Auf den Regionalverkehr bezogen ist die Deutsche Bahn besser als ihr Ruf. Man sitzt zwar immer, wenn es heißt „der Anschluß wird vsl. nicht erreicht”, eine Zeit lang wie auf Kohlen, aber im letzten Moment kommt in der Regel dann doch die Durchsage, dass der Anschlusszug auf die umsteigenden Fahrgäste warten wird. Ein weiteres Loblied sei an dieser Stelle auch auf das Deutschlandticket gesungen: für den Preis eines Einzelfahrscheins nach Berlin und zurück läßt es sich damit rund drei Monate lang entspannt quer durch ganz Deutschland reisen, und den Nahverkehr am Zielort gibt es noch obendrauf.
Ein einigermaßen glückliches Händchen hatten wir auch bei der Wahl unseres Hotels. Zwar war es immer ein wenig schwierig, ans hintere Bett und ans Fenster zu kommen, dafür hatten wir aber ein gutes Frühstück, und es war alles sehr sauber. Unsere Ziele in Berlin konnten wir zudem leicht mit dem Bus oder der U-Bahn erreichen, da beide Haltestellen nur ein paar Schritte vom Motel Blue entfernt liegen. Eine dieser Nahverkehrsverbindungen, nämlich die U3 mit anschließender S-Bahn-Ringlinie bringt uns nun heute samt Koffern zum Umsteigeknoten Berlin-Südkreuz, wo wir dank üppiger Zeitreserve schon so früh eintreffen, dass wir einen anderen Zug nach Elsterwerda nehmen können als den ursprünglich geplanten. Das verkürzt zwar nicht unsere Gesamtreisezeit, jedoch ist die Regionalbahn über Zossen, Baruth, Luckau und Doberlug deutlich weniger frequentiert als die Flughafenstrecke. Und so nimmt auch niemand Anstoß daran, dass wir mit unseren Koffern ein ganzes Viererabteil belegen, denn eine Ablage gibt es hier nicht.
Das ändert sich erst im Zug nach Chemnitz, wo nun auch fröhliches Kinderspiel das Abteil erfüllt: es sind nur zwei, aber sie könnten es an Lautstärke mit jedem Kindergarten aufnehmen. Und natürlich steigen sie genau wie wir am Chemnitzer Hauptbahnhof in den Zug nach Hof um. Eile ist dieses Mal übrigens nicht geboten, sehr wohl aber beginnt irgendwo zwischen Sachsen und Bayern wieder das bekannte Spielchen: erreichen wir den Anschlusszug nach Nürnberg, oder erreichen wir ihn nicht? Wahrscheinlich wiegt der hundertfache Ärger über einen unfreiwilligen einstündigen Aufenthalt am zugigen Bahnsteig dann doch mehr als der ebenso hundertfache über ein paar Minuten Verspätung bei der Abfahrt. Mit anderen Worten: der Anschluss wartet. Und holt die Verzögerung dann entlang der Pegnitzstrecke wieder auf. Denn die hat Gefälle.
Zur Alten Nationalgalerie kommt man am besten, indem man am Bahnhof „Hackescher Markt“ aus der S-Bahn steigt statt mit der U5 zur Museumsinsel fährt. Da ich nur kurz Spitzweg und Segantini sehen will, wartet die Liebste unten auf mich, bevor wir zum Magicum weitergehen. Dieses zauberhafte private Museum über Magie befindet sich ebenfalls in fußläufiger Entfernung zum Hackescher Markt, allerdings in die entgegengesetzte Richtung.
Das urige Ambiente könnte nicht besser gewählt sein: vom Eingangsbereich heißt es ein paar enge Stufen in den Keller hinabsteigen, wo sich zur Linken der Blick in ein geheimnisvolles Alchimielabor auftut. Es folgt ein längerer, den fünf Weltreligionen gewidmeter Flur mit Kartentischen zur Rechten wie zur Linken, die allerlei Orakelhaftes offenbaren, ehe man ein Stück weiter dann in die Folterkammer gelangt, mit schauderhaften Werkzeugen, denen man sich besser nicht ausgeliefert sehen möchte. Ein ganz erstaunliches Objekt ist im folgenden Raum die Klangschüssel, die durch Reiben ihrer beiden Griffe mit angefeuchteten Händen einen so durchdringenden Ton erzeugt, dass das Wasser in der Schüssel zu sprudeln beginnt. Bei welcher Lautstärke das passiert, probieren wir lieber nicht aus, denn just in diesem Moment beginnt im nächsten Raum die Zaubershow. Der Magier, dem die Beherrschung der Voodoo-Künste schier ins Gesicht geschrieben steht, jongliert zunächst ein wenig mit Glaskugeln und bittet dann einige Zuschauer zu sich auf die Bühne, die dort erstaunlicherweise allerlei unsichtbare Berührungen an sich wahrnehmen. Sein wichtigstes Kunststück ist aber, mit verbundenen Augen zu erkennen, was ein Mädchen aus der Zuschauerriege auf ein Stück Papier gemalt hat. Damit alle außer dem Magier es sehen können, hält das Mädchen den Zettel hoch, woraufhin eine andere begeisterte kleine Zuschauerin ruft: „ein Herz!”. So war das natürlich nicht gedacht, aber immerhin wissen jetzt auch die Allerkleinsten, wie wichtig es manchmal sein kann, Geheimnisse nicht auszuplaudern. Im letzten und größten Raum, dem sich noch ein kleines Spiegelkabinett anschließt, darf dann wieder alles angefaßt werden: die magischen Pendel, ein Fingerlabyrinth, die Kristallkugeln. Auch erfährt man hier allerlei Interessantes etwa über Hexenkräuter, die Sternzeichen der Chinesen und der Kelten, den Halloween-Brauch und seine Hintergründe. Richtig, heute ist ja Halloween.
Wie immer um diese Zeit meldet sich nun der kleine Hunger zu Wort. Zum Glück gibt es in derselben Straße und nur wenige Schritte vom Magicum entfernt eine vietnamesische Garküche, wo wir unter etwas beengten Verhältnissen eine ebenso wohlschmeckende wie preiswerte Stäbchenmahlzeit einnehmen. Unter der Hand sei aber verraten: sie haben dort auch Gabeln und sogar Löffel.
Beim Stöbern in diversen Prospektständern haben wir noch eine weitere Attraktion entdeckt, nämlich das Lighthouse of Digital Art mit seinem Programm „The Grand Tour” zu den Planeten des Sonnensystems und darüber hinaus. Das Eckhaus an der Revaler Straße in Berlin-Friedrichshain und die kopfsteiggepflasterten Zuwege zum Gebäude sehen zwar wenig einladend aus, die Transformation zum attraktiven Medienzentrum ist aber bereits im vollen Gange.
Wie bei immersiven Shows üblich erstreckt sich die Projektion raumhoch über alle vier Wände des Zuschauerraums und bezieht auch den Fußboden mit ein, auf dem allerlei Liegekissen zum entspannten visuellen Genuss einladen. Die faszinierenden Bilder der diversen NASA-Missionen dürfte wohl jeder schon einmal gesehen haben, aber ganz sicher nicht in dieser, den gesamten Gesichtskreis füllenden Größe. So ungefähr muss das Universum einem Astronauten erscheinen, wenn er Jupiter, Saturn oder auch nur den Mond in unmittelbarer Nähe passiert.
Auch unsere Milchstraße sieht auf solchen Fotos immer sehr eindrucksvoll aus, aber Moment mal: sprachen die Astronomen und Astronauten nicht immer davon, wie messerscharf sich die Himmelskörper von der schwarzen Leere des Weltraums abheben? Hier nun konkurrieren aber die dünnen Ringe des Saturn mit der hell leuchtenden Galaxie im Hintergrund. Und was ist das? Der Uranus und der Neptun haben ja ebenfalls Ringe! Das ist zwar durchaus korrekt und wurde von der Voyager-Sonde und den Weltraumteleskopen auch bestätigt, aber speziell die Neptunringe sehen keineswegs so geschlossen aus wie das projizierte Bild glauben machen will. Auch dass es die Astronauten von Apollo 8 waren, die am 24. Dezember 1968 zum ersten Mal die Erde über der kargen Oberfläche des Mondes aufgehen sahen, trifft durchaus zu, jedoch kam die Landefähre, die in diesem Augenblick über die Leinwand schwebt, dort erst ein halbes Jahr später zum Einsatz.
Bevor wir gehen, sehen wir uns noch die Großbildschirme im Nebenraum an. Sie wirken irgendwie schärfer und brillianter, aber das liegt sicher am kurzen Betrachtungsabstand.
