sich auf einmal mitten ih der Anlage eine Bodenklappe, und ein behelmter Kopf lugt daraus hervor. Und dann noch einer, und noch einer. Insgesamt sechs Köpfe zählen wir, bis sich die Klappe wieder schließt und die Teilnehmer der Führung „Hinter den Kulissen” zur nächsten Attraktion weitergeführt werden.

Wer möchte, kann im Wunderland übrigens seine individuelle Modellfigur erwerben und mitten ins Helene-Fischer-Konzert platzieren lassen. Aber dort müßte sie dann „Atemlos” in Dauerschleife ertragen, und das würde man ja wohl noch nicht einmal seinem Avatar zumuten wollen – ein Kühlschrankmagnet für denselben guten Zweck tut es doch auch und erinnert einen zudem viel nachhaltiger an den schönen Besuch.

Im Miniatur-Wunderland kann man übrigens auch stilgerecht essen und trinken: die Tische und Bänke des SB-Restaurants sind einem Speisewagen nachempfunden, mitsamt Fenstern und Landschaft. Welch ein Glück, dass die Modellbauer diese Abteilung bisher übersehen haben und die Miniaturisierung sich nicht auch auf auf die gereichten Portionen erstreckt!

Frisch gestärkt steuern wir nun der berüchtigten Hamburger Reeperbahn zu! Wer bei diesem Stadtviertel zuallererst an ein Rotlichtviertel denkt, ist schief gewickelt, die Flaniermeile hat tagsüber durchaus auch Familientaugliches zu bieten. Eine der ersten Adressen ist hier das Panoptikum, das Wachsfigurenkabinett. Die Tradition dieses Familienunternehmens reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück, die heutige Chefin ist die Urenkelin des Gründers. Im Feuersturm des Zweiten Weltkriegs ging zwar das meiste verloren, aber einige Figuren können es an Lebensalter inzwischen durchaus wieder mit dem ihrer Vorbilder aufnehmen.

Die üblichen Schrifttäfelchen bräuchte es bei diesem Museum eigentlich gar nicht, da jedes Exponat auf Anhieb identifizierbar ist. Zur Rechten spendet Papst Benedikt XVI. den Eintretenden seinen Segen, über den Köpfen hängt Otto Lilienthal an seinem Gleitflugzeug, zur Linken hat sich sowohl royale wie auch politische Prominenz versammelt, und bei dem Herrn mit Vatermörderkragen und dunkler Sonnenbrille handelt es sich unzweifelhaft um Karl Lagerfeld. Der Platz neben Helmut Schmidt wäre gerade frei, und man könnte sich neben ihn setzen. Leider ist der alte Herr nicht sehr gesprächig, aber das ist für ein Foto mit ihm ja auch gar nicht notwendig. Gleich gegenüber speisen in einer Nische Helmut Kohl und Dietrich Genscher, wahrscheinlich gibt es Pfälzer Saumagen. Den Herrn, der neben der Treppe sitzt, kenne ich nicht, hat der denn kein Schildchen? Leider nein, aber er steht plötzlich auf und geht weg.

Neben einem pinkfarbenen Cadillac posiert James Dean, auf dem Rücksitz hat Marilyn Monroe Platz genommen, und am Steuer sitzt Elvis Presley, allesamt authentisch gekleidet und ausstaffiert, ebenso wie die vier pilzköpfigen Herren gleich nebenan. Sie waren noch sehr jung, als sie im Hamburger Starclub auftraten, John Lennon trug noch keine Nickelbrille, und auch der Schnauzbart war wohl noch nicht modern. Zum Starclub, wenn es ihn noch gäbe, wären es von hier übrigens fußläufig gerade einmal 10 Minuten.

Die Lieblingsfigur der meisten Besucher ist sicher Otto Waalkes, wie er da in seiner typischen Pose am Brüstungsgeländer lehnt. Oder vielleicht doch Helene Fischer? Oder Taylor Swift? Oder gar Harry Potter? Jede Generation hat ihre Idole, und während der eine sich freut, dem wächsernen Abbild eines Erik Ode oder Roy Black gegenüberzustehen, mag sich der andere vielleicht fragen: wer sind diese Herren denn überhaupt? Und vor allem: stehen die gruseligsten Konterfeis vielleicht gar nicht in der Folterkammer, sondern im Nazi-Kabinett?

