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Der Zug, den es nur auf dem Papier gab

Pünktlich um 16.59 Uhr fuhr unser TGV im Bahnhof Paris de l’Est ein. Hinter uns lag eine Fahrt mit fast durchgehend Tempo 200. Das schafft der deutsche ICE auch? Richtig, aber auf dem Display des französischen „Train à grande vitesse”, also Hochgeschwindigkeitszug, stand „mph” hinter der 196, also Meilen pro Stunde. Und dann wieder 316 km/h, für die nichtbritischen Reisegäste.

Eigentlich hätten wir ja schon um 14 Uhr in Paris eintreffen sollen, aber um diese Uhrzeit hatten wir gerade einmal Mannheim verlassen, nach einer beispiellosen Odyssee durch verschiedene süddeutsche Hauptbahnhöfe. Dieses Mal war das Chaos jedoch nicht verspäteten oder ausgefallenen Zügen der deutschen Bahn geschuldet, zumindest nicht ursächlich. Nein, unser Zug ab Nürnberg hätte sich definitiv nicht verspäten können: er existierte nämlich erst gar nicht. Außer auf unseren Bahntickets und auf dem guten alten gelben Aushangfahrplan. In der Online-Auskunft und auf dem Abfahrtsmonitor hingegen: Fehlanzeige. Und jetzt? In Stuttgart warteten unsere reservierten Sitzplätze für den ICE nach Paris.

Die freundliche Dame am Informationsschalter schüttelte zunächst einmal den Kopf über die verblüffende Diskrepanz zwischen Ticket und Fahrplan, riet uns dann aber zu einem sofortigen Fahrtantritt über Ingolstadt und Augsburg, denn so könnten wir den Stuttgarter Zug gerade noch erreichen. Sie muss neu in diesem Job sein, sonst wüßte sie, dass bei der Bahn so gut wie nie ein Anschluss klappt. Aber bei Zugbindung an einen Zug, der nur auf dem Papier existiert, weiß man ja nie so recht, wie es bei eigenmächtiger Änderung des Reiseverlaufs um die Fahrgastrechte bestellt wäre, also folgten wir der gegebenen Weisung und bestiegen den ICE in Richtung Ingolstadt, wo 6 Minuten Umsteigezeit vorgesehen waren.

Es kam, wie es kommen mußte: der ICE traf 7 Minuten verspätet in Nürnberg ein. Das sah knapp aus! Der Zugbegleiter versprach zwar, die Kollegen in Ingolstadt zu informieren, dass umsteigewillige Fahrgäste mit kritischem Anschluß im Zug seien, kam aber wenig später mit einem ernüchternden „der Anschlußzug wartet nicht” zurück. Da standen wir nun also auf dem Bahnsteig von Ingolstadt vor dem leeren Gleis, fragten die Bahn-App für die Weiterfahrt nach Stuttgart ab – und erhielten den ICE vorgeschlagen, den wir soeben verlassen hatten. Flugs wieder eingestiegen und die Koffer verstaut, begrüßte uns der Zugbegleiter mit einem trockenen „willkommen zurück” und riet, da der Anschluss nun endgültig verloren war, den weiteren Fahrtverlauf mit den Kollegen vom Reisezentrum in München zu klären, denn für Ziele in Frankreich ist die Sitzplatzbuchung obligatorisch.

Ein Sitzplatz für einen Zug nach Paris, und das heute noch? Der Berater im Münchner Reisezentrum schüttelte mitleidig den Kopf: alle menschenfreundlichen Zeiten seien restlos ausgebucht! Er gab uns aber den Rat mit, bei den Kollegen in Mannheim einfach auf eine Ausnahme zu pochen, schließlich sei es ja nicht unsere Schuld, dass unser Zug … siehe oben.

Im Mannheimer Reisezentrum hatten wir dann ausgiebig Zeit, unsere Situation zu überdenken, denn die Wartezeit auf einen freien Beraterplatz sollte geschätzte 30 Minuten dauern, und auch der Erstvermittlungsschalter war dauerblockiert. Weil der nächste Zug gen Paris aber ohnehin erst in gut eineinhalb Stunden ging, war Panik unangebracht. Und dann gab’s endlich die erlösende Zusage: nehmen Sie bitte den nächsten Zug, ich stemple Ihnen die Freigabe auf Ihre Fahrkarte.

Endlich waren wir nun in den Händen der französischen Staatsbahn, und alles weitere klappte fortan wie am Schnürchen.

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Über den Brenner

Das Wetter ist zu schlecht für Bregenz. Wozu also den langen Umweg nehmen und zwei teure Nächte im Hotel zubringen, wenn die Vorstellung dort wahrscheinlich ohnehin ausfällt?

Die Koffer sind also gepackt, und das Auto steht wieder vor der Tür. Wir verlassen die Stadt und folgen der Etsch, stets das Navi im Auge behaltend, flußaufwärts in Richtung Bozen und Brenner. Doch mit dem raschen Vorankommen ist schon bald Schluß: kurz vor Trient erwartet uns eine Totalsperre. Die Frage, ob wir lieber warten oder die Autobahn verlassen sollten, stellt sich aber nicht, da die Ausfahrt ja ohnehin noch kilometerweit weg ist. Fast eine Stunde später ist es dann so weit: im Wechsel zwischen Stillstand und Schritttempo erreichen wir die Schilderbrücke, auf der steht: Zwangsausleitung wegen Totalsperre.

Nun muss man wissen, dass die italienische Maut stets erst beim Verlassen der Autobahn erhoben wird, abhängig von der gefahrenen Strecke und der Fahrzeuggröße. Und das kann dauern, denn an der normalerweise eher unbedeutenden Ausfahrt stehen sicher nur ein oder zwei Mauthäuschen, die wahrscheinlich allein schon mit den Pannenstreifen-Vordränglern voll ausgelastet sind. Doch dann geschieht im letzten Moment ein Wunder, denn ein Trupp Straßenarbeiter räumt vor unserer Nase die Sperrgitter beiseite, und die Autobahn ist wieder frei.

Von nun an kommen wir flott voran. Natürlich ist auf dem nächsten Rasthof erst einmal Pause angesagt. Worauf muss man an einer Autobahn achten? Auf Kinder, die zwischen ausparkenden Autos Verstecken spielen. Beinahe wäre es eng geworden, denn wer achtet schon darauf, was sich beim Rückwärtsfahren unterhalb der eigenen Seitenfenster abspielt?