In Berlin gibt es übrigens einen sehr schönen Halloween-Brauch: die Kinder ziehen verkleidet durch die Ladengassen z.B. der Einkaufspassage am Potsdamer Platz und erhalten vom Verkaufspersonal Süßes. Läßt man sich also mit seiner Eiswaffel hier irgendwo nieder, kann man ausgiebig die phantasievollen Verkleidungen der kleinen und manchmal auch großen Passanten bewundern. Ein fataler Fehler wäre freilich, statt in die Passage versehentlich in die Fahrradgarage des Europacenters hinunterzusteigen, wie uns das vorhin passiert ist, denn das Umfeld des Potsdamer Platzes ist wegen des im Aufbau begriffenen Weihnachtsrummels samt Schlittenbahn zur Zeit etwas unübersichtlich.
Man ist nicht in Berlin gewesen, wenn man nicht auch im Humboldtforum war. Zur Zeit läuft dort die interessante Ausstellung über die gerade einmal 14 Jahre währende Geschichte des „Palast der Republik“, der einst das altehrwürdige Berliner Stadtschloss ablöste und dann, weil asbestverseucht, seinerseits vom rekonstruierten Schloss abgelöst wurde.
Aber ganz so einfach war es dann doch nicht. Erstens vergingen zwischen dem Abriß der kriegszerstörten Schlossruine und der Wiederbebauung des leeren Platzes in der Mitte Berlins noch etliche Jahre. Zweitens war der DDR-Prunkbau nach der Sanierung asbestfrei und hätte vielleicht sogar weitergenutzt werden können. Und drittens sieht der Neubau dem alten Schloss zwar äußerlich ähnlich, ist in seinem Inneren aber ein modernes und vielseitig nutzbares Gebäude. Das alles läßt sich in der Sonderausstellung „Hin und weg“ sehr gut nachvollziehen.
Eine Medienstation zeigt zudem, welche Großveranstaltungen der je nach Bühnengröße bis zu 4.442 Zuschauer fassende Saal im Laufe der Jahre gesehen hat. Udo Lindenberg trat dort auf, Carlos Santana, Miriam Makeba, Mikis Theodorakis, natürlich auch die DDR-Rockband „Puhdys” oder der Schlagersänger Frank Schöbel in ”Ein Kessel Buntes“, „Schlag(er) auf Schlag(er)” oder beim Festival des politischen Liedes. Und dann gab es ja auch noch die Parteitage der SED und die Kongresse diverser Organisationen sowie im nördlichen Gebäudeteil die Räume der Volkskammer. Das alles brauchte viel viel Platz.
Als besonderes Highlight wird in einem Nebenraum eine Mixed-Reality-Installation des Künstlerduos „Cyberräuber” angeboten, bei der man mit einer VR-Brille auf dem Kopf frei im Raum herumgehen kann, während ringsum gitterartige Elemente scheinbar im Raum schweben. Man kann sie mit der Hand beiseite schieben, so dass sie mit anderen Elementen in der Nähe kollidieren. Aber das ist nur zum Eingewöhnen, wenig später füllt sich der Raum mit geisterhaften Sitzgruppen, in deren Polstern man sich aber besser nicht niederlassen sollte: es würde mit schmerzhaftem Bodenkontakt enden. Oben an der Decke schweben derweil jene typischen Beleuchtungskörper, die dem Gebäude dereinst den Spitznamen „Erichs Lampenladen“ eingetragen hatten. Seine Mitbesucher wie auch die eigenen Hände samt Armbanduhr sieht man übrigens ebenso schemenhaft, manchmal sogar mit einem Menüsymbol zwischen Daumen und Zeigefinger.
Nach etwa zehn Minuten beginnt sich der Raum mit schwebenden Fotografien zu füllen, die an der Seite jeweils ein blaues Griffstück haben. Man kann sie an dieser Stelle anfassen und zu sich heranziehen, falls notwendig ins Hochformat drehen oder auch einmal von hinten betrachten. Die Motive sind samt und sonders aus den hinterlassenen Notizen anderer Besucher KI-generiert, die Cyberräuber nennen das Erinnerungsspende und geben uns abschließend den Tipp, auch noch die mit VR-Technik arbeitende Ausstellung „Kunst als Beute” in der dritten Etage anzuschauen.
Gesagt, getan! Gleich hinter dem Eingang zu besagter Ausstellung hilft uns eine sympathische junge Frau beim Anlegen der VR-Brillen, die hier die tatsächliche Umgebung vollkommen ausblenden. Aber wo sind wir? Ringsum stapeln sich große Holzkisten, und an der Wand lehnen diverse gerahmte Bilder, darunter das Rembrandt-Selbstporträt, das wir gerade eben erst real in der Ausstellung gesehen haben, und das in der Zeit des Zweiten Weltkriegs im Salzbergwerk Altaussee verborgen war. Und genau an diese Stelle versetzt uns die VR-Technik. Die Minenarbeiter, deren Schatten sich auf den Kistenwänden abzeichnen, schafften es damals, die Sprengung des Bergwerks zu verhindern. Es ist ein faszinierender Ort, den man auch real besuchen könnte, nur eben nicht zu jener Zeit, als der Rembrandt dort eingelagert und vom Totalverlust bedroht war.
Auch die zweite Virtual-Reality-Erfahrung gilt einem Objekt, das im Original in der Ausstellung zu sehen ist und beinahe vollständig verloren gegangen wäre, nämlich die Quadriga auf den Brandenburger Tor. Nach dem Einmarsch Napoleons in die deutsche Hauptstadt 1806, den man oben auf dem Tor stehend miterlebt, gelangte sie zerlegt als Kriegstrophäe nach Paris und wurde dort restauriert, aber nie öffentlich ausgestellt. Nach dem Sturz Napoleons 1814 kehrte die Figurengruppe nach Berlin zurück. Unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde sie, durch Einschüsse stark beschädigt, als Demonstration des Sieges über den Hitlerfaschismus vom Tor gestürzt, demontiert und eingeschmolzen. Allein der Kopf des rechten Pferdes entkam diesem Schicksal, denn er lagerte im Keller eines Berliner Wohnhauses.
Das dritte VR-Bild rankt sich um den balinesischen Dolch aus dem Ethnologischen Museum, den der getötete Wächter im Tempel Goa Lawah noch in der Hand hält. Die niederländischen Truppen hatten hier 1849 während des dritten Bali-Krieges Hunderte Balinesen getötet. Als Schenkung eines deutschen Sammlers, der auf den Inseln Sumatra und Java für die niederländische Kolonialverwaltung tätig gewesen war, gelangte der Dolch 1851 nach Berlin.
Zu den Benin-Bronzen im hinteren Teil der Ausstellung sowie zu den übrigen Beutekunst-Objekten gibt es kein VR-Erlebnis, wir gelangen von dort quasi übergangslos in die neue, sehr weitläufige Dauerausstellung „Asien”. Der sich allmählich meldende Hunger läßt uns nach einem Aufzug Ausschau halten, schließlich wissen wir irgendwo unter uns im Erdgeschoß das Bistro „Lebenswelten”, auf dessen Speisekarte leckere Königsberger Klopse stehen. Allerdings verbindet der Lift nur die beiden Ausstellungs-Etagen, der Weg zur Futterkrippe führt über die Rolltreppen im Foyer.
Unseren Rückweg zum Hotel vertrauen wir dieses Mal den U-Bahnen U5, U6 und U3 an. Viel Zeit haben wir nicht, denn heute abend steht nun die Opernaufführung der „Frau ohne Schatten” auf dem Programm. Staatsoper und U-Bahnhof tragen zwar beide den Namen „Unter den Linden”, aber der Berliner Prachtboulevard ist lang, deshalb bemühen wir noch kurz den Bus 100 und vertreiben uns die gottlob kurze Wartezeit mit einem Blick ins DRIVE der Volkswagen Gruppe, wo im Eingangsbereich unter anderem ein alter Brezelkäfer und ein schmucker weiß-roter Samba-Bus ausgestellt sind. Warum sich aber die Bushaltestelle trotz des eindeutigen Namens nicht direkt vor dem Operneingang befindet, weiß wohl nur die BVG.
Die Staatsoper unter den Linden ist ein frisch renoviertes Opernhaus mit drei Rängen, wir sitzen im zweiten links, ganz vorne in der ersten Reihe. Die Handlung der Oper, für deren Libretto der Dichter Hugo von Hofmannsthal zeichnet, rankt sich in ihrem Kern um die Probleme des Färbers Barak mit seiner zänkischen Ehefrau („Sie haben mir gesagt, dass ihre Rede seltsam sein wird und ihr Tun befremdlich die erste Zeit”) und um die Frage, ob die Frau ihren für Fruchtbarkeit und menschliche Empathie stehenden Schatten nicht an die Kaiserin abtreten könnte, die als Tochter des Geisterkönigs dringend einen solchen gewinnen muss, weil anderenfalls der Kaiser nach Ablauf der gesetzten Frist zu Stein erstarren wird. Dreh- und Angelpunkt des Dramas ist natürlich die Menschlichkeit, die sich allmählich im Mitgefühl der Kaiserin für einem gepeinigten Menschen zeigt, und die sie die ihr unwissentlich auferlegte Prüfung dann schließlich auch bestehen läßt, denn sie möchte nicht ihr eigenes Glück auf Kosten der Färbersleute erkaufen.