Meine persönliche Lieblingsfigur trägt eine wirre Haarpracht und einen grauen Strickpulli und ist mit der Formel E=mc² berühmt geworden. Wirklich schade, dass man mit einer Wachsfigur kein Gespräch führen kann! Aber das kommt sicher noch und wird sicher auch keine weiteren 145 Jahre dauern.

Was indes länger dauert als geplant ist unsere Rückfahrt zum Hotel, denn „es befinden sich betriebsfremde Personen im Gleis” unserer S-Bahn, die deshalb im Hauptbahnhof, also genau eine Station vor unserem Ziel, zunächst auf unbestimmte Zeit stehen bleiben muss, dann vollständig geräumt und schließlich ins Depot verbracht wird. Die beiden Passagiere, die in höchster Eile herangesprintet kommen und in Unkenntnis der Durchsage gerade noch den Zug entern, werden sich schön gewundert haben! Wir anderen überlegen uns derweil, wie wir jetzt an unser Ziel kommen könnten. Hinübergehen zum Bus vielleicht? Gerade als wir uns abwenden wollen, scheint das Problem gelöst worden zu sein, so dass der neu einfahrende Zug nun komplikationslos zumindest bis nach Hammerbrook fahren kann.

Das ist nämlich ganz wichtig für uns, schließlich wollen wir nach dem Umkleiden gleich noch einmal weg ins „Schmidts Tivoli“, wie das Kleinkunst-Theater an der Reeperbahn heißt, dessen Standort wir heute nachmittag schon ausgekundschaftet hatten: man will ja nicht versehentlich im falschen Etablissement landen. Gegeben wird das – nicht ganz jugendfreie – Musical „Heiße Ecke”: es geht um ein paar Menschen, denen das Leben so manchen Stein in den Weg geworfen hat oder noch wirft, und die am Ende doch ein jeder sein kleines Glück finden hier im Kiez.

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Lux aeterna

Um von Nürnberg nach Hamburg zu gelangen, braucht ein ICE rund viereinhalb Stunden. Da ist es gut, wenn man einen reservierten Sitzplatz in der ersten Klasse hat. Unsere Plätze mit den Nummern 55 und 56 befinden sich im Wagen 11. Was da aber morgens um halb acht auf Gleis 7 einrollt, hat gar keinen Wagen 11, denn der hintere Zugteil fehlt komplett, und die Navigator-App meldet pflichtschuldigst, der Rest des Zuges sei „extrem ausgelastet”, auf deutsch: es gibt praktisch nur noch Stehplätze. Zum Glück findet sich mittendrin noch ein einzelner Sitzplatz für die Liebste, während ich mich bestenfalls irgendwo anlehnen kann, derweilen einige andere Gäste um ihre Reservierungen streiten. Zum Glück für mich wollen die Sieger dieser Auseinandersetzung in Fulda bereits wieder aussteigen. Jetzt heißt es also schnell sein, denn es spechten auch schon andere Leute auf die frei werdenden Plätze. Da diese anderen aber später zugestiegen sind, bin jetzt erst einmal ich an der Reihe, bitteschön.

Wo sind wir eigentlich? Die Kartenansicht im Smartphone zeigt einen wandernden Punkt auf einer Nebenstrecke. Und da kommt auch schon die Durchsage, dass die Hauptstrecke wegen eines liegen gebliebenen Flixtrain-Zuges gesperrt sei. Der Umweg trägt uns eine halbe Stunde Verspätung ein, aber wir haben ja für den Nachmittag ohnehin keine Pläne und können es uns sogar erlauben, nach unserer Ankunft in Hamburg samt Koffern noch einen kleinen Spaziergang an die Alster zu unternehmen, wenn auch nicht ganz freiwillig. Denn die Adresse hatte ich, weil sie nicht auf dem Voucher stand, der Website des Hotels entnommen. Nun, es ist wohl der Verwaltungssitz der Kette, das gebuchte Hotel befindet sich in der Nähe der Buslinie 112, die zum Glück auch hier an der Alster eine Haltestelle hat, leider aber jenseits einer ausgedehnten Baustelle, die uns nun schlammige Gehwege und einen Umweg aufzwingt. Und dann fährt uns auch noch der Bus vor der Nase weg. Aber schon 10 Minuten später kommt der nächste. Alles wird gut. Vom Ausstieg an der Albertstraße bis zum Hotel sind es nur noch ein paar hundert Meter. Von wem stammt eigentlich die bescheuerte Idee, rollkoffertaugliche Gehwege alle 50 Meter durch grob gepflasterte Torzufahrten zu unterbrechen?