Bei Innsbruck nehmen wir die Strecke über den Zirler Berg und Scharnitz, denn erstens gibt es dort kurz vor der deutschen Grenze eine günstige Tankstelle, und zweitens wollen wir noch einen Blick in die „Geh doch zu Momo”-Ausstellung im Museum Werdenfels werfen. Eine Dreiviertelstunde bleibt uns dafür, und das genügt auch, denn sonderlich groß ist die Ausstellung ja nicht.

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Die Kirchen von Verona

Die Altstadt von Verona verfügt über mehrere sehenswerte Kirchen, denen gemeinsam ist, dass man für den Eintritt einen kleinen Obolus zu entrichten hat. Es ist gut angelegtes Geld, allein schon weil es da drinnen angenehm kühl ist. Und es gibt herrlich bemalte Architektur zu sehen. In der Kirche der Heiligen Anastasia zum Beispiel allerlei Rankwerk oder auch das berühmte Fresko mit dem Drachentöter Georg samt Drachen. Am Dom wiederum sind die Funde unterhalb der heutigen Kirche interessant, denn sie stammen vom Vorgängerbau aus dem vierten Jahrhundert. Und an  der dritten Kirche bleiben sogar zwei Dinge in besonderer Erinnerung. Zum einen, dass sie zweiteilig ist, es gibt eine Ober- und eine Unterkirche. Zum anderen, dass ich dort meine Geldbörse liegen lasse, just als ich ein gefundenes Smartphone zur Kasse bringe. Wenig später ruft jemand im Kirchenraum meinen Namen aus. Nanu, wer weiß denn, dass ich hier bin? Eine Reisegruppenteilnehmerin hat mein heiligstes Eigentum gefunden und ihrem Reiseleiter übergeben, der richtig vermutet, ich sei noch in der Nähe. Wie sich der Verlust genau zugetragen hat, läßt sich aber nicht mehr rekonstruieren.

Unser Quartiergeber heißt Francesco und spricht italienisch. Auch wenn er englisch spricht. Aber wir kommen schon mit ihm klar und er mit uns. Das „Ai Leoni” hat sechs Zimmer: zwei liegen auf demselben Flur wie unseres, zwei schließen an die Gemeinschaftsküche an, und eines ist direkt vom Treppenhaus her zugänglich. Vor der Außentür befindet sich eine Bushaltestelle, mit einem beherzten Schritt könnte man quasi vom Haus über den halben Meter Gehweg hinweg direkt in den Bus steigen.

Parkplätze existieren in den engen Straßen der Veroneser Altstadt so gut wie keine. Und wenn doch, sind sie gelb oder blau umrandet, was immer das auch bedeuten mag. Unser Auto steht draußen in einer Seitenstraße vor dem Stadttor „Porta Vescovo”, etwa zwanzig Minuten zu Fuß. Die Koffer hatten wir natürlich vorher der Pension abgeladen. Den Supermarkt „ELs” entdeckten wir erst am Tag der Abreise, denn auf dem Weg dorthin fand sich ein anderer, kleinerer.

Heute steht Nabucco auf dem Programm, ebenfalls von Verdi. Unsere Plätze liegen dieses Mal auf der linken Seite, auf gleicher Höhe wie gestern. Dieses Mal haben wir richtige Sitzkissen dabei. Auf den Beginn der Vorstellung wartend, schauen wir uns um – und blicken in zwei bekannte Gesichter. Wie klein doch die Welt manchmal ist.

Das Bühnenbild besteht aus mehreren rechteckigen Kästen, jeder in der Größe eines Trafohäuschens, und ein paar hellen Steintreppen, die aber sicher nicht aus Stein sind, sonst könnte man sich nicht so leicht herumschieben, wie das nun schon während der Ouvertüre geschieht. Es ist überhaupt eine sehr dynamische Inszenierung, mit aufwändigen Umbauten während der drei jeweils 20 Minuten langen Pausen: mal stehen die Treppen links und rechts, mal zusammen in der Mitte, dann wieder beide rechts, dann … ach, egal. Und auch die Stelen zeigen von Akt zu Akt neue Seiten in neuen Positionen, türmen sich vom zweiten Akt an zum babylonischen Turm auf, der dann im vierten Akt, eine Rauchwolke hinterlassend, mit viel Blitz und Donner zerbirst.

Auch die heutige Oper besticht wieder durch die Vielzahl der Akteure, allein der Chor zählt an die 140 aufwändig kostümierte Mitglieder, die sich über die gesamte Breite der Bühne verteilen und oft auch über die Steintribünen hinter der Bühne, dort wo gestern die Aida-Posaunen standen. Gespannt warten nun alle auf den Gefangenenchor im dritten Akt. Der kommt und wird, ergreifend wie er ist, gleich noch ein zweites Mal gegeben. Übrigens ist auch der Mond wieder pünktlich zur Stelle, dieses Mal aber nicht über der Bühne, da wir ja links von der Hauptachse sitzen.

Wie es sich anfühlt, wenn 20.000 Zuschauer gleichzeitig das „Anfiteatro” verlassen, wollen wir gar nicht erst wissen und flüchten so zeitig wie möglich, hören den tosenden Beifall lieber im Weggehen durch die zu dieser Stunde fast menschenleeren Straßen der Veroneser Altstadt.

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Ein verspielter Garten

Der Giardino Giusti, ganz in der Nähe unseres Quartiers, könnte eine schöne Aussicht über die Stadt bieten, kostet allerdings Eintritt, und das nicht zu knapp. Zudem soll vor drei Jahren ein Orkan die Goethe-Zypresse zerstört haben. Wollen wir ihn trotzdem besichtigen oder lieber der Straße auf den Hügel folgen? Beim Garten sind auch die Innenräume der Villa inkludiert, und das gibt schließlich den Ausschlag: wir investieren 2×11 Euro und stehen in einem Garten, der uns geschlagene drei Stunden lang fesselt.

Geschlagene Stunden darf in diesem Fall wörtlich genommen werden, denn Punkt 12 Uhr geben die Veroneser Kirchenglocken quasi ihr Mittagskonzert. Aus allen Himmelsrichtungen kommen die Stundenschläge, gefolgt vom jeweiligen Geläut. Vor Ehrfurcht halten sogar die ewig zirpenden Zikaden ein paar Minuten lang inne. Nein, sie zirpen natürlich weiter, wir hatten uns einfach nur an die Geräuschkulisse gewöhnt.