Das alles zieht sich über drei Akte hin, mit zwei Pausen dazwischen, in denen sich wieder einmal bewahrheitet, dass Zeit relativ ist: ohne Pausenbier dauert eine Pause relativ lang, mit Pausenbier relativ kurz, und am kürzesten ist sie für diejenigen, die an der Theke für ihr Pausenbier anstehen müssen. Damit uns dieses Schicksal erspart bleibt, ordern wir es im voraus. Prompt steht es einladend auf Tisch 27 für uns bereit, direkt neben der Warteschlange: oh je, und wir sollen doch Empathie für gepeinigte Mitmenschen zeigen! Ob wir jetzt unseren Schatten verlieren? Der Egoist, der ein paar Sitze weiter in Blickrichtung Bühne seine volle Leiblichkeit samt Ellbogen über der Brüstung hängt, damit er alles gut sehen kann, glaubt jedenfalls ganz fest an seine Durchsichtigkeit.
Erstaunlich finden wir auch, dass an den Zuschauerrängen dieses Theaters insgesamt mehr als 100 Bühnenscheinwerfer montiert sind, die eigentlich gar nicht gebraucht werden: unsere Oper heißt ja „Die Frau ohne Schatten” und nicht „Die schattenfrei ausgeleuchtete Frau”.
Die Wachsfiguren des Hamburger Panoptikums haben unsere Neugier auf weitere Kabinette dieser Art geweckt, allen voran das Madame Tussauds in Berlin. Heute um Punkt 10 Uhr haben wir nun die Gelegenheit für einen Vergleich.
Vorher heißt es aber, sich erneut dem Berliner Nahverkehr anzuvertrauen. Vom Bahnhof Zoo nehmen wir in der Regel den 100er, denn der hat das Zeug zum Sightseeing-Bus, führt seine Strecke doch an Gedächtniskirche, Siegessäule und Schwangerer Auster vorbei, bevor er dann in die Berliner Prachtstraße „Unter den Linden” einbiegt und wir im Aussteigen noch einen Blick auf das Brandenburger Tor erhaschen können, ehe wir uns in die gottlob sehr kurze Warteschlange vor der roten Tür des Tussauds einreihen, denn wir sind ein paar Minuten zu früh. Man kann seine Tickets vorab erwerben, dann steht man links, oder spontan an der Tageskasse, dann steht man rechts. Zu so früher Stunde steht man aber eigentlich überhaupt nicht.
Die sonst bei Ausstellungen üblichen Täfelchen neben den Exponaten braucht es im Tussauds nicht, man erkennt ja alle Personen auf Anhieb, und falls nicht, hilft einem der Kontext, in den sie gestellt sind. Da sind zum einen die Personen mit Berlin-Bezug wie Klaus Wowereit, Angela Merkel oder Willy Brandt, Marlene Dietrich oder Max Schmeling, aber auch ein Erich Honecker und sogar ein ziemlich versteckter Adolf Hitler begegnen uns auf dem Weg zur Treppe in das obere Stockwerk, wo es mit Beethoven, Bach, Einstein, Marx und Grass weitergeht und bei Helmut Kohl, Olaf Scholz und Dirk Nowitzky noch lange nicht endet. Viele Figuren sind so arrangiert, dass die Besucher in ihrer Nähe für ein Selfie posieren können, auf Sigmund Freuds Couch zum Beispiel oder auf dem Wer-wird-Millionär-Ratestuhl. Und wer wissen möchte, wie so eine Wachsfigur hergestellt und bemalt wird, findet auch darüber zahlreiche Erläuterungen. Wir selbst fühlen uns von der Bar im nachgestellten Nachtclub Moka Efti magisch angezogen, wo Charlotte Ritter lässig am Tresen lehnt, während Swetlana Sorokina im Pailettenkleid tanzt und Kommissar Gereon Rath das ganze vom Eingang aus beobachtet. Der Cocktail, den wir uns hier gönnen, heißt „Pumpkin Spice Latte“, die Hintergrundmusik „Zu Asche zu Staub” stammt aus der Fernsehserie „Babylon Berlin“, aus der auch die Bar und die Figuren entlehnt sind.
Waren wir schon bei all den anderen Prominenten aus Film und Fernsehen? Nein, die kommen jetzt: Abba und Michael Jackson, Helene Fischer und Roland Kaiser, Johnny Depp, Leonardo diCaprio und noch einige mehr. Den Figuren aus Star Wars hat man einen eigenen Bereich mit passendem Ambiente gegönnt: im Inneren des Raumschiffs begegnen uns neben R2D2 und C3PO auch Luke Skywalker, Han Solo, Darth Vader, Prinzessin Leia und viele weitere bekannte Gestalten der Weltraumsaga. Natürlich auch einen Meister Yoda sie hier haben, auf einem bequemen Sessel er sitzt. Im Ausgang dieser letzten Abteilung, der zugleich Eingang zum Shop ist, begegnet uns noch Elvis Presley, dann dürfen wir abschließend ein paar Fragen beantworten: Welche Figur haben Sie vermißt? Den Miljöh-Maler Heinrich Zille natürlich. Und auch ein Max Raabe hätte sicher ganz gut in die Riege der Berliner Originale gepaßt.
Das Humboldt-Forum mit seinen vielen Museen hat dienstags zu, immerhin ist aber das SB-Restaurant im Schlüterhof geöffnet. Nach dieser kleinen Stärkung wenden wir uns dem Deutschen Historischen Museum zu, wobei „zu” auch hier das richtige Stichwort ist, denn das Zeughaus wird derzeit saniert und ist also samt DHM-Dauerausstellung ebenfalls geschlossen. Unser heutiges Interesse gilt aber ohnehin nur der Sonderausstellung im rückwärtigen sogenannten Pei-Bau, entworfen vom chinesisch-amerikanischen Architekten und Schöpfer der Louvre-Glaspyramide Ieoh Ming Pei (1917-2019). Das Foyer des Berliner Gebäudes ist nach außen vollständig verglast und innen mit dem mehrgeschossigen und nahezu fensterlosen Ausstellungsbau verschränkt.
In der attraktiv und interessant konzipierten Ausstellung zur Epoche der Aufklärung geht es um Erfindungen und Erkenntnisse, um die Herrschaft der Vernunft (Kant: „Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen”), die Suche nach Wissen, die Ordnung der Welt, die Pädagogik und die Frage nach dem Raum, den Gott in einer vernunftgeleiteten Welt noch einnehmen kann. Auch die Gleichheit aller Menschen ist ein wichtiges Thema: wie ist es um die Rechte der Frauen bestellt? Und warum fand trotz allem auch die Sklaverei Befürworter? Besonders springt uns in diesem Ausstellungsteil eine Tabelle mit vorgeblichen Eigenschaften der europäischen Völker ins Auge: Spanier seien hochmütig, heißt es dort, Franzosen leichtsinnig und Deutsche offenherzig. Sie verbrächten ihre Freizeit bevorzugt mit Trinken, während die Polen gerne zanken und die Wälischen (Italiener!) schwätzen. Die Frage, welche Lehren wir aus der Antike ziehen können, wird in den nachfolgenden Abschnitten erörtert. Es geht um Staatskunst und den Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit, um Welthandel, Kolonialismus und natürlich um Menschenrechte.
Für den heutigen Abend steht eine Veranstaltung der Freunde der Staatsoper auf dem Programm, Referent am Konzertflügel ist der Solo-Korrepetitor Elias Korrinth, der nicht nur erläutert, warum die Kaiserin in der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten” keinen Schatten hat, sondern auch, wie so ein Schatten überhaupt musikalisch abgebildet werden kann, was sich von unzähligen Leitmotiven begleitet sonst noch so alles in der Handlung ereignet, und wo dieser Richard Strauss musikalisch einzuordnen ist: „Richard I. ist Wagner, einen Richard II. gibt es nicht, also ist Strauss Richard III.“ (Hans von Bülow)
Bei Veranstaltungen mit freier Platzwahl ist man übrigens gut beraten, rechtzeitig loszufahren, um vor Ort noch einen guten Platz zu ergattern. Verlängert sich dann allerdings, weil offenbar ein Bus ausgefallen war, die Umsteigezeit von 7 auf fatale 22 Minuten, nützt einem das herzlich wenig, und so sitzen wir im prunkvollen Apollo-Saal der Staatsoper dann leider doch etwas am Rande des Geschehens.