Eigentlich hätten wir gestern schon in Hamburg eintreffen sollen, aber es hatte eine Terminüberschneidung mit dem Konzert in Bad Kissingen gegeben, und  unter dem Strich war es dann vorteilhafter, die Pauschalreise unangetastet zu lassen und stattdessen eine zweite Bahnfahrt zu buchen. Dass wir verspätet eintreffen werden, hatte ich der Servicezentrale des Hotels bereits telefonisch durchgegeben. Für die Rezeptionistin war die Buchung dadurch aber unauffindbar geworden, zumal die Hotelkette gerade erst auf ein neues System umgestellt hatte. Wir werden also völlig neu angelegt, und erst gegen Ende des Eincheckens taucht dann auf mysteriöse Weise die ursprüngliche Buchung wieder auf, zu unserer Überraschung inklusive Frühstück. Davon stand zwar nichts auf dem Voucher, aber maßgeblich ist ja die Buchung und nicht das Papier.

Das Hotel „The NIU Yen” ist ein sehr fortschrittliches Budget-Hotel, was unsereiner schon daran erkennt, dass es neben den Betten Steckdosen mit USB-Anschlüssen gibt. Das Zimmer kann aber noch mit einer weiteren Annehmlichkeit aufwarten, nämlich dem Bluetooth-Lautsprechersystem: Smartphone koppeln, Wiedergabegerät auswählen, und schon ist für individuelle musikalische Unterhaltung gesorgt. Somit fehlt es an nichts, wenngleich etwas mehr Platz ganz angenehm wäre.

Aber wir sind ja nicht nach Hamburg gekommen, um im Hotelzimmer zu sitzen, sondern wegen eines Konzerts in der „Elphi”, also der Elbphilharmonie. Auf dem Programm stehen „Lux aeterna” von György Ligeti, ein aus dem Film „A Space Odyssee” bekanntes Stück für sechzehnstimmigen gemischten Chor a cappella, sowie Anton Bruckners Neunte Sinfonie, deren letzter Satz unvollendet blieb und deshalb auch nicht gespielt, sondern quasi durch das Ligeti-Stück ersetzt wird. Zu alledem gibt es einen Einführungsvortrag, ebenfalls im großen Saal, aber mit freier Platzwahl.

Unsere gebuchten Plätze 29 und 30 befinden sich in der vierten Reihe der Ebene 13i schräg links hinter dem Orchester, wir sehen den Dirigenten Kent Nagano also von vorne und den Musikern in die Notenblätter. Die Ränge des Großen Konzertsaals gruppieren sich weinbergartig um die Bühne, während über alledem ein halbrunder Reflektor hängt, der aussieht wie Raumschiff Orion mit ausgefahrenem Zentrallift – speziell wenn dieser dann auch noch nach oben eingezogen wird.

Da wir ja vor dem Konzert genug Zeit gehabt hatten, genossen wir vorab noch ein wenig die Aussicht von der Plaza, also der Plattform auf halber Höhe des einzigartigen Konzertbaus, und genehmigten uns auch noch ein Cola samt Strohhalm, denn Gläser sind hier pfandpflichtig, und wer will schon am Tresen Schlange stehen müssen, nur um sein Pfand zurückzubekommen? Es zeigt sich allerdings, dass der Inhalt der Colaflasche auf die Strohhalme reagiert, als wären sie aus derselben Masse wie Mentos-Kaubonbons, will heißen: das Getränk verläßt sofort eruptionsartig die Flasche.

Zur Elphi gelangt man übrigens am einfachsten mit der U3, aus der man an der Station Baumwall aus- und in unserem Fall am Hauptbahnhof einsteigt. Vorher müssen wir allerdings noch ein Stück weit die S3 bemühen, der dem Hotel nächst gelegene Bahnhof heißt Hammerbrook und ist wie der Baumwall ein Hochbahnhof, liegt also über der Straße. Das ist bei Regen recht praktisch, denn man läuft darunter ein Stück weit geschützt. Ganz ohne Regenschirm geht es aber trotzdem nicht.