Schon Dichterfürst Goethe soll sich hier von den Strapazen seiner Italienreise erholt haben. Bis vor drei Jahren gab es sogar noch die Zypresse, in deren Schatten er vielleicht das eine oder andere seiner Werke erdichtet hat. Doch dann kamen Sturm und Drang auch über den Garten. Ob der Drang Spuren hinterlassen hat, wissen wir nicht, der Sturm jedenfalls entwurzelte die ehrwürdige Goethe-Zypresse und auch noch etliche andere. Inzwischen sind die Lücken aber wieder weitestgehend geschlossen, und nur der eine oder andere Buchsbaum hat noch nicht zu seiner kugeligen Form zurückgefunden.

Zur Linken bewahren die Gärtner ihr Werkzeug auf, hier ist also sozusagen das Rechenzentrum. Vorbei an allerlei Statuen steigt man hinauf zum keinen Pavillon und findet hinter diesem eine versteckte Steintreppe, die hinab zur Grünen Höhle führt, einem blattumrankten Laubengang. Zur anderen Seite hin soll es eine geheime Wendeltreppe geben. Auch sie ist schnell gefunden und gar nicht so geheim, denn ihre vier Fenster, eines pro Stockwerk, liegen direkt in der Sichtachse des Lustwandelwegs. Oben trennt eine Balustrade mit Aussichtsbalkon die obere Wiese vom Steilhang. Von unten sieht man, dass der Balkon ein grimmiges Gesicht macht. Aber warum nur? Rätselt er vielleicht schon seit hundert Jahren über den richtigen Weg durch das Labyrinth? Auch wir finden ihn nicht. Müssen wir aber auch nicht, denn die Mitte besteht einfach nur aus Mitte und sonst nichts. Machen wir es doch lieber den Schildkröten nach und genießen noch ein Weilchen die beiden Springbrunnen.

Zum Garten gehört vorne das herrschaftliche Haus mit seinen herrschaftlichen Möbeln. In einem der Zimmer, dem Pferdezimmer, sind sie durchgängig hufeisenförmig: die Beine des Tisches und der Sessel, ja sogar das Wandregal. Und im Schlafzimmer der Dame befindet sich der Kleiderschrank oberhalb des Himmelbetts, mit einer verborganen Treppe zum Hinaufsteigen. Bemerkenswert sind auch die ausgestellten Fotoalben vom Urlaub in St. Moritz anno 1890.

Auf dem Rückweg noch schnell ein paar Kleinigkeiten einkaufen? Ja, wenn das so einfach wäre! Den Supermarkt aus dem Navi-Stadtplan gibt es nicht mehr, die kleinen Läden in den Straßen führen alles außer Alimentari, und der Veroneser Aldi befindet sich für fußläufige Verhältnisse ziemlich weit weg. Schon recht erschöpft gönnen wir uns eine Mahlzeit in einer kleinen Pizzeria direkt neben dem Anfiteatro, genau dort, wo Teile der diversen Bühnenbilder auf ihren nächsten Einsatz warten. Der haushohe bronzene Kopf gehört wohl zu Tosca, die Theaterloge mit dem roten Samtvorhang wiederum können wir keiner Oper so recht zuordnen.

Der Abend gehört heute der Frau, die ein gewisser Radamès mit den Worten beschreibt: „Celeste Aida, forma divina”. Wir sind nämlich am Hauptziel unserer Reise, in der Arena di Verona, dem römischen Amphitheater, von dem noch so viel Mauerwerk steht, dass darin seit mehr als hundert Jahren Opernfestspiele ausgetragen werden. Und heute abend wird „Aida” von Giuseppe Verdi gegeben – jene Oper für Kairo, die der berühmte Mailänder Komponist anfangs gar nicht schreiben wollte, sich dann aber doch dazu breitschlagen ließ. Anderenfalls stünde heute vielleicht „Aida” von Richard Wagner auf dem Spielplan, und wir säßen auch nicht in Verona, sondern auf dem grünen Festspielhügel.

Für die Rolle der Aida wurde heute keine Geringere verpflichtet als Anna Netrebko. Einige weitere Akteure des heutigen Abends stehen aber, obwohl sie ebenfalls tragende Rollen innehaben, überhaupt nicht auf dem Programm. Die Wolke zum Beispiel, in der sich die Strahlen des Lichtdoms trefen und so den ergreifenden Anschein erwecken, als sende Gott Osiris seine Strahlen vom Himmel herab auf die Opernbühne. Und auch nicht der aufgehende Vollmond, der sich ein wenig später genau über derselben erhebt und im weiteren Verlauf immer höher klettert, als sei er ein Teil der Inszenierung. Für ein einzigartiges Opernerlebnis sorgen zudem die riesige Zahl von Ballett- und Chormitgliedern sowie natürlich die vielen farbigen Laserlichteffekte, die wahrscheinlich in der ganzen Stadt zu sehen sind. Genau wie auch Verdis Musik, die wirklich zu den besten der Operngeschichte gehört, die Straßen ringsum erfüllen und somit auch dort für ein zauberhaftes Ambiente sorgen dürfte.

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Vom Paradies nach Verona

Wir sind in Verona im Ai Leoni eingebucht, die Unterkunft befindet sich in der Via XX Settembri 7, das Navi führte uns hin. Hier soll eine Ferienunterkunft sein? Der einzige positive Hinweis darauf ist, dass es einen Briefkasten und eine Klingel „Ai Leoni” gibt. Nur öffnet da keiner. Das Eingeben des Schlüsselcodes auf dem Ziffernblock neben der Tür könnte helfen. Wenn wir ihn denn hätten. Und nun? Ich könnte meine E-Mail checken, ob etwas vom Vermieter gekommen ist. Wir könnten ihn aber auch anrufen. Flugs hat die Liebste ihn am Telefon, und nachdem geklärt ist, dass sie in meinem Namen anruft, erfahren wir auch die beiden Codes, für außen und oben.

Es ist wie in einem dieser Computerspiele: gehen Sie durch die Tür im ersten Stock links, am Schlüsselbrett hängt Ihr Zimmerschlüssel. Hängt er aber nicht. Dann schauen Sie bitte auf dem Tresen der Rezeption! Nein, auch nicht. Die junge Italienerin, die mit uns hereingekommen war, übernimmt hilfsbereit Gespräch und Schlüsselsuche: im offenen Zimmer 2 war er, auf dem Tischchen.

