Für uns Kinder, die wir unsere Kalchreuther Heimat gern kreuz und quer per Fahrrad durchstreiften, war die „Ohrwaschl” der verbotenste Ort, den man sich nur vorstellen konnte. Die Tabuzone begann schon am Waldrand, genauer gesagt dort, wo hin und wieder ein amerikanischer Soldat die Schranke über den Waldweg bewachte, der tief hineinführte in das verbotene Gelände des Truppenübungsplatzes. Denn an solchen Tagen wurde weit drinnen im Wald das Schießen geübt. Aber auch in Zeiten, in denen nur Schilder auf das Betretungsverbot hinwiesen, hätten wir uns niemals weiter hinein gewagt als jene paar hundert Meter, die das flaue Gefühl im Magen gerade noch zuließ.
Der Truppenübungsplatz begann eigentlich erst jenseits der Sperrzone. Aber verirrte Projektile fliegen eben manchmal weit, und vor dieser Gefahr hatten nicht nur wir Kinder einen Heidenrespekt: auch von den Erwachsenen trauten sich nur wenige tiefer hinein in den Wald, wo es sommers die besten Schwarzbeeren und im Herbst die meisten Pilze gab. Man stelle sich vor, die Amis hätten plötzlich zu schießen begonnen, wie wäre man dann schnell genug aus der Gefahrenzone gekommen?
Und das kilometerweit im Sperrgebiet liegende Zentrum all jener Gefahr war eben – die Ohrwaschl.
In den 90ern aber brach, wie wir alle wissen, eine neue Zeit an. Die amerikanischen Truppen zogen ab, und der Sebalder Reichswald war kein Sperrgelände mehr. Noch durften wegen der Gefahr herumliegender Munition die Wege nicht verlassen werden, noch fühlte sich alles irgendwie fremd und exotisch an. Einiges kannte man schon, weil man den Wald eben doch hin und wieder schon durchquert hatte oder auf der „Heide” spazieren gegangen war, wenn gerade keine Gefahr drohte. Denn die Amis schossen inzwischen nur noch selten, die Waldwege waren unbewacht, und die Schilder und Schranken setzten allmählich Rost an.
Die Ohrwaschl war einst ein Wirtshaus gewesen, ein Ausflugsziel mitten im tiefsten Reichswald, an der Verbindungsstraße zwischen Neunhof und Dormitz. Dass es in der Zeit der Pferdefuhrwerke völlig normal war hier entlangzufahren, hatten auch die älteren längst vergessen. Und ebenso, dass es auf halber Strecke hier ein Wirtshaus gegeben hatte, mit einem schattigen Biergarten.
Vom Wirtshaus blieb nur der Keller übrig, eine Sandsteinmauer mit einem vergitterten Tor darin. Uralte Eichen säumen an dieser Stelle die Straße, die heute nur noch ein Waldweg ist wie alle anderen. Und auch der einstige Sandsteinbruch läßt sich nur noch erahnen.
Aber noch immer ist ein wenig von der einstigen Faszination des Ortes spürbar.