Nach dem dritten Satz der Bruckner-Sinfonie bleibt es, wie vorab erbeten, ganz still im Saal, denn nun folgt als außergewöhnliches Werk der aus dem Off vorgetragene A-Cappella-Gesang des Lux aeterna, illuminiert von tausend kleinen Lichtquellen über den oberen Rängen. Die sieben Takte Pause am Ende sind Teil des Werkes, erst dann bricht tosender Applaus los. Was für ein Erlebnis!

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Aua!

Heute ist wieder so ein Tag, an dem man nicht so recht weiß, ob sich das Wetter zum besseren oder zum schlechteren entwickeln wird. Genau genommen ist das aber auch egal, denn ich habe gestern in der Loretto-Allee mehr die Gegend geschaut als auf den geschotterten Weg, und dann gab eines das andere: mit dem linken Fuß ausgeglitten, umgeknickt, durch einen beherzten Satz nach vorne Schlimmeres verhindern wollen, im Gras gelandet, wieder aufgerappelt und dann leicht humpelnd zum Moorsee weitergelaufen. Wie gut, dass ich nicht auf dem schmalen Bohlenweg zur Fischerhütte abgerutscht und im Wasser gelandet war!

Das böse Erwachen kam dann im Lauf des Abends und der Nacht. Denn mein Fuß gab noch lange keine Ruhe und schmerzte bei jedem Schritt und sogar im Bett. Die erhoffte Besserung hatte auf sich warten lassen. Da wir nun also ohnehin nichts unternehmen können, brechen wir gegen Mittag unsere Zelte ab, will heißen, packen unsere Koffer, verabschieden uns vom gastgebenden Ehepaar Hindelang und wenden uns, ich mühsam humpelnd, dem Bahnhof zu.

Welche Züge fahren und welche nicht, wissen nur die Zugbegleiter. Eigentlich wollten wir in Kempten umsteigen und dann über Augsburg fahren, spontan entscheiden wir uns dann aber doch für die Strecke über München. Von welcher Bahnsteignummer fährt der RE1, und welches Gleis ist das überhaupt? Nach einigen Wirrungen kommen wir endlich auf dem richtigen Bahnsteig an, es ist die Nummer 25, und entern den proppenvollen Doppeldecker nach Nürnberg, wo wir noch vor 18 Uhr unser Zuhause erreichen. Die Gebersdorfer Hauptstraße ist mittlerweile geteert, es fehlen aber noch die Striche.

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Ein unterhaltsamer Tag

Vormittags wolkig, nachmittags Schauerneigung: offenbar arbeitet der liebe Petrus zur Zeit jeden Tag denselben Plan ab. Am besten tun wir es ihm gleich und fahren morgens per Seilbahn auf einen der umliegenden Gipfel, genießen die Aussicht, identifizieren ein paar Berge und wenden uns dann wieder dem Tal zu. Heute ist wieder das Nebelhorn an der Reihe.

War es beim letzten Besuch hier oben auch so windig und kalt? Eigentlich nicht, und auch die Berge sahen irgendwie freundlicher aus als heute. Das liegt an einer hohen Wolkenschicht, die nur stellenweise ein wenig blau durchscheinen läßt. Wir schauen ein wenig in die Ferne, dann ein wenig in die Tiefe und nochmal in die Ferne. Den Gipfel lassen wir heute aus, laufen nur einmal darum herum und wenden uns dann wieder der Seilbahngondel zu. 

Eine Etage tiefer an der Station Höfatsblick ist es deutlich angenehmer. Erst recht, wenn man es sich in einem der Liegestühle auf der Terrasse der kleinen Bar bequem macht, um den Arbeitern drüben am Sessellift bei der Arbeit zuzusehen: einen Vierersessel nach dem anderen hieven sie auf das Tragseil und schrauben ihn daran fest. Natürlich kann man hier nicht für längere Zeit sitzen, ohne etwas zu konsumieren, die Wahl fällt auf je einen Erdbeer-Buttermilchshake.