Wir wagen ein Experiment: kann man von Nürnberg mit Nahverkehrszügen nach Berlin reisen? Der DB-Navigator schlägt eine Haus-zu-Haus-Verbindung mit siebenmaligem Umsteigen vor: den Bus und die U-Bahn zum Hauptbahnhof nehmen, von dort über Hof, Chemnitz und Elsterwerda nach Berlin Südkreuz fahren und dann abschließendnoch per S-Bahn und U-Bahn zu unserem Hotel, dem „Motel Blue”. Doch sind die vom DB-Navigator kalkulierten Umsteigezeiten knapp bemessen und betragen in Hof und in Chemnitz jeweils nur wenige Minuten.
Bei Zwickau passiert es dann, wir müssen auf die Einfahrt in den Bahnhof warten, was uns 6 Minuten Verspätung einträgt. Und das liest sich auf dem Display dann so: Ankunft auf Gleis 10 um 12.09 Uhr, Anschlusszug nach Elsterwerda um 12.09 von Gleis 7. Das fängt ja gut an.
Fängt es auch, denn der Zugbegleiter hält seinen Zug so lange fest, dass die herbei eilenden Fahrgäste allesamt noch bei ihm einsteigen können. Von hier bis nach Elsterwerda teilen wir uns das Abteil nun mit einer 7. Schulklasse, die auf dem Weg in eine „voll geile Jugendherberge bei Elterswerda“ ist? Wo bitte? Der Junge mit dem etwas schwachen Namensgedächtnis heißt Tom, weil er beim Sport immer rot wird wie eine Tom-Ate. Jugendsprache ist gar nicht so schwer, und dass zwischendurch ein paar Gummibärchen von hüben nach drüben fliegen und die heisere Stimme der Zugbegleiterin ein wenig untergeht … waren wir nicht alle mal so? Auch um unseren Anschlußzug müssen wir uns dieses Mal keine Sorgen machen, denn wir haben gute 20 Minuten Pufferzeit, und zudem wäre der Zug sogar beinahe pünktlich gewesen.
Unser nächster Teilstreckenzug ist ein IC, der ausnahmsweise auch mit Nahverkehrsticket genutzt werden darf. Mit uns sind auffallend viele Reisekoffer zugestiegen, deren Besitzer offensichtlich auf dem Weg zum Flughafen BER sind. Nach etwa einer Stunde sind wir dort, setzen die Flugpassagiere ab – und rollen in die entgegengesetzte Richtung wieder los. Zurück nach Elsterwerda? Glücklicherweise nicht, der Zug hatte nur einen kleinen Umweg genommen. Theoretisch liegen wir nun schon zum dritten Mal so weit hinter dem Fahrplan, dass der Anschluss am Berliner Südkreuz nicht erreicht wird, aber auch dieses Mal sieht die Praxis völlig anders aus, denn vom unteren Bahnsteig via Rolltreppe zum oberen sind es ja nun wirklich keine 7 Minuten. Im S-Bahn-Abteil riecht es bestialisch nach Raubtierkäfig, und wir werden auch sofort angebettelt, aber das ist eben Berlin. Und warum fährt der Aufzug am Heidelberger Platz nur nach oben, wo wir doch mit den Koffern nach unten wollen? Aha, wir hätten den anderen nehmen sollen. Unten angekommen sind es jetzt nur noch zwei Stationen stadteinwärts und dann ein paar Schritte bis zum Hotel, das wir pünktlich um 16 Uhr erreichen. Und das mit siebenmaligem Umsteigen!
Das Motel Blue befindet sich in der ersten und zweiten Etage eines ganz normalen Berliner Wohnblocks und ist lediglich durch ein blaues Schild über dem Eingang kenntlich gemacht. Wäre die schwere Holztür nur angelehnt, könnten wir hineingehen. Sie scheint aber verschlossen zu sein, also rufen wir die angeschriebene Telefonnummer an und erfahren, dass wir nur kräftiger hätten drücken müssen. Hinter der Tür liegt ein langer Flur, dem seitlich eine Holztreppe in die oberen Stockwerke folgt. Dort, im ersten Stock, verrät ein Schild „Rezeption“, dass wir hier richtig sind. Unser Zimmer 207 liegt allerdings im Stockwerk darüber, wir müssen also samt Koffern wieder zurück ins Treppenhaus, dieses Mal aber mit einem Liftschlüssel, den wir auch behalten dürfen.
Das Zimmer ist angenehm modern, aber ungewöhnlich schmal und dadurch – was typisch für einen Altbau ist – quasi höher als breit. Damit das nicht so auffällt, ist auch der Wandschrank extrem hoch: so hoch, dass nur ein Riese das oberste Fach ohne Leiter erreichen könnte. Das erfordert eine gewisse Logistik beim Einräumen, denn man kann auch nicht einfach zur anderen Bettseite herumgehen. Aber das macht uns nichts aus, das kennen wir ja von zuhause.
Unten an der Kreuzung haben wir einen Supermarkt entdeckt, wo wir rasch noch ein paar Kleinigkeiten besorgen, ehe wir uns auf die Suche nach einer warmen Mahlzeit machen. Der Hauptbahnhof ist hier eine gute Adresse, man erreicht ihn vom Hohenzollernplatz, indem man den Bus 249 zum Bahnhof Zoo nimmt und von dort eine beliebige S-Bahn, was im Gewühl der Baustellen gar nicht so leicht ist. Lohn der Mühe: eine authentische Berliner „Curry36” Currywurst.
Als die Menschen noch mehr Zeit hatten als heute, störte sich wohl kaum jemand daran, dass man während der Fahrt von Ebermannstadt nach Behringersmühle quasi einen Blumenstrauß hätte pflücken können, so gemächlich zuckelt das Bähnlein durch die idyllische Landschaft des oberen Wiesenttals. Die Wagen haben Plattformen an beiden Enden, so dass man während der Fahrt in einen anderen Wagen umsteigen könnte, wenn man denn wollte oder der Schaffner wäre, den wir vorhin schon hinter dem Fahrkartenschalter gesehen hatten. Hier auf der DFS, der Dampfbahn Fränkische Schweiz, ist eben alles noch so wie früher. Auf die vorgespannte Dampflokomotive müssen wir heute allerdings verzichten, sie kommt nur jeden zweiten Sonntag zum Einsatz. Man kann eben nicht alles auf einmal haben.
Abfahrt in Ebermannstadt ist um 10.05 Uhr, natürlich warten wir aber auf den etwas verspätet eintreffenden Regionalzug aus Forchheim. Schon bald erblicken wir auf einem Felssporn die markante Ruine Neideck. Von hier weg wird das Tal nun enger, die Felsen rücken näher an die eingleisige Strecke heran, und stellenweise bleibt gerade noch Platz genug für Straße, Flüßchen, Bahngleis und Wanderweg. Hinter Behringersmühle entfällt dann auch das Bahngleis, aber davon später. Zunächst einmal passieren wir den Bahnhof Muggendorf, der heute ein Naturpark-Infozentrum samt Modelleisenbahn beherbergt. Detailliert in H0 dargestellt ist ein Teil des Streckenabschnitts, den wir gerade befahren.
Man könnte hier also aussteigen und dann auch gleich noch hinüberlaufen zum Modelleisenbahnmuseum der Familie Häntzschel mit seinen Anlagen in unterschiedlichen Spurweiten, insbesondere der seltenen Spur S. Oder aber einen der zahlreichen markierten Wanderwege begehen, die es hier gibt. In zwei Stunden käme dann der nächste historische Zug vorbei, um einen wieder mitzunehmen bis zum Endbahnhof, denn wer würde schon freiwillig au den Rest der Fahrt verzichten und gleich hier den Gegenzug nehmen?
Wer wenig Zeit hat oder weder Lust auf Wandern noch Einkehren verspürt, kann im Bahnhof Behringersmühle auch einfach im Abteil sitzen bleiben, verpaßt dann aber das Rangieren der Lok vom einen Ende des Zuges zum anderen. Wir warten noch, bis der Zug pfeifend wieder in Richtung Westen verschwunden ist, dann laufen wir in der entgegengesetzten Richtung los, denn wir wollen nach Tüchersfeld. Natürlich nicht die Straße entlang, sondern auf der anderen Talseite. Aber welches Tal ist das richtige? Ein suchender Blick und die hilfsbereite Auskunft einer Ortskundigen sind quasi eines: wir müssen die Straße und eine Brücke queren und dann einfach nur den Weg folgen. Anfangs noch breit, wird der allerdings immer sparsamer und schließlich zum Trampelpfad. Sind wir hier wirklich richtig? Eine Wegmarkierung, die Gelbe Raute, beseitigt unsere Zweifel, und dann wird der Weg auch wieder besser und führt, von raschelndem Laub bedeckt, am Talrand entlang bis zu einer Fußgängerbrücke, der wenig später eine Straßenbrücke folgt. Von hier weg müssen wir ein Stück weit der Straße folgen, denn unser Wanderweg führt an ein anderes Ziel, irgendwo bergauf. Aber es sind ja nur wenige hundert Meter, die uns noch vom Ziel trennen: dem ikonischen Felsendorf Tüchersfeld.