Vielleicht hätte ich im Lauf des Tages mal mein WhatsApp-Postfach checken sollen, denn da wäre alles drin gestanden. Aber das Smartphone hatte schon seit heute mittag keinen Akku mehr, und als es dann vom Auto wieder Strom bekam, war ich vollauf mit Navigieren beschäftigt.

Schloss Trauttmansdorf heute morgen war ein Traum. Man passiert die Blumenbrücke und findet sich in einem paradiesischen Garten wieder, mit Palmen und Olivenbäumen, mit Seerosenteichen und üppigen Blumenrabatten, mit Weinlauben und einem kleinen Zoo. Und über allem thront das Schlösschen, wo Kaiserin Elisabeth von Österreich viele Monate fern von Wien und vom Kaiser verbrachte.

Ob der Garten damals auch schon so weitläufig war? Eines gab es ganz gewiß noch nicht, nämlich die botanische Unterwelt. In dieser künstlichen Grotte, bewacht von einem dreiköpfigen Höllenhund, kann man Baumwurzeln von unten betrachten und seltsamen Wesen beim Herstellen von Mineralien zusehen. Und auch dem Touriseum, dem Museum über die Geschichte des Tourismus in Südtirol, hätte es damals noch erheblich an Substanz gefehlt. Andererseits ist aber das meiste, das im Museum gezeigt wird, heute ebenfalls schon wieder Vergangenheit.

Nach mehr als vier erlebnisreichen Stunden, die uns auch noch hinauf in die kaiserlichen Räume und abschließend in die Gastronomie führten, treten wir die Weiterreise nach Verona an, begleitet von einem heftigen Wolkenbruch. Alles richtig gemacht heute. Allein das Auto parkt jetzt mehr als einen Kilometer entfernt am Straßenrand, aber das wird sich morgen hoffentlich ändern.

Wie weit es wohl bis zur berühmten Arena di Verona ist? Probieren wir es aus! Wir müssen dazu nur der Via XX Settembri folgen, über die Brücke, dann irgendwo links abbiegen, und schon stehen wir vor dem antiken Bauwerk oder was davon noch übrig ist. Vorher schon haben wir das antike Stadttor gesehen, das unserer Unterkunft als Namenspatron dient. Man hat zwei Meter unter der heutigen Straße die antike römische gefunden und die Stelle offen gehalten, so dass man staunend hinunter blicken kann. Nein, die alten Bauwerke sind nicht eingesunken, das Gelände liegt heute höher. Auch rings um die Arena, die wir morgen besuchen werden.

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Auf Umwegen nach Meran

Endlich sitzen wir auf dem Balkon des Garni Pöhl im Südtiroler Dorf Tirol, gleich oberhalb von Meran, und genießen den Blick in den Talkessel, durch den wir vorhin heraufgekommen sind, denn über Bozen fährt es sich doch deutlich entspannter als über den Jaufenpass oder gar das Timmelsjoch.

Gleich am Montag nach dem ersten bayerischen Ferien-Wochenende zu reisen erfordert Mut, aber was soll man machen, wenn die Vorstellung in der Arena di Verona ausgerechnet in dieser Woche über die (Steintri-)Bühne geht und ebenso die Bregenzer Festspiele. Um die langen Fahrten etwas zu strukturieren, haben wir uns für morgen die Gärten von Schloss Trauttmansdorf vorgenommen sowie das Tourismus-Museum an eben diesem Ort.

Dass wir mit nur kurzen Pause geschlagene achteinhalb Stunden unterwegs waren, verdanken wir den diversen staubedingten Umwegen. Eigentlich ist es ja ganz einfach: wenn das Navi den totalen Stau meldet, fährt man von der Autobahn ab und nimmt die parallel verlaufende Landstraße bis zur ersten Einfahrt hinter dem Stau. Und während man dort so entlang fährt, dreht man denen, die drüben nur im Schritttempo vorankommen, eine lange Nase.

Soweit die Theorie. In der Praxis ist die Ausweichstrecke eine Baustelle, und man muss sich eine neue, leider deutlich längere Umfahrung suchen. Inzwischen hat nun aber der Stau reichlich Gelegenheit, sich bis zur übernächsten Ausfahrt auszudehnen. Halb so schlimm, fahren wir halt auf der Landstraße zu diesem neuen Ziel.

Erneut haben wir jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn auf dem Wegweiser zur Autobahn in Richtung München prangt unübersehbar ein rotes Sperrkreuz. Und die Umleitung führt exakt zu der Anschlussstelle zurück, die wir wegen des Staus eigentlich weiträumig umfahren wollten.

Warum muss aber auch ausgerechnet die Einfahrt in Richtung München gesperrt sein? Wegen Brückenbauarbeiten, heißt es. Und wenn man von der anderen Seite kommt? Wir suchen uns eine Straße, die von Westen an die Auffahrt heranführt, haben aber Pech: kurz vor dem Ziel unterquert die Straße die Autobahn, und wir sind wieder auf der Ostseite. Aber jetzt kommt’s: nicht die Brücke oder die Auffahrt sind gesperrt, sondern nur die Landstraße dorthin. Und wenn man wegen der Sperre statt zur gewünschten zu einer anderen Auffahrt fahren muss, kann man dort auch gleich auf die Autobahn wechseln und muss nicht erst wieder dorthin zurück, wo man das ursprünglich tun wollte. Deshalb das Kreuz. War das jetzt kompliziert? Egal, Hauptsache es geht endlich weiter gen Süden.

Auch den Stau hinein nach München umfahren wir elegant, denn da wollen wir ja gar nicht hin, sondern nur durch und weiter auf die Garmischer Autobahn. Das geht auch über den nördlichen und westlichen Teil des Autobahnrings A99.

Noch ein wenig Baustellenstau auf der Autobahn nach Garmisch, dann rollen wir über Mittenwald und Seefeld in Richtung Innsbruck und daran vorbei. Wider Erwarten zeigt sich der Angstgegner Brennerautobahn heute sehr touristenfreundlich, und wir gelangen ohne weiteren Stau nach Bozen und von dort nach Meran.