Für die Talfahrt haben wir heute eine Gondel ganz für uns allein. Und wohin jetzt? Auf unserem Weg durch den Ort begegnet uns eine Bäckerei, die Apfelstrudel verkauft. Kaffee und einen angenehmen Fensterplatz finden wir wo? In unserer schönen Ferienwohnung natürlich. Und als das Wetter wieder ein wenig freundlicher aussieht, unternehmen wir noch eine kleine Wanderung hinauf zum Anglerhaus am Moorsee und auf dem Lorettoweg wieder zurück.

Müßte die Nebelhornbahn um diese Zeit nicht bereits Feierabend haben? Wir sitzen noch ein Weilchen auf der Terrasse der besten Currywurstbude weit und breit und beobachten, wie die Tragseile der Bahn allmählich verwaisen. Vermutlich gehen die Kabinen oben an der Seealpe schlafen wie eine Schar Hühner.

Ein wenig später setzt leichter Regen ein, der zum Glück erst stärker wird, nachdem wir unser Quartier erreicht haben.

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Wolken über dem Horn

Wie sich das Wetter heute entwickeln wird, ist vom Frühstückstisch aus schwer abzuschätzen. Regen droht wohl erst zum frühen Nachmittag hin, also können wir getrost einen Ausflug auf das Walmendinger Horn wagen, wo sich die vertrauten Berge aus einer anderen, ungewohnten Perspektive zeigen. Um mit der Seilbahn dort hinauf zu gelangen, müssen wir aber zuerst einmal den Bus ins Kleinwalsertal nehmen. Natürlich geht es im Bus wieder notorisch eng zu, und auch die Warteschlange vor dem Bus zeigt die gewohnte Eigenheit, dass von hinten immer genauso viele neue Gäste hinzu kommen wie vorne mit erworbenem Ticket in den Bus einrücken. Irgendwann heißt es dann aber doch „nichts geht mehr“, der Bus schließt seine Türen und hat nun hoffentlich noch genug Kapazität für die folgenden Haltestellen, wo natürlich weitere Fahrgäste warten.

Zum Walmendinger Horn wollen die wenigsten, wer nicht schon am Söllereck aussteigt, tut es spätestens an der Kanzelwandbahn. Und das ist auch gut so, denn die Kabinen der Hornbahn sind noch immer so klein, wie es Seilbahngondeln in den 1960er-Jahren nun einmal waren. Zudem zählen einige Passagiere zwar nicht mit, brauchen aber dennoch Platz für ihre jeweils vier Beine.

Als wir oben ankommen, hat bereits das Spiel der Wolken begonnen, die umliegenden Berge zeigen sich immer nur kurz, verschwinden dann, werden kurze Zeit später wieder sichtbar, um sogleich abermals zu verschwinden. Da drüben, ist das nicht die markante Trettachspitze? Oh, jetzt ist sie weg, genau wie weiter links der Hochvogel. Allein der Widderstein steht stets wuchtig vor uns, als wir die Serpentinen zum nahen Gipfel hinaufsteigen, um von dort oben auch das Panorama zur anderen Seite hin genießen zu können, auf den seltsam geformten Hohen Ifen zum Beispiel oder talauswärts nach Riezlern.

Ebenso ein Genuß sind aber auch die Bergblumen, von denen es selbst zu dieser fortgeschrittenen Jahreszeit noch etliche gibt, allen voran die zahllosen Silberdisteln.

Als wir uns sattgesehen haben, vertrauen wir uns der nächsten talfahrenden Gondel an und stehen schon bald wieder an der Wendestelle der petrolgrünen Walserbusse, denn das Ortszentrum von Mittelberg liegt etwas abseits der modernen Talstraße. Aber woher weiß man, ob es der talaufwärts oder der talabwärts fahrende Bus ist, der hier gegenüber der Kirche vor dem Feuerwehrhaus wendet? Nun, es gibt für jede Richtung einen anderen Haltepunkt, man muss also nur an der richtigen Stelle warten. Natürlich steht das Fahrtziel aber auch am Bus selbst angeschrieben.

Gerne hätten wir noch in Riezlern das Walsermuseum besucht, wenn dessen Wiedereröffnung nicht schon seit Jahren in den Sternen stünde. Vielleicht ein anderes Mal, in einem anderen Jahr.