Ikonisch deshalb, weil hier eine markante Felsengruppe zwischen den Häusern aufragt. Etwa auf halber Höhe zeigt sich einer der Fachwerkgiebel des Fränkische-Schweiz-Museums. Hier könnte man durchaus ein paar Stunden zubringen – oder den Besuch auf einen anderen Tag verschieben, denn wir wollen ja rechtzeitig wieder am Bahnhof sein und vorher auch noch etwas essen. Zum Beispiel im Gasthof zum Fahnenstein, der nach der zweiten markanten Felsgruppe im Ort benannt ist. Um zum Gipfel mit der Fahne zu gelangen, hieße es allerdings Treppen steigen, und das auf leeren Magen. Mit Bier und Schnitzel im Bauch fiele die Tour allerdings erst recht schwer. Kurzerhand streichen wir Gasthaus und Aussichtspunkt und laufen von hier erst einmal den Wanderweg zurück nach Behringersmühle, von wo aus der Rest des Weges überschaubarer ist.
Kuchen und dunkles Bier sind zwar eine eher unübliche gastronomische Kombination, aber die Wirtin hat nichts dagegen einzuwenden, und so runden wir diesen schönen Wandertag hier ab, nur einen Katzensprung vom Bahnhof entfernt, wo Punkt 17.05 Uhr der Zug zurück nach Ebermannstadt abdieselt. Es ist der letzte für heute und auch der letzte in diesem Jahr, denn der kommende Sonntag und die Nikolausfahrten stehen beide im Zeichen des Dampfes.
Wir frühstücken beim „Lukas”, das ist ein Bäckerei-Café ganz in der Nähe der Nicolaikirche, das auch sonntags schon sehr früh öffnet, auch wenn der Andrang zu weniger unchristlichen Zeiten sicher deutlich größer ist und die Serviceroboter, die wir gestern schon bemerkt hatten, sicher mehr zu tun haben als heute. Auch von den drei Bestellterminals macht niemand Gebrauch, obwohl es zu Stoßzeiten sicher sehr angenehm ist, seine Wünsche einfach in den Bildschirm zu tippen und sich dann nach dem Bezahlen per Karte samt PUK, so heißen die kleinen Piepser, an einen freien Tisch zu setzen und auf Robby oder Wally zu warten. Woher wissen die beiden elektronisch Beflissenen eigentlich, wo der Gast Platz genommen hat? Nun, der PUK wird es ihnen verraten haben. Unser Tablett müssen wir natürlich selbst vom Roboter herunternehmen und ihm den PUK übergeben, damit das Maschinchen dann wieder in die Küche rollen und den nächsten Gast bedienen kann. Ciao, Wally.
Viel zu früh stehen wir wenig später vor einem der Eingänge des Museums der bildenden Künste. Es hat deren vier, einen pro Himmelsrichtung. Als um Punkt 10 Uhr der Aufschließer kommt, fällt er sogleich vor uns auf die Knie. Aber nicht aus Ergebenheit, sondern weil sich die Schlüssellöcher für die Glastüren im Fußboden befinden.
Das Museumsgebäude ist ein Kubus von gewaltigen Ausmaßen, wirkt aber dennoch leicht und luftig. Allein bei der Konzeption der Schließfächer hatte der Architekt einen schlechten Tag, denn die Gasse hinter der Kasse mit den Schränkchen zu beiden Seiten ist eng, und man steht sich selbst bei geringem Andrang gegenseitig im Weg. Dafür sind aber die Treppen, von denen es mehrere gibt, recht großzügig bemessen.
Der Bereich für die Sonderausstellungen befindet sich im Untergeschoss. Die sehr geschickte Raumaufteilung läßt keinen Zweifel daran, in welcher Reihenfolge man die Bilder und Zeichnungen betrachten soll. Jedoch kommt relativ schnell das Gefühl auf, man sei akustisch in eine U-Bahn geraten. Denn wer kennt nicht diese typische Geräuschkulisse, wenn sich zum Stimmengewirr im Großraumabteil des abfahrbereiten Zuges das immerfort schrillende Lülo-Lülo der sich auf Knopfdruck in Kürze öffnenden oder gleich schließenden Türen hinzu gesellt, mal laut und in der Nähe, mal weiter entfernt und oft auch gleichzeitig aus mehreren Richtungen? In der Rembrandt-Ausstellung des Leipziger MdbK kann man das ganz genauso erleben. Denn die Gemälde und insbesondere die Zeichnungen Rembrandts und seiner Zeitgenossen sind lichtempfindlich und die Beleuchtung entsprechend gedimmt, während gleichzeitig die Texte auf den Täfelchen klein sind. Und so unterschreitet in der weitläufigen Hängungsrunde alle paar Sekunden ein sich vorbeugender Kopf oder eine auf Details zeigende Hand den per Bodenlinie markierten Sicherheitsabstand, so dass Alarm und Wachpersonal den Täter, so er sich denn als solcher wahrnimmt, zurückzucken und für den Rest seines Rundgangs mehr auf die Linie denn auf die Kunst achten läßt. Aber die akustische Sensibilisierung wirkt natürlich nur bei jenen, die einmal damit in Konflikt geraten sind, die neu Hinzukommenden hingegen wissen noch nichts von der hohen Empfindlichkeit der Abstandswarner.
Das MdbK verfügt auch über eine umfangreiche Dauerausstellung, die sich in den oberen Stockwerken befindet. Der Lift nach oben führt freilich ein etwas verstecktes Dasein und läßt sich auch sehr lange bitten, so dass wir am Ende dann doch die lange Treppe nehmen. Oben angekommen, tut sich eine Welt auf. Eine Welt voller Gemälde, von denen viele Weltruf genießen, Caspar David Friedrichs Lebensalter zum Beispiel oder Claude Monets „Boote am Strand von Etretat”. Das Lieblingsmotiv des Verfassers ist hingegen weit weniger spektakulär. Es zeigt ein Gerippe, das gerade einem dringenden Bedürfnis nachgeht. Den „pinkelnden Tod” nannte Max Klinger sein Werk.
Wer mit der Bahn fährt, kann das Leben in vollen Zügen genießen. Und das sogar, wenn in der Fahrplanauskunft „geringe Auslastung“ stand. In der Sitzgruppe gegenüber hat sich eine junge Frau niedergelassen, die über geschlossene Kopfhörer mit irgend jemandem telefoniert. Sich akustisch in einer anderen Umgebung wähnend, spricht sie natürlich viel zu laut und bekommt auch nicht mit, dass sie die anderen Fahrgäste mit ihren intimsten und privatesten Details beschallt. So weiß schon bald das ganze Abteil, wann und wo sie sich mit ihrem Gesprächspartner treffen will. Und dass sie der Freundin, die morgen Geburtstag hat, eigentlich den weißen Pullover schenken wollte, den sie nun aber schon hat. Als der Zug in einem Bahnhof hält, schreckt sie auf: wo sind wir hier eigentlich? Und wie aus einem Mund antworten die Mitreisenden: „In Breitengüßbach!“
Um nach Leipzig zu gelangen, haben wir uns für eine sehr ökonomische Lösung entschieden, nämlich den Regionalzug. Die Verbindung besteht aus zwei Teilstrecken, einmal von Nürnberg nach Saalfeld über Bamberg, Schweinfurt und den ehemaligen Grenzbahnhof Probstzella, und dann noch einmal von Saalfeld über Gera nach Leipzig Hauptbahnhof. Der erste Zug ist ein Doppeldecker, der zweite ein relativ kleiner und bis auf den letzten Platz ausgelasteter Dieseltriebwagen. Heute ist ein herrlicher Herbsttag, die höher steigende Sonne läßt Nebelschwaden aus den frisch gepflügten Feldern emporsteigen. Abgesehen von einem lautstark schnarchenden Mitreisenden, der für die Fahrkartenkontrolle erst mühsam geweckt werden muss, haben wir recht angenehme Mitreisende, insbesondere den Achtjährigen, der voller Stolz berichtet, er sei mit seinen Eltern und dem kleinen Bruder unterwegs zum Rummel nach Leipzig, der viel größer und schöner sei als zuhause in Gera.
Leipzig ist ein Kopfbahnhof, man läuft vom Bahnsteig schnurstracks hinaus auf den Vorplatz, überquert ein paar Straßenbahngleise und ist dann auch schon in der verkehrsberuhigten Altstadt, wo wir nach wenigen hundert Metern zur Rechten das Motel One vorfinden. Das Zimmer ist noch nicht bezugsfähig, aber wahrscheinlich sehen wir so ermattet aus, dass die freundliche Rezeptionistin verspricht, uns in einem der ersten unterzubringen, die heute frei werden, und stellt auch unsere Koffer unter, so dass wir uns frei in der Stadt bewegen können.
Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, denn wir haben uns für die zwei Tage einiges vorgenommen. Auf dem Besuchsprogramm steht zunächst einmal das Museum für Musikinstrumente, das ein Teil des Grassimuseums ist und mit einem viertelstündigen Fußmarsch erreichbar.
Wie groß mag das Museum wohl sein? Man ist ja immer gut beraten, sich vorab zu überlegen, wie viel Zeit man hat und wieviel man davon in die einzelnen Säle und Themen investieren will. Aber wie viele gibt es? Kann man sich auch Zeit für die eine oder andere Hörprobe nehmen? Die hier nicht wie anderswo über einen Hörer eingespielt werden, sondern stets den ganzen Raum beschallen? Was je nach Besucherstruktur aber durchaus Vorteile hat, besonders wenn jedes Instrument über einen anderen Lautsprecher eingespielt wird.
Sehen wir uns also den ersten Saal an. Es geht um Streichinstrumente mit 18 Saiten, die weiß der Geier wie gestrichen wurden, Im zweiten dann um Klaviere mit geteilten Obertasten und im dritten um das Musikleben zu Bachs Zeiten. Als nächstes folgt nun der Konzertsaal mit der berühmten Silbermann-Orgel, und zu guter Letzt führt der Weg durch drei weitere Säle wieder hinaus ins Foyer mit den Kassen und dem Übergang zum anderen Museum im Grassi, dem Museum für Völkerkunde. Aber das heben wir uns für einen anderen Besuch auf.
Was uns bei den Instrumenten auffiel waren vor allem die vielen Möglichkeiten, die Tafeln mit den einführenden Texten unterzubringen. Mal hingen sie an der Wand wie in anderen Museen auch, dann wieder seitlich an der Vitrine und einmal sogar an der rückseitigen Vitrinenwand. Und dann die vielen exotischen Instrumente! Was wie (eine Kommode mit vielen seitlich ineinander gesteckten Schüsselchen) die Auslage eines Porzellanladens aussieht, ist eine Glasharmonika. Sie wird mit angefeuchteten Fingern gespielt, das Schwämmchen dafür liegt griffbereit. Eindruck machen auch die selbstspielenden Geräte in allen Größen, von der Lochstreifen-Mundharmonika bis hin zum schrankgroßen Orchestrion des Leipziger Herstellers Hupfeld.
Zurück im Hotel ist das Zimmer 330 soeben fertig geworden. Die Innenstadtlage hat den Vorteil, dass wir nicht lange nach einem Imbiß suchen müssen, die Wahl fällt auf den Asiaten gleich nebenan. Reis mit Stäbchen zu essen ist übrigens eine echte Herausforderung.
Heute Abend haben wir Karten für die Musikalische Komödie. Gegeben wird die wohl bekannteste Operette von Johann Strauß: „Die Fledermaus”. Zuerst aber gilt es, die im Stadtteil Lindenau gelegene Spielstätte zu finden. Wir nehmen die Straßenbahn zur Haltestelle „Angerbrücke“ und plaudern während der Fahrt mit einer jungen Mutter über deren Pläne, den aufgeweckten Sohn nächstes Jahr bei den Thomanern einzuschulen, wo er vielleicht eines Tages Chorknabe wird. Das letzte Stück Weges gehen wir zu Fuß. Schneller als erwartet, denn der Park war nur ein Grünstreifen und der Fluß nur ein Bach, stehen wir vor einem eingerüsteten Bau und wären beinahe daran vorbei gelaufen, hätten wir nicht die vielen vor dem Eingang wartenden Leute bemerkt.
Der Theaterbau strahlt samt Personal den nüchternen Charme der DDR aus, aber wir haben gute Sicht auf die Bühne und sind schon bald von der pfiffig inszenierten Handlung und der schönen Musik begeistert. Es geht um einen Mann, der wegen Beleidigung einer Amtsperson eine Haftstrafe antreten und deshalb seine hübsche junge Frau für ein paar Tage allein lassen muss. Beide nutzen die Gelegenheit, sich bis zum Morgen ohne Wissen des anderen zu amüsieren: er beim Maskenball des Prinzen Orlowsky, sie mit ihrem heimlichen Liebhaber, der dann aber für den vermißten Häftling gehalten wird und sich, um die Dame nicht zu kompromittieren, abführen lassen muss. Ganz nebenbei weilt auch die Kammerzofe keineswegs bei ihrer angeblich kranken Tante, sondern auf dem bewußten Ball. Verständlich, dass sich nun allerhand Verwicklungen ergeben, insbesondere als auch noch die Ehefrau maskiert die Szene betritt und ihrem Mann, der sie nicht erkennt, als Beweis seiner Untreue die Taschenuhr abluchst. Zudem wird die Zofe im rosa Fummel ihrer Herrin, momentan aber eben ohne denselben, angetroffen. Mehr soll aber nun wirklich nicht verraten werden.
Die Rückfahrt mit der Straßenbahn zum Hotel verläuft relativ ereignislos.
Hamburg bot, auch wenn die Hanseaten eher Kaufleute als Künstler waren, auch so manchem heute berühmten Komponisten eine Heimstatt, zumindest für ein paar Jahre. Einer von ihnen, Johannes Brahms, ist hier sogar geboren und hat deshalb in der Peterstraße sein eigenes kleines Museum, das Johannes-Brahms-Haus. Es ist ein recht übersichtliches Gebäude mit einer Wohndiele, an der zwei Zimmer liegen und von wo eine weiß lackierte und leicht gewendelte Holztreppe nach oben steigt in den „Komponistenhimmel”: diese Teilreplik eines berühmten Züricher Deckengemäldes ziert nämlich die obere Wand des Treppenaufgangs, wo uns erneut ein Haupt- und zwei Nebenräume erwarten. Einer von ihnen ist zur Zeit dem mit Brahms befreundeten Zwölftonpionier Arnold Schönberg gewidmet, im anderen steht jenes Tafelklavier von Baumgardten & Heins, auf dem der junge Brahms einem Fräulein aus gutem Hause Unterricht erteilt hat. Es gehörte damals der Familie seiner Schülerin und wird heute noch hin und wieder bespielt.
Während seiner Wiener Zeit war Brahms mit Arnold Schönberg befreundet, dem Entwickler der Zwölftontechnik in der Komposition. Im Ausstellungsraum des Museums illustriert derzeit eine Sonderausstellung die Person und das Lebenswerk Schönbergs, der keineswegs nur Komponist war, sondern unter anderem auch ein Schachspiel für vier Spieler erfand, das er „Koalitionsschach” nannte.
In derselben Häuserzeile, nur wenige Schritte vom Brahmshaus entfernt, befindet sich mit dem Komponistenquartier ein weiteres bemerkenswertes Museum. Mehrere Einzelmuseen sind hier so zusammengefaßt, daß man nacheinander Georg Philipp Telemann (1681-1767), Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Johann Adolph Hasse (1699-1783), Fanny und Felix Mendelssohn (1805-1847 und 1809-1847) sowie dem melancholisch-verschrobenen Gustav Mahler (1860-1911) gewidmete Räume besuchen kann.
Ein besonderes Ausstellungsstück ist hier das Welte-Reproduktionsklavier: ein Konzertpiano von Steinway & Sons, das die Einspielung eines Pianisten in einen Lochstreifen ermöglichte, inklusive seiner Anschlagsdynamik. Im Repertoire der Firma befanden sich Lochstreifenrollen von Komponisten, die ihre eigenen Werke einspielten, so dass man deren Spiel noch heute wiedergeben kann, als säße die Person selbst am Klavier. Für Besucher sind diese Aufnahmen natürlich nur als Aufzeichnungen verfügbar, immerhin ist aber eine der originalen Rollen zu sehen. Sie trägt die Aufschrift „Sopran Solo aus der IV. Symphonie Das himmlische Leben G. Mahler, gespielt von…” und darunter die originale Unterschrift Mahlers, denn das war als Nachweis der Authentizität und der vom Künstler geprüften Qualität üblich. Vermerkt ist auch das Datum 9. XI. 05.
Ein ebenfalls bemerkenswertes Exponat ist das Modell einer barocken Opernbühne samt Schiebekulissen, Wolkenfahrstuhl und Wellenmaschine im Abschnitt über den Komponisten Johann Adolph Hasse. Vom einmanualigen Cembalo mit 4 5/6 Oktaven nach Francois Étienne Blanchet ist weltweit nur ein einziges Original erhalten, das im Telemann-Raum gezeigte Instrument ist ein Nachbau. Original ist aber die Viola d‘amore von 1727 sowie einige weitere Instrumente und Notenbücher aus dieser Zeit.