Das letzte Stück hinauf nach Dorf Tirol hat es nun aber in sich. Denn die Baustelle ist immer abwechselnd mal in die eine Richtung passierbar, dann in die andere und dann wieder gar nicht, weil der Bagger die ganze Straßenbreite braucht. Für das Navi heißt das: oh, eine Straßensperre, ich muss umplanen. Doch kaum ist man ein Stück weit der neuen Empfehlung gefolgt, ist die Sperre wieder weg, und das Navi plant zurück: bei nächster Gelegenheit bitte wenden. Man kann sich jetzt leicht ausrechnen, was ein paar Minuten später passiert: die Straße ist gesperrt, bitte der Umleitungsempfehlung folgen. Am Ende sind wir oben in Schenna, von wo es nur einen einzigen Weg nach Dorf Tirol gibt: wieder runter nach Meran. Jetzt lassen wir uns aber nicht mehr beirren und reihen uns in den Stau ein. Das dauert zwar, bringt uns aber endlich ans richtige Ziel.

Die Straße hinauf zum Quartier erweist sich als abenteuerlich und schmal, aber irgendwann stehen wir auf dem Parkplatz – und suchen den Eingang. Rechts herum, wie zuletzt in Prag? Leider falsch, neuer Versuch. Links herum? Richtig, da ist er.

Fast überall auf der Welt kann man der Hauptstraße entweder nach links oder nach rechts folgen. Hier im Ort folgt man ihr entweder bergauf oder bergab. Letzteres ist nicht nur bequemer, sondern bringt einen auch ins Ortszentrum mit dem Supermarkt. Dumm ist nur, dass man danach mit dem Einkauf bergauf laufen muss. Umso besser schmeckt dann aber das Südtiroler Bier aus der Dose ohne Pfand.

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Prag–Nürnberg über Schwandorf

Die richtigen Fahrkarten für die richtigen Züge zu finden ist erneut nicht ganz einfach. Wir brauchen einen durchgehenden Zug von Prag über Plzeň nach Schwandorf, dürfen bei der Český dráha aber nur ein Ticket bis Plzeň lösen, da von dort weg dann das Bayer-Böhmen-Ticket gilt. Letzteres wiederum ist in Bayern auf Nahverkehrszüge beschränkt, der Zug von Prag wird also, wenn man wie gewohnt nur den Nahverkehr abfragt, bei der Abfrage nicht mit ausgegeben. Irgendwie klappt es dann aber doch.

Erneut ist das Zeitfenster für das Umsteigen in Schwandorf bemerkenswert klein. Werden wir rechtzeitig dort eintreffen? Leider nein: der bis auf den letzten Platz besetzte tschechische Zug muss auf der eingleisigen Strecke immer wieder auf verspätete Gegenzüge aus Deutschland warten und gerät auf diese Weise immer weiter aus dem Zeitplan, bis es schließlich heißt: Anschlußzüge werden nicht erreicht. Da wir aber ja mit einer halben Stunde Verspätung in Schwandorf eintreffen, ist das Warten auf den nächsten Zug nach Nürnberg gar nicht mehr sooo lang und verschafft uns zudem die Gelegenheit, das Umkoppeln und Verschieben der verschiedenen Zugteile zu beobachten: unsere blauen Wagen der Český dráha waren offenbar nur ein Anhängsel an den Zug nach Plzeň und sind zwischenzeitlich zu einem ebensolchen des deutschen ALEX geworden, der nun seinerseits an den Zug von Hof über Weiden nach Regensburg und München angekoppelt wird. Früher nannte man so etwas Kurswagen.

Trotzt der teils etwas vorsintflutlichen Bedingungen würden wir aber jederzeit wieder mit dem Zug nach Prag reisen statt mit dem Auto. Und uns auch wieder für dasselbe Hotel entscheiden.

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Auf den Spuren von Dvořák und Smetana

Das tschechische Nationalmuseum ist leicht zu finden. Nein, nicht wegen seiner prachtvollen Architektur: vergleichbare Gebäude sind in der Goldenen Stadt alles andere als selten. Ungewöhnlich ist jedoch, dass die zentrale Metrostation nicht wie anderswo der Hauptbahnhof ist, sondern das Museum. Man muss allerdings den richtigen Ausgang finden, sonst findet man sich in der jeweils anderen Metrolinie wieder, denn anscheinend wollen hier alle nur um- und kaum jemand aussteigen.

Dabei hätte man, ließe man das außen wie innen beeindruckende Bauwerk links liegen, wirklich etwas versäumt. Allein schon das marmorne Treppenhaus erinnert eher an einen Palast oder ein Opernhaus als an einen Kunsttempel. Und Kunst wird hier, wenn man von den Marmorbüsten und den Wandgemälden absieht, auch gar nicht gezeigt: in ersten Stockwerk geht es um Erdgeschichte und um die Geschichte der Menschheit, insbesondere des tschechischen Teils davon. Weiter oben heißt es dann noch „Wunder der Evolution”, und es begegnen einem riesige Land- und Meereslebewesen, geordnet nach Kontinenten und Lebensräumen. Heute ist Samstag und viel los im Museum. Da wir uns noch zwei weitere vorgenommen haben, reicht leider die Zeit nicht mehr für den markanten Neubau gegenüber, und so lassen wir die bildende Kunst links liegen und wenden uns erneut der Musik zu.

Gefragt, welcher der berühmtere tschechische Komponist sei, würden wohl die meisten auf Smetana tippen, den Schöpfer der bekannten „Moldau”. Spielte man ihnen aber die Humoreske von Dvořák vor oder dessen Symphonie „Aus der neuen Welt”, würden sie allesamt sofort umschwenken. Hier einseitig Partei zu ergreifen liegt uns fern, deshalb besuchen wir beide Museen und beginnen mit Dvořák.

Das Museum ist in einem Lustschlößchen in der Nähe der Metrostation Pavlova untergebracht. Anders als bei uns haben die Stationen jeweils nur eine einzige Rolltreppe nach oben, man muss sich also nicht entscheiden, in welche Richtung man den Bahnsteig verläßt. Hin und wieder gibt es aber an dessen anderem Ende einen Aufzug, und den nehmen wir. Ein zweiter bringt uns endgültig hinauf zur Straße, die wir queren müssen und ebenso eine weitere. Ohne Fußgängerüberweg weit und breit. Zum Glück ist es eine Einbahnstraße, wenn auch eine vierspurige. Warum nur hat man für das Museum einen so abgelegenen Ort gewählt?

Das kleine Schlößchen ist von einem Park mit allerlei Figurengruppen umgeben und der Park wiederum von allerlei Hochhäusern: man fühlt sich eher wie auf dem Hinterhof eines Steinmetzbetriebes. Das freistehende rot-gelbe Schlößchen selbst ist aber eine durchaus attraktive Erscheinung. Ob Dvořák es je in seinem Leben betreten hat, wissen wir nicht: gewohnt hat er jedenfalls woanders.