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Überschreitung

Alle wollen ins Kleinwalsertal. Wo der Bus der Linie 1 ablegt, ist schon von weitem an der langen Warteschlange zu erkennen. Zwar fahren die Gelenkbusse vom Oberstdorfer Busbahnhof im Abstand von 10 Minuten, aber genauso lang dauert es vorher auch, bis der Busfahrer alle Passagiere abgefertigt hat. Das liegt an einer Besonderheit des Tarifsystems: alle Passagiere mit Oberstdorfer Gästekarte müssen für den österreichischen Streckenabschnitt bezahlen, genau wie alle Feriengäste aus dem Kleinwalsertal für den deutschen Abschnitt bezahlen müssen. Will man dagegen nur zum Söllereck, reicht die Gästekarte. Und dann gibt es ja auch noch die vergünstigte Rückfahrkarte. Das vielfache ausgiebige Hantieren mit Bargeld nimmt genau jene 10 Minuten in Anspruch, die der Bus hat, bevor er fahrplangerecht seine Tür schließt und die noch draußen Stehenden an den nachrückenden Kollegen verweist.

An der Station Söllereck lockert sich die drangvolle Enge, und ab hier reicht nun auch die Zahl der Sitzplätze. Warum das Fremdenverkehrsamt nicht eine spezielle Söllereck-Linie kreiert, um das alles ein wenig zu entzerren, ist uns ein Rätsel.

Es ist übrigens egal, welchen Streckenabschnitt man befährt, der Tarif ist mit 4,30€ immer derselbe. Unser heutiges Ziel heißt Kanzelwandbahn. Von der Talstation in Riezlern geht es mit kleinen 6-Personen-Gondeln hinauf zu einer Aussichtsterrasse mit phantastischem Blick auf die umliegenden Berge. Einige Gipfel liegen so nah, dass man ihr Gipfelkreuz in einem halbstündigen Aufstieg erreichen könnte. Ein wenig weiter entfernt sehen wir den Fellhorngipfel, den man in der Regel mit einer anderen Bergbahn aus dem Stillachtal heraus anfährt. Oder aber zu Fuß und sozusagen grenzüberschreitend, denn links vom Grat ist Österreich und rechts Deutschland. Das merkt man hier oben aber nicht.

Wir wollen auch gar nicht den Grat entlang laufen, denn dieser Pfad steigt nach einem kurzen aber steilen Gefälle wieder deutlich an und endet an der Fellhorn-Bergstation, während der Wanderweg unserer Wahl ungefähr höhengleich zuerst zur Alpe Bierenwang und dann zur Mittelstation der Seilbahn führt. Auf der besagten Alpe kann man einkehren, was wir denn auch tun. Man könnte hier oben auch frische, also vollkommen unbehandelte Kuhmilch trinken, was wir aber nicht tun.

Der Himmel, heute morgen noch strahlend blau, hat sich zwischenzeitlich ziemlich zugezogen, und so fällt der Abschied vom Fellhorn nicht ganz so schwer. Zwar liegt die Alpenrosenblüte, für die es so berühmt ist, schon Wochen zurück, aber selbst jetzt Anfang September finden sich noch vereinzelt Eisenhut, Schwalbenenzian sowie natürlich Silberdisteln in großer Zahl. Und mit Glocken behängte Milchkühe, ebenfalls in großer Zahl.

Der Bus von der Fellhorn-Talstation wieder hinunter nach Oberstdorf ist genauso überfüllt wie der, mit dem wir heute morgen losgefahren waren. Erst als wirklich niemand mehr hineinpaßt, verrät der Busfahrer den noch immer draußen Stehenden ein kleines Geheimnis: in zwei Minuten kommt der nächste, und der wäre schön leer. Im Ernst? Tatsächlich: als wir losfahren, sehe ich ihn die Straße herabkommen, den leeren Folgebus.

Die Eisdiele hat heute wieder geöffnet. Und übrigens: wir gehören ab nun zu den Leuten, die gerne auf einer Bank im Kurpark sitzend die letzten Sonnenstrahlen genießen.

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Söllereck

Für den Nachmittag sind wieder Gewitter angesagt, aber bis dahin haben wir noch viel Zeit und können uns viel vornehmen. Eine Ecke von Oberstdorf, die wir noch nicht kennen, ist das Söllereck. Die neue Talstation der Kabinenbahn liegt direkt an der Straße ins Kleinwalsertal, nach einer bemerkenswert kurzen Fahrt mit der Gondel über die Straße und eine Wiese hinweg durchquert die Gondel ein Gebäude, das vielleicht früher einmal die Talstation der Vorgängerbahnen gewesen ist, dann schweben wir hinauf zum Berghaus Schönblick, wo man später, des Wanderns müde, einkehren und ein Glas Buttermilch trinken könnte. Aber noch sind wir ja keinen Schritt gewandert.