Wie wäre es, noch ein paar Augenblicke in Fanny Mendelssohns efeuumrankter Laube Platz zu nehmen und den Tonaufnahmen zu lauschen, die dort über Kopfhörer angeboten werden? Die Hörer können am Empfangstresen des Museums ausgeliehen werden und vermitteln in jedem Abschnitt, worum es zwischen all den Exponaten und Tafeln geht: um klassische Musikwerke mit Bezug zu Hamburg.
Vorbei an einem Supermarkt und der Michaeliskirche wenden wir uns nun den Landungsbrücken zu, wo um 14.30 Uhr unsere einstündige Hafenrundfahrt starten soll. Wo genau? Wir fragen am Auskunftschalter nach und erfahren, dass diese Fahrt leider ausfalle, wir sollten aber sicherheitshalber noch einmal am Pier nachfragen. Dort weiß man zwar nichts von einem Ausfall, wir könnten aber das Boot für die 14-Uhr-Tour besteigen, denn das läge gerade noch abfahrtbereit am Kai. Das lassen uns natürlich nicht zweimal sagen.
Kurze Zeit später passiert unsere Barkasse die beiden Museumsschiffe und den soeben ablegenden Mississippi-Dampfer, der weder ein Dampfer ist noch jemals Mississippi-Wasser unterm Kiel hatte. Das nahe Kehrwiederfleet wird seit einigen Jahren von der Brücke überspannt, die beide Gebäude des Miniatur-Wunderlandes verbindet, wir sehen die Besucher zu uns herabwinken. Am immer noch nicht eröffneten Westinghouse und der imposanten Elphi vorbei gelangen wir an die jenseitige Hafenkante und bewundern die Blohn&Voss Werft, die Hafenkräne und als krönenden Abschluss die neue „Mein Schiff 7”, deren fabrikneuer Anker offenbar noch nie im Wasser war. Der Steuermann unserer kleinen Barkasse tut uns Fahrgästen seine persönliche Meinung zu Kreuzfahrten kund, dann geht es zurück zur Anlegestelle, wo unsere Mini-Kreuzfahrt endet.
Jetzt aber schnell zurück zum Hotel, denn um 18.30 Uhr beginnt schon die Einführung zur Oper „Carmen“ in der traditionsreichen Hamburger Staatsoper. Die liegt zum Glück an derselben Buslinie wie unser Hotel, wir müssen nur vom Ziel Stephansplatz ein paar Schritte in Richtung Stadtmitte laufen. Allerdings sieht keines der Gebäude an dieser Straße wie ein Opernhaus aus. Das liegt schlicht daran, dass es sich um einen Neubau aus den 1950er-Jahren handelt mit entsprechend minimalistischen Erscheinungsbild, auch im Inneren.
Dem Operngenuss tut das freilich keinen Abbruch, und auch die Inszenierung ist zwar modern und ausgesprochen farbenfroh, fügt der Handlung aber gottseidank nichts Irritierendes hinzu. Im Gegenteil, die Aufführung gerät zu einem Erlebnis der Spitzenklasse und wird uns noch lange in Erinnerung bleiben.
Für den letzten Tag haben wir keine besonderen Pläne mehr. Wie wäre es, dem berühmten Hagenbeck-Zoo einen Besuch abzustatten? Der liegt zwar etwas abseits vom Stadtzentrum, scheint mit der U-Bahn-Linie 2 aber gut erreichbar zu sein. Was die kleine Navigationshilfe in unseren Händen aber nicht wissen kann ist, dass es am Berliner Tor baustellenbedingt eine lange lange Holztreppe hinaufzusteigen gilt. Und auch der Bahnknoten selbst wartet mit langen Wegen auf, aber irgendwann sitzen wir dann doch im richtigen Wagen.
Der Hagenbeck umfaßt einen Zoo und ein Tropen-Aquarium, die Entscheidung für das eine, das andere oder beides fällt an der Kasse, denn es gibt ein Kombiticket. Heute ist ein eher unfreundlicher Tag, was sich zwar nicht auf die Laune der Kassenkraft auswirkt, sehr wohl aber auf unsere Entscheidung. Und so schieben wir wenig später die Tür auf, die das Drinnen vom Draußen trennt, um die kommenden Stunden in angenehm tropischer Wärme zu verbringen.
Natürlich wird auch hier das beliebte Suchspiel „wo ist das Tier?” gespielt. Welches? Selbst ein Blinder hätte damit keinerlei Problem, er müßte lediglich auf die Kommentare der anderen Besucher achten: „Schau mal Mama/Papa, ein/e <Name des Tieres>!”. Natürlich sind alle Tiere zuhause, was bliebe ihnen denn auch anderes übrig? Und ebenso erwartungsgemäß sind auch alle Kinder begeistert, wenn sie denn so einen Terrariumsbewohner entdeckt haben: „Papa/Mama schau! Jetzt schau doch mal!” Unsereiner interessiert sich natürlich mehr dafür, wo das Tier seinen natürlichen Lebensraum hat, und ob dieser Lebensraum möglicherweise bedroht ist, was leider eher die Regel ist als die Ausnahme.
Im Raum mit den beiden großen Bullaugen kehren sich die Verhältnisse plötzlich um: nun sind es wir Besucher, die aus ihrem engen U-Boot hinausschauen in die Weite der Unterwasserwelt, in der Rochen und Haie majestätisch dahinziehen. Diesem ersten Blick auf Aquarien voller bunter Fische und Korallen folgen im Verlauf des Rundgangs noch viele weitere. Vorbei an Nemos bunter Verwandtschaft gelangen wir in einen Raum, der einerseits von einer gläsernen Wand gewaltigen Ausmaßes und andererseits von mehreren Sitzreihen geprägt ist. Sich hier niederzulassen und den Schwärmen der diversen Meeresbewohner zuzusehen hat etwas Beruhigendes und Entspannendes. Im Hintergrund des Wasserbeckens sind zwei Bullaugen zu sehen: es sind dieselben, durch die wir vorhin von der anderen Seiten her das große Aquarium bewundert haben. Welch ein Erlebnis!
Der Rundgang führt nun ohne weitere Höhepunkte hinauf in den Gastronomiebereich, wo sich, gebührenden Abstand zu uns haltend, allerlei frei fliegende Vögel tummeln. Wie gut, dass das Krokodil zwei Etagen weiter unten wohnt.
Und dann ist dieser Besuch auch schon wieder zu Ende. Das weitere Programm sieht so aus, dass wir unsere Koffer aus dem Hotel holen und uns an den Bahnsteig begeben, wo um 18 Uhr unser ICE nach Nürnberg startet. Hamburg, ade und bis bald wieder.
Das NIU Yen hat einen angenehm großzügigen Früstücksraum, und auch das Frühstück selbst entspricht den Erwartungen. Heute haben wir das Miniatur-Wunderland auf unserer Agenda stehen. Dort gibt es nämlich mit Monaco/Provence und Patagonien zwei neue Abschnitte, die wir noch nicht kennen.
Die Attraktionen der Speicherstadt sind allesamt über die Hochbahnstation Baumwall an das übrige Hamburg angebunden und von dort fußläufig erreichbar. Zum Glück regnet es heute morgen nur mehr leicht, und schon bald stehen wir vor dem Eingang zum Kaispeicher, über dessen zweites bis viertes Stockwerk sich die größte Modellbahn der Welt erstreckt. Genau genommen kommt sie schon seit ein paar Jahren nicht mehr mit dem Platz im ursprünglichen Gebäude aus, also hat man eine Brücke über das Fleet gebaut und sich auch das jenseitige Gebäude erschlossen. Analog zur geographischen Realität sind drüben vor allem die Länder der Neuen Welt untergebracht, was freilich nicht ganz konsequent ist, da sich die USA nach wie vor diesseits des Fleet-Atlantiks befinden. Aber so ist das eben, wenn man immer wieder erweitert: in ein paar Jahren sollen drüben Atacama, Regenwald und Karibik eröffnen.
Eine Herausforderung für die Wunderland-Besucher besteht ja stets darin, die Treppen zur jeweils oberen oder unteren Etage zu finden. Man könnte natürlich einfach die vorgeschlagene Runde laufen, aber weil es so viele Welten gibt, in deren Details man sich immer wieder neu verlieren kann, käme man dann wohl erst spätnachmittags in Monaco an. Wir kürzen also ab und stehen vor der berühmten Formel-1-Strecke, wo soeben die Mini-Boliden die S-Kurve heruntergefahren kommen. Wie an der echten Rennstrecke sieht man von seinem Standpunkt aus immer nur einen kleinen Abschnitt, kann das Rennen aber über die Monitore mitverfolgen. Wo haben die nur die vielen Kameras im Modell versteckt? Natürlich: im Modell-Kameraturm, wo denn auch sonst? Wenige Minuten später ertönt von irgendwo die britische Nationalhymne. Aha, Siegerehrung.