Im Erdgeschoß steht unter anderem auch das Möbelstück, das auf dem rückwärtigen Gemälde zu sehen ist und die alt gewordene Frau des Komponisten zeigt, lange Jahre nach dessen Tod. Es dürfte also aus der Prager Wohnung der beiden stammen, ebenso wie der Bechstein-Flügel im Nebenraum – dort, wo auch seine Taschenuhr ausgestellt ist. Der große, mit herrlichen Wand- und Deckenfresken ausgemalte Raum im Obergeschoß ist bestuhlt, und ein weißer Flügel deutet darauf hin, dass hier Konzerte stattfinden. Auf dem Monitor zur Linken läuft eine Dokumentation über Dvořáks Leben und Karriere. Um sie in voller Länge zu sehen, muss man eine Stunde Zeit mitbringen und tschechisch oder englisch verstehen. Der kleine Nebenraum, den es auch hier oben gibt, listet abschließend noch die Lebensdaten auf und thematisiert Tod und Begräbnis.

Gibt es einen einfacheren Weg zurück zur Metrostation? Ohne viel Zickzack? Ja, und zwar an jenen Zugang, wo die Rolltreppen sind. Da sich inzwischen der kleine Hunger zu Wort meldet, nehmen wir einen Umweg über den Hauptbahnhof. Inzwischen kennen wir uns im Prager Nahverkehr so gut aus, dass wir den Weg dorthin und dann zum Smetana-Museum auch ohne die manchmal etwas verwirrenden Auskünfte der App finden, schließlich fuhren wir ja gestern schon mit der 16 zum Nationaltheater. Bis vor das Smetana-Museum bringt uns die Straßenbahn zwar nicht, das wäre die Linie gewesen, die vor der Brücke rechts abbiegt, aber das kurze Stück an der Moldau entlang ist angenehm zu laufen, und schon stehen wir vor dem Wegweiser, der nach links auf eine Uferterrasse weist. Hier muss es sein! Der hintere Teil der Terrasse ist bestuhlt und gehört zu einer Kneipe. Müssen wir hier durch? Es sieht eher nach Sackgasse aus. Oder durch das Lokal zur anderen Gebäudeseite? Nein, auch nicht. Fragen hilft aber und ergibt: die Sackgasse wäre richtig gewesen, die unscheinbare kleine Glastür hinten, gleich neben dem letzten Tisch, ist das Museum. Oben, im ersten Stock.

Zwischen dem zuletzt besuchten Museum und diesem hier liegen, was die Ausgestaltung betrifft, Welten. Auch hier gibt es einen Flügel, eine Büste, ein gemaltes Porträt und einige persönliche Gegenstände wie etwa die Brille des Komponisten, aber eben auch ausgiebige und mit Bildern aufgelockerte Dokumentationen an den Wänden. Und es gibt Notenpulte, auf denen jeweils ein Werk aufliegt. Die Aufsicht führende Dame zeigt uns, wie es funktioniert: man richtet den Zauberstab, den sie uns überreicht, auf den Empfänger unten am Pult, und schon springt (nach einigen Versuchen) die raumfüllende Wiedergabe des Werkes an. Wir hören die Moldau, mit Blick auf die Moldau.

Im Museum war wenig Publikumsverkehr. Wieder draußen auf der Straße, ändert sich das. Denn wir befinden uns genau im touristischen Brennpunkt zwischen Karlsbrücke und Rathausplatz.

Für den Abend haben wir wieder Opernkarten, dieses Mal für das andere große Opernhaus. Gegeben wird, welch glückliche Fügung, die bekannteste der Dvořák-Opern, nämlich „Rusalka”. Die Geschichte um die Wassernixe und ihre leidvollen Erfahrungen mit der Menschenwelt ist klassisch inszeniert, mit prächtigen Bühnenbildern, die sich mit dem ebenfalls prächtigen neobarocken Erscheinungsbild der Staatsoper zu einem Gesamtkunstwerk vereinen, wie es wohl auf der ganzen Welt kein zweites gibt. Wir teilen unsere zu beiden Seiten hin geschlossene Loge zunächst mit zwei jungen Tschechinnen, deren Interesse an der Aufführung allerdings nicht sehr ausgeprägt ist, und die nach der ersten Pause auch wieder verschwunden sind.

Bemerkenswert an diesem Opernbesuch war übrigens auch, wie wir zu unserer Loge geleitet wurden. Normalerweise zeigt man ja seine Karte und wird dann zur richtigen Seite und auf die richtige Treppe verwiesen. In unserem Fall in den zweiten Rang rechts, Loge 13. Die Dame oben meinte dann aber, wir seien hier falsch und müßten wieder eine Etage nach unten. Gesagt, getan. Unten wurde uns die Loge aufgeschlossen, und wir hatten bereits Platz genommen, als eine weitere Besucherin mit ebenfalls Platznummer 1 hereinkam. Erneutes Vorzeigen der Karten, erneutes Verweisen auf den Rang und die Loge eine Etage weiter oben, dann stimmte endlich alles.

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Unterwegs in Prag

Die tschechische Hauptstadt verfügt über einen vorbildlichen öffentlichen Nahverkehr. Es gibt drei Metrolinien, die grüne Linie A, die gelbe Linie B und die rote Linie C. Ich hätte die Farben ja anders gewählt, apfelgrün, blutorangenrot und citronengelb, aber wahrscheinlich kennen die Tschechen eine andere Eselsbrücke oder wissen es einfach auswendig. Das müssen sie nämlich sowieso, weil auch die Zugänge in der jeweiligen Farbe gekennzeichnet sind: wer in die grüne Linie A will, muss auf ein grünes M achten, ein gelbes M oder ein rotes M stehen für den Zugang zur Linie B oder C.

Und dann gibt es da noch die Straßenbahnen. Man muss nicht die endlos langen und zugigen Rolltreppen hinab und am Ziel wieder hinauf, sie fahren in angenehm kurzen Abständen, und es gibt sie in den verschiedensten Bauarten, von modern bis historisch. So eine rote Tramvaj macht sich gut zwischen den malerischen alten Häusern, deshalb steigen wir auf dem Weg zum Musikmuseum eine Station zu früh aus und gehen das letzte Stück zu Fuß. Nein, das war natürlich keine Absicht, der Standort war vielmehr falsch in der Karte markiert, aber im Nachhinein war es eine gute Entscheidung, vor allem wenn das Museum erst eine Viertelstunde später öffnet.