Das herrliche Wetter, die angenehme Temperatur und das Bimmeln der Kühe lockt uns auf den Weg in Richtung Kleinwalsertal. Vorbei am heute geschlossenen Berghaus am Söller und an der nahen Alpe Schrattenwang gelangen wir auf einen Höhenweg mit herrlichen Ausblicken auf den Ifen und die anderen umliegenden Berge. Ein paar Schritte weiter zeigen ein blaues und ein rot-weißes Schild am Wegrand an, dass wir uns von nun an in Österreich befinden. Schon bald gelangen wir zur Mittelalpe. Hier läßt es sich im Gastgarten zwar angenehm sitzen, die Preise sind allerdings weniger angenehm, so dass wir uns wieder auf den Weg machen und an die Stelle kommen, wo ich vor nunmehr fünfzig Jahren drei wunderschöne Skifreizeiten verbracht habe. Das Gasthaus Bergstüble gab es damals noch nicht, dafür ist allerdings das alte Bauernhaus, in dem wir damals untergebracht waren, verschwunden und ebenso der Skilift vom Tal herauf. Auch sonst hat sich einiges verändert. Über einen ebenso neuen wie steilen Weg gelangen wir hinunter zur Hauptstraße mit der Bushaltestelle, an der schon nach wenigen Minuten der Bus zurück nach Oberstdorf eintrifft. Vier Euro kostet die Fahrt bis zur Landesgrenze. Pro Person, versteht sich.

Der Ortsbus mit der Nummer 9 umkreist als Ringlinie unser Quartier so perfekt, dass wir von praktisch jedem Haltepunkt aus gleich weit zu Fuß gehen müssen. Immerhin passiert er aber den bereits bekannten Supermarkt, also steigen wir dort aus und füllen den Rucksack mit Einkäufen.

Übrigens: die Eisdiele hat montags zu.

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Nebelhorn

Was wäre ein Urlaub in Oberstdorf ohne einen Ausflug aufs Nebelhorn? Der Wetterbericht stellt zwar für den Nachmittag Gewitter in Aussicht, aber irgendwie werden wir es schon schaffen, trocken zu bleiben.

An der Talstation ist erstaunlich wenig los, und mit dem Bergbahn-Ticket, das im Preis unserer Ferienwohnung enthalten ist, gelangen wir direkt durch die Sperre in eine der gelben 10-Personen-Gondeln, die uns hinaufträgt zur Station Höfatsblick. Hier heißt es nun allerdings umsteigen in die Gipfelseilbahn, die nach wie vor eine klassische Zwei-Kabinen-Pendelbahn ist. Die Terrasse des Gipfelrestaurants wie auch der Gipfel selbst erfreuen das Herz wie immer mit der Aussicht auf Dutzende naher und ferner Gipfel von der Zugspitze im Osten bis zum Säntis im Westen.

Wandern kann man hier oben nicht, lediglich einige Gratwege zu den Gipfeln in der Umgebung wären für trittsichere Bergsteiger begehbar. Da ist unten der altvertraute Weg entlang der Trettach, gleich neben der der Talstation, die bessere Alternative. Und so sieht man uns denn schon bald dort entlang laufen, bis wir ein gutes Stück weiter am Wegrand eine Tafel mit der Aufschrift „Café Gruben heute ab 14 Uhr geschlossen” entdecken. Schade, denn das wäre unser Ziel gewesen. Aber der kleine Hunger läßt sich ja auch am Currywurst-Lokal gleich gegenüber der Talstation der Nebelhornbahn stillen, zumal die Wirtin sich über die Gäste aus ihrer Heimat freut.

Das angekündigte Gewitter verspätet sich. Erst als wir, nicht ohne vorherigen Abstecher zur Eisdiele, wieder im Quartier sind, grollt der Donner und zucken Blitze über den inzwischen wolkenverhangenen Himmel, und etwas später setzt auch der Regen ein.

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