Endlich ergibt es sich, dass wir an der Rezeption die 306 Euro bezahlen können, die das Leprich für die drei Nächte mit Frühstück von uns haben will. Wir fühlen uns hier sehr wohl und hätten wirklich keine bessere Wahl treffen können.
Für heute haben wir uns einen Ausflug auf den Schafberg oberhalb von St. Wolfgang vorgenommen. St. Wolfgang, klingelt da nicht etwas? Nun, das „Weiße Rössl“ lassen wir zunächst einmal links liegen und wenden uns der Zahnradbahn-Talstation zu. Natürlich sind wir nicht die einzigen, die heute dort hinauf wollen, passen aber noch bequem in den nächsten abfahrenden Zug. Schade, dass er von einer Diesellok geschoben wird, eine Dampflok, wie sie auch in der modernen Bahnhofshalle ausgestellt ist, wäre uns natürlich lieber gewesen. Allmählich füllt sich nun auch der Zug auf dem anderen Gleis, und führe er vor uns ab, könnten wir das dampfgetriebene Antriebsgestänge in Aktion bewundern. Natürlich sind wir aber als erste an der Reihe. Bei großem Andrang bilden immer zwei Züge einen kleinen Konvoi, denn das verdoppelt den Durchsatz an wenigen Ausweichstellen der ansonsten eingleisigen Strecke.

Etwa eine halbe Stunde dauert die Fahrt durch die nach oben hin zunehmend attraktivere Berglandschaft. Oben angekommen zeigt sich, dass die Fahrt im vorderen Zug einen unschlagbaren Vorteil hat: man kann aussteigen, nach hinten gehen – und die in kurzem Abstand nachfolgende Dampflok heraufdampfen sehen.
Wenden wir uns nun aber der herrlichen Aussicht zu: vor unseren Füßen breitet sich der Wolfgangsee aus und darüber, heute leider etwas dunstig, das vergletscherte Dachsteinmassiv. Um auch das nordseitige Panorama genießen zu können, müssen wir ein Stück weit hinaufsteigen zum Gipfelhaus. Der Blick, der sich uns von dort oben bietet, ist geradezu zauberhaft: die große Wasserfläche im Vordergrund ist der Mondsee, zur Rechten blicken wir auf den Attersee, und aus der Ferne grüßen weitere Seen zu uns herüber, zusammen mit der kleinen Lache direkt unter der Steilwand muss es sich wohl um ein ganzes Dutzend handeln. Zwischen alledem liegt die steile Klippe des Schafbergs.
Erstaunlicherweise finden wir etwas abseits der Gebäude eine Bank mit noch zwei freien Sitzplätzen. Hier beobachten wir nun ebenso gelassen wie genüßlich die vielen internationalen Gäste, die sich den Gipfelgenuß mit uns teilen. Es sind vor allem die Chinesinnen, die durch sorgfältig verhüllte Halspartien, voluminöse Sonnenbrillen und herrlich unpassendes Schuhwerk auffallen. Allerliebst sind auch die Kleinkinder, wie sie lernen, auf steinigen Wegen zu laufen. Denn früh übt sich, wer es später einmal dem Opa gleich tun will.
In der Sonne sitzen macht hungrig und vor allem durstig. Oben am Gipfelrestaurant verkauft eine Bude kleine Mahlzeiten zu einem nicht ganz so kleinen, dennoch aber moderaten Preis: Gulaschsuppe aus dem Becher, Wiener mit Kartoffelsalat und zwei Getränke kosten zusammen rund 20 Euro.
Ob wir uns noch einmal neben das Gleis stellen, wenn wieder ein Dampfzug heraufkommt? An den Bahnsteig müssen wir ja sowieso, denn wir haben für unsere Talfahrt eine feste Zeit. Da stehen wir nun also, hören den Zug aus dem Tunnel kommen … schade, es ist ein Dieselzug. 20 Minuten später kommt aber schon der nächste, und dieses Mal haben wir Glück. Jetzt wird es aber höchste Eisenbahn für unseren eigenen Zug, damit wir am Fenster sitzen und nicht irgendwo in der Mitte. Es darf nämlich kein Platz frei bleiben, außer in der obersten Reihe, denn es könnten ja noch Leute an der Mittelstation zusteigen. Und so ist es dann auch.

Unten im Tal laufen wir noch ein Stück weit die Seepromenade entlang auf die Kirche zu, hinter der wir das Hotel Weisses Rössl vermuten. Zwar müssen wir schon bald auf die Autostraße ausweichen, aber der Ortskern erweist sich dem Umgehungstunnel zum Dank als weitgehend autofrei. Und da ist es auch schon: in weißer Schrift auf rotem Grund stehen Noten und Text der bekannten Zeile an den Giebel geschrieben, derzufolge hier das Glück vor der Tür stehen soll. Zu sehen ist es aber nicht, das Glück. Nur ein parkendes Auto, und dann noch eines. Sehr schön ist übrigens auch die Seeterrasse ein paar Meter weiter sowie die Kirche, deren gotisches Inneres ungewohnt farbig ist. Und sie haben eine Uhr an die Decke gemalt. Die zeigt aber nur zweimal am Tag die richtige Zeit an.
Jetzt noch für 14 Euro das Auto ausgelöst, dann können wir den Tag abschließen und zum Abend übergehen, den wir – wen wundert‘s? – wieder mit einer Operettenvorstellung zubringen. Noch einmal ergattern wir den nun schon gewohnten Parkplatz am Traunkai, noch einmal heben wir zur Feier des Tages zwei Piccolos (oder heißt es Piccoli?), noch einmal nimmt genau vor mir der verliebte Sitzriese Platz. Nein, es ist nicht derselbe wieder wie gestern, aber auch er hat eine kuschelbedürftige Freundin, die mir die Sicht nimmt. Als sie nicht damit aufhört, tippe ich ihr auf die Schulter und deute mit einer Handgeste mein Problem an, denn man will ja nicht durch Flüstern die Vorstellung stören wie die Dame rechts hinter mir, die ihrem Kind immerzu die Bühnenhandlung erklärt. Oder die beiden Mädchen zur Linken, die sich Getränke migebracht haben und den Orchesterklang durch eine klirrende, weil mit den Füßen umgestoßene Flasche bereichern.
Im heutigem Stück „Orpheus in der Unterwelt“ hat sich leider der Zeitgeist breit gemacht und beschert uns in der Rolle der Öffentlichen Meinung eine nervige Influencerin. Das ist anfangs, als sie die Zuschauer als Follower des Regisseurs identifiziert, noch ganz lustig, später wird es dann aber richtig politisch, und wir bekommen eine Demo im Olymp zu sehen, mit hochgehaltenen Transparenten und allerlei Anspielungen auf den Clown im Weißen Haus. Nun ja, den berühmten „Can Can” noch sehen zu wollen hilft uns über die Pause hinweg, und wir bleiben bis zum Schluss.

Es ist eine wunderschöne laue Sommernacht heute, mit bunten Fontänen im Kurpark und dem Vollmond über der Richard-Tauber-Villa. Die Strecke nach St. Agatha fahren wir nun schon zum fünften Mal und kennen die Radarfallen, die in Österreich vom Navi angesagt werden und somit gar keine Fallen sind, allesamt auswendig. Und ebenso die Stelle, wo wir in den Parkplatz hinter dem Haus einbiegen müssen. Er ist ziemlich voll heute, aber wir klemmen uns noch irgendwo an den Rand.