Das tschechische Museum für Musik ist in einer ehemaligen Kirche untergebracht und der Hauptraum für Konzerte bestuhlt, man sieht aber auf den Emporen ausser zwei Kirchweihorgeln keine weiteren Instrumente. Diese befinden sich allesamt in der ersten Etage hinter geschlossenen Türen, und das ist auch gut so, denn an der einen oder anderen Stelle ist tonerzeugendes Anfassen erwünscht. Natürlich nicht bei den historischen Tasten-, Streich-, Zupf- und Blasinstrumenten, aber man darf sich an einem echten Theremin versuchen, einem Orgelmodell ein paar Töne entlocken und ein wenig an einer irischen Harfe zupfen. Es gibt ein Mozartklavier, das aber eigentlich ein Cembalo ist, und eines für Vierteltöne. Man wüßte ja zu gerne, wie so ein Instrument gespielt wird, aber es gibt leider nur Hörbeispiele und keine Videos.

Unten im Erdgeschoss ist in einem Nebenraum noch eine Sonderausstellung aufgebaut. Interessant? Wir werfen einen kurzen Blick hinein und werden, obwohl bereits wieder zum Gehen gewandt, von einer Aufsichtskraft zum Vorzeigen der Eintrittskarten genötigt. Ratsch, sind sie auch schon eingerissen. Es waren aber die falschen, nämlich fürs Nationalmuseum, die nun ebenfalls entwertet sind, obwohl wir dort noch gar nicht waren. Die Kassenkraft meint aber, das sei kein Problem, denn für deren Scanner sei der aufgedruckte Code maßgeblich.

Unser nächster Weg führt uns mit der Straßenbahn 22 hinauf zum Hradschin. Vorbei an der Wachablösungs-Zeremonie und über den ersten Innenhof gelangen wir zum Veitsdom, für die man aber Eintrittskarten braucht. Diese gelten für den gesamten Burgbereich und kosten, wenn man noch keine 65 ist, pro Person 250 Kronen. Für uns jeweils nur die Hälfte. Die Kirche verfügt über schöne gotische Glasfenster und ein mit Silber reich verziertes Heiligengrab. Man könnte auch den südlichen Turm besteigen, aber das verkneifen wir uns und queren stattdessen den zweiten Innenhof sowie einen großen Saal, gelangen schließlich zur älteren und kleineren zweiten Kirche mit ein paar schönen Fresken im Chorraum. Auch diese hinter uns lassend erreichen wir das Goldene Gäßchen mit seinen geradezu winzigen Häusern, in denen kleine Läden allerlei Geschmeide feilbieten. Einige sind aber auch historisch eingerichtet, und man kann einen Blick hinein werfen. Sogar ein winziges Kino gibt es, mit vielleicht 12 Sitzplätzen und vielen alten Filmrollen.

Ein enger Durchgang führt von hier nun hinab zu einer Terrasse mit herrlichem Blick über die Stadt und die Moldau, ein ebenso enger zweiter wieder hinauf in die Burg, wo uns als letzte Attraktion das Palais Lobkowitz erwartet. Das herrschaftliche Wohnhaus birgt einen Raum mit Vogelbildern, einen mit Hundebildern, einen mit Schönheiten weiblichen Geschlechts und am Ende einen Musiksaal, der im Augenblick aber unzugänglich ist, weil darin deutlich hörbar ein Konzert stattfindet. Aha, deshalb war also die Tür vom Treppenhaus her verschlossen und mit einer Kordel verhängt gewesen.

Menschen über 65 dürfen die ohnehin preiswerten öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos nutzen. Aber gilt das auch für Touristen aus anderen Ländern? Nun, ich zeige meinen Perso, und der Kontrolleur ist zufrieden.

Für den Abend steht unser erster Opernbesuch auf dem Programm: das Nationaltheater gibt heute Eugen Onegin. Wir haben sehr gute Plätze im zweiten Rang in der ersten Reihe Mitte und genießen das wunderschöne Haus und das ebenso wunderschöne Bühnenbild, wo adrett anzuschauende Mädchen in pastellfarbenen Kleidern zur Ouvertüre tanzen. Die Musik von Tschaikovski ist dafür ja auch ganz besonders gut geeignet. Dem ersten Tanz folgt sogleich ein zweiter, ohne dass einer der Darsteller die Singstimme erhebt. Wir haben doch nicht etwa…? Doch, wir haben aus Versehen statt einer Oper eine Ballett-Aufführung gebucht. Sie heißt auch nicht Eugen Onegin, sondern nur Onegin, also ohne Eugen und eben auch ohne Gesang, was dem Genuss aber keinen Abbruch tut, im Gegenteil. Die Choreografie ist von John Cranko und ebenso das Bühnenbild, die Musik diversen Werken des Komponisten entnommen, darunter auch einige orchestrierte Klavierstücke, aber nicht eine einzige Zeile entstammt der (fast) gleichnamigen Oper.

Wie auch schon heute morgen bei der Straßenbahn muss ein Irrtum nicht zwingend ein Nachteil sein, oft ist es auch genau anders herum: wir erlebten einen großartigen Abend, der uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Und die Darsteller erhielten viel Applaus.

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Nach Karlstejn und Vyšehrad

Der Frühstücksraum des Hotels dürfte gerne etwas größer sein, man tritt einander ständig auf die Füße, das Frühstück selbst ist jedoch reichhaltig und schmackhaft. Frisch gestärkt treten wir den Weg nach Karlstejn an. So heißt die Burg vor den Toren Prags, die heute Weltkulturerbe ist, und die wir auf eigene Faust erkunden wollen. Ein paar Zugverbindungen haben wir bereits herausgesucht, und da es sich um ein Flexticket handelt, müssen wir auch nicht zu einer bestimmten Uhrzeit am Bahnhof sein – man kann die Wegzeit vom Hotel dorthin ja auch nicht so genau einschätzen. Zudem wissen wir auch noch gar nicht, von welchem Gleis der Zug abfährt, denn das steht weder im Fahrplan noch auf dem Ticket. Aha, deswegen stehen hier immer so viele Leute vor der großen Anzeigetafel in der Bahnhofshalle. Unser Zug fährt in genau drei Minuten vom Gleis 1a. Aber wo ist das? Wir hasten zur Unterführung und, dem Wegweiser nach 1a folgend, die erste Treppe hinauf. Dort gibt es aber nur ein Gleis 1 mit einem Zug voller gähnender Leere. Kann das unser Zug sein? Wir steigen ein, treffen eine Zugbegleiterin und erfahren von ihr, dass der Zug nach Karlstejn soeben von 1a, also ganz weit hinten außerhalb des Bahnhofsgebäudes, abgefahren ist. Pech gehabt! Jetzt heißt es eine knappe Stunde warten, und wir setzen uns gemütlich auf eine Bank am Gleis 1a, wo wir hin und wieder einen Blick auf die jetzt leere Bahnsteigtafel werfen. Dass sie leer bleibt, irritiert uns. Vielleicht fährt unser Zug ja doch von einem anderen Gleis? So ist es, die Abfahrtsgleise werden hier nämlich flexibel gehandhabt.