Direkt neben dem monegassischen Zwergstaat erheben sich im Hamburger Modell die Berge und Schluchten der Provence. Der Modellzug passiert gerade das Tal, das vom bekannten Pont du Gard überspannt wird. Gerade eine Zuglänge davon entfernt befindet sich, für Eingeweihte leicht zu identifizieren, die Felsbrücke Pont d’Arc, von der sich ein winziger Klippenspringer in die Fluten stürzt, während von ganz in der Nähe das Geräusch eines fahrenden Mopeds ans Ohr dringt. Wie in der Realität hört man das kleine Zweirad-Teufelchen schon, bevor man es sieht. Aber man hat ja eine zweite, dritte und vierte Chance, immer wenn wieder jemand den Knopf „Moped” drückt: aha, da ist es!
Nun ist es aber an der Zeit, die Brücke hinüber nach Südamerika zu queren, wo man zur Linken auf die schon nicht mehr ganz neue Copacabana stößt. Nach wie vor gondelt hier eine Seilbahn zum Zuckerhut hinauf, nach wie vor sorgt der Gegensatz zwischen den modernen Hochhäusern und wild verschachtelten Favelas für Erstaunen und der Karneval von Rio im Sambadrom für die passende Geräuschkulisse. Und als die Dunkelheit hereinbricht, was im Wunderland alle 15 Minuten der Fall ist, grüßt vom Modell-Corcovado der erleuchtete Cristo Redentor herab.
Für den nachfolgenden Abschnitt müßte man sich nun eigentlich einen Friesennerz überwerfen wie die winzigen Polarforscher, die von ihrem Expeditionsschiff aus die Pinguine beobachten. Was hier von den Modellbauern erschaffen wurde, verdient höchsten Respekt: das stürmisch bewegte Wasser der Drake Street sieht durch die von unten projizierten Schaumkronen so unglaublich echt aus, und auch die kleinen Boote schaukeln so heftig hin und her, dass man schon vom Hinsehen schier seekrank wird. Deutlich entspannter geht es beim kalbenden Morenogletscher zu: die Eisstücke senken sich so bedächtig ins Wasser, als würde eine imaginäre Hausfrau rohe Eier in ihren Kochtopf bugsieren. Hier müssen die Modellbauer wohl noch ein wenig nachbessern. Gut gelungen sind jedenfalls die Gruppen blökender Schafe, die der Schmalspurzug von den Schienen scheucht, während auf Knopfdruck zwei Andenkondore die raumhohen Gipfel umkreisen.
Zurück in der Alten Welt wollen wir noch rasch in die Schweiz reisen, das bekannte Dü-Da-Do (für die Musiker unter uns: cis-e-a) der Postbusse weist akustisch den Weg. Aber was ist das? Wie wir da so auf das gewaltige Matterhorn sehen wie jüngst im Zermatt-Urlaub, öffnet sich auf einmal mitten ih der Anlage eine Bodenklappe, und ein behelmter Kopf lugt daraus hervor. Und dann noch einer, und noch einer. Insgesamt sechs Köpfe zählen wir, bis sich die Klappe wieder schließt und die Teilnehmer der Führung „Hinter den Kulissen” zur nächsten Attraktion weitergeführt werden.
Wer möchte, kann im Wunderland übrigens seine individuelle Modellfigur erwerben und mitten ins Helene-Fischer-Konzert platzieren lassen. Aber dort müßte sie dann „Atemlos” in Dauerschleife ertragen, und das würde man ja wohl noch nicht einmal seinem Avatar zumuten wollen – ein Kühlschrankmagnet für denselben guten Zweck tut es doch auch und erinnert einen zudem viel nachhaltiger an den schönen Besuch.
Im Miniatur-Wunderland kann man übrigens auch stilgerecht essen und trinken: die Tische und Bänke des SB-Restaurants sind einem Speisewagen nachempfunden, mitsamt Fenstern und Landschaft. Welch ein Glück, dass die Modellbauer diese Abteilung bisher übersehen haben und die Miniaturisierung sich nicht auch auf auf die gereichten Portionen erstreckt!
Frisch gestärkt steuern wir nun der berüchtigten Hamburger Reeperbahn zu! Wer bei diesem Stadtviertel zuallererst an ein Rotlichtviertel denkt, ist schief gewickelt, die Flaniermeile hat tagsüber durchaus auch Familientaugliches zu bieten. Eine der ersten Adressen ist hier das Panoptikum, das Wachsfigurenkabinett. Die Tradition dieses Familienunternehmens reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück, die heutige Chefin ist die Urenkelin des Gründers. Im Feuersturm des Zweiten Weltkriegs ging zwar das meiste verloren, aber einige Figuren können es an Lebensalter inzwischen durchaus wieder mit dem ihrer Vorbilder aufnehmen.
Die üblichen Schrifttäfelchen bräuchte es bei diesem Museum eigentlich gar nicht, da jedes Exponat auf Anhieb identifizierbar ist. Zur Rechten spendet Papst Benedikt XVI. den Eintretenden seinen Segen, über den Köpfen hängt Otto Lilienthal an seinem Gleitflugzeug, zur Linken hat sich sowohl royale wie auch politische Prominenz versammelt, und bei dem Herrn mit Vatermörderkragen und dunkler Sonnenbrille handelt es sich unzweifelhaft um Karl Lagerfeld. Der Platz neben Helmut Schmidt wäre gerade frei, und man könnte sich neben ihn setzen. Leider ist der alte Herr nicht sehr gesprächig, aber das ist für ein Foto mit ihm ja auch gar nicht notwendig. Gleich gegenüber speisen in einer Nische Helmut Kohl und Dietrich Genscher, wahrscheinlich gibt es Pfälzer Saumagen. Den Herrn, der neben der Treppe sitzt, kenne ich nicht, hat der denn kein Schildchen? Leider nein, aber er steht plötzlich auf und geht weg.
Neben einem pinkfarbenen Cadillac posiert James Dean, auf dem Rücksitz hat Marilyn Monroe Platz genommen, und am Steuer sitzt Elvis Presley, allesamt authentisch gekleidet und ausstaffiert, ebenso wie die vier pilzköpfigen Herren gleich nebenan. Sie waren noch sehr jung, als sie im Hamburger Starclub auftraten, John Lennon trug noch keine Nickelbrille, und auch der Schnauzbart war wohl noch nicht modern. Zum Starclub, wenn es ihn noch gäbe, wären es von hier übrigens fußläufig gerade einmal 10 Minuten.
Die Lieblingsfigur der meisten Besucher ist sicher Otto Waalkes, wie er da in seiner typischen Pose am Brüstungsgeländer lehnt. Oder vielleicht doch Helene Fischer? Oder Taylor Swift? Oder gar Harry Potter? Jede Generation hat ihre Idole, und während der eine sich freut, dem wächsernen Abbild eines Erik Ode oder Roy Black gegenüberzustehen, mag sich der andere vielleicht fragen: wer sind diese Herren denn überhaupt? Und vor allem: stehen die gruseligsten Konterfeis vielleicht gar nicht in der Folterkammer, sondern im Nazi-Kabinett?
Meine persönliche Lieblingsfigur trägt eine wirre Haarpracht und einen grauen Strickpulli und ist mit der Formel E=mc² berühmt geworden. Wirklich schade, dass man mit einer Wachsfigur kein Gespräch führen kann! Aber das kommt sicher noch und wird sicher auch keine weiteren 145 Jahre dauern.
Was indes länger dauert als geplant ist unsere Rückfahrt zum Hotel, denn „es befinden sich betriebsfremde Personen im Gleis” unserer S-Bahn, die deshalb im Hauptbahnhof, also genau eine Station vor unserem Ziel, zunächst auf unbestimmte Zeit stehen bleiben muss, dann vollständig geräumt und schließlich ins Depot verbracht wird. Die beiden Passagiere, die in höchster Eile herangesprintet kommen und in Unkenntnis der Durchsage gerade noch den Zug entern, werden sich schön gewundert haben! Wir anderen überlegen uns derweil, wie wir jetzt an unser Ziel kommen könnten. Hinübergehen zum Bus vielleicht? Gerade als wir uns abwenden wollen, scheint das Problem gelöst worden zu sein, so dass der neu einfahrende Zug nun komplikationslos zumindest bis nach Hammerbrook fahren kann.
Das ist nämlich ganz wichtig für uns, schließlich wollen wir nach dem Umkleiden gleich noch einmal weg ins „Schmidts Tivoli“, wie das Kleinkunst-Theater an der Reeperbahn heißt, dessen Standort wir heute nachmittag schon ausgekundschaftet hatten: man will ja nicht versehentlich im falschen Etablissement landen. Gegeben wird das – nicht ganz jugendfreie – Musical „Heiße Ecke”: es geht um ein paar Menschen, denen das Leben so manchen Stein in den Weg geworfen hat oder noch wirft, und die am Ende doch ein jeder sein kleines Glück finden hier im Kiez.