Die berühmte Burg befindet sich auf einem Bergsporn außerhalb des gleichnamigen Ortes. Und auch der Bahnhof liegt außerhalb, allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Wir müssen ein Stück an den Schienen entlang, dann auf einer Autobrücke über den Fluss, von dort durch den stark touristisch geprägten Ort und am Ende noch einen steilen Fussweg hinauf. Für die große Führung durch alle erschlossenen Räume braucht es eine Vorausbuchung, und wir hatten mit einer Dame, die immer nur einmal pro Tag antwortet, vorab eine lange Korrespondenz geführt, an deren Ende es dann doch nicht nur einen, sondern zwei freie Plätze gab. Auf meine Zusage hin erhielt ich aber keine Antwort mehr, und prompt stehen wir auch nicht auf der Buchungsliste. Zum Glück ist aber noch eine Platz frei, und da ich die bewußte Korrespondenz ausgedruckt vorlegen kann, gesteht man uns auch noch den zweiten zu.

Die leider englischsprachige Führung, eine deutsche wäre uns lieber gewesen, ist ausführlich und gut verständlich, zumal der Führer sorgfältig darauf achtet, dass alle 17 Personen im Raum sind, ehe er zu seiner Erklärung ansetzt. Wir stehen in einer Kapelle, die im Laufe ihrer Geschichte zahlreiche Umbauten erfahren hat, unter anderem war eine Wand entfernt worden und die Fresken der übrigen drei übermalt. Das alles hat man wieder rückgängig gemacht, so dass die originalen Fresken heute wieder sichtbar sind und das angeblich doch so finstere Mittelalter in überraschender Buntheit zeigen.

Der Burgturm ist vom Hauptgebäude aus nur über eine gedeckte hölzerne Brücke erreichbar. Im Inneren liegen, wie sollte es bei einem Turm auch anders sein, mehrere Räume übereinander, von denen wir nun den untersten betreten. Drinnen ist es aufgrund der bis zu sieben Meter dicken Mauern auffällig kalt, der Führer nennt den Raum den „Kühlschrank der Burg”. In der Ecke liegt ein großer Haufen steinerner Kugeln, die großen waren wohl für Katapulte und die kleineren für Kanonen gedacht. Über ein Treppenhaus mit einigermaßen gut erhaltenen Fresken geht es nun Etage für Etage hinauf, bis wir ganz oben quasi den Himmel betreten. Und weil der Raum unter dem Dach von so überwältigendem Zauber ist, hatte der Führer uns vorab gebeten, zunächst ein paar Minuten Minuten Stillschweigen zu bewahren: über die Kapelle spannt sich eine vollständig vergoldeten Decke, bestehend aus hunderten kleiner Halbschalen, dazwischen eine Sonne und ein silbriger Mond. Die Wände des Raumes sind lückenlos mit Heiligenporträts bedeckt. Hier oben wurden dereinst die Reichsinsignien aufbewahrt. Das Holzgitter zum Altarraum soll ebenfalls vergoldet gewesen sein, heute ist aber erstens nichts mehr übrig, was unbeobachtet abgekratzt werden könnte, und es gibt zweitens eine dezent versteckte Videoüberwachung, was dem Zauber aber keinen Abbruch tut.

Wieder unten angekommen, genießen wir bei einem frisch gezapften Pilsner Urquell noch ein wenig die Aussicht und treten dann die Rückfahrt an, um uns im Hauptbahnhof bei einem Vietnamesen zu stärken und daran anschließend noch einen weiteren, diesmal bedeutend kürzeren Ausflug zu gönnen: wir wollen den Friedhof von Vyšehrad besuchen, wo die Komponisten Smetana und Dvořák ihre letzte Ruhestätte haben.

Von der Metrostation „Vyšehrad” an der roten Linie hinüber zur markanten doppeltürmigen Kirche ist es ein Fußweg von einer guten Viertelstunde, in dessen Verlauf man allerlei Befestigungsanlagen passiert, aber auch parkähnliches Grün und einige Häuser. Als wir den Eingang des Friedhofs erreichen, verbleibt uns bis zur Schließung gerade einmal eine Viertelstunde: wie sollen wir ohne irgendeinen Lageplan die Gräber der prominenten Komponisten finden? Gleich ein paar Schritte zur Rechten sind in einen Grabstein vergoldete Notenzeilen eingraviert sowie eine Unterschrift. Moment mal, heißt das nicht Smetana? So ist es, und etwas seitlich versteckt finden wir auch die Namen seiner wichtigsten Kompositionen. Um nun auch das Dvořák-Grab zu finden, frage ich andere Besucher. Der erste weiß es auch nicht, sehr wohl aber der zweite. Nachdem wir auch dieses Grab und die leider vertrockneten Blumen darauf gesehen haben, wird es höchste Zeit, das Smetana-Grab ein zweites Mal passierend wieder zum Ausgang zu gehen, um nicht hier eingeschlossen zu werden. Da hören wir auch schon die Kette rasseln, mit der die Aufseherin soeben das Tor verschlossen hat. Und jetzt? Sie verweist uns auf den Haupteingang, und während wir ihr eilig folgen, läuten nun auch die Kirchenglocken von sv. Petra a Pavla mit einer angenehmen Melodie die abendliche Friedhofsruhe ein. Hier draußen finden wir, während das Haupttor hinter uns verschlossen wird, nun auch den Belegungsplan des Friedhofs. Die meisten Prominenten sind uns aber natürlich vollkommen unbekannt.

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