Der oder die Weiße Sumpfwurz ist als heimische Orchideen nicht ganz so spektakulär wie der Frauenschuh, aber dennoch hübsch anzusehen und vor allem auch genauso selten wie dieser. Im Nürnberger Land soll es einen Standort geben, den mein Papa vor vielen Jahren schon einmal zusammen mit einem anderen Naturfreund besucht hat. Das war zwischen G-Berg und E-Tal. Oder doch zwischen G-Dorf und E-Berg? Wenn doch nur die Namen nicht so ähnlich wären, gerade recht, um sie zu verwechseln.
Wohin müssen wir abbiegen? Papa meint, eher rechts, das Navi hält links für die bessere Wahl. Also erst einmal links, wo wir schon bald die Verbindungsstraße von G-Berg nach E-Tal erreichen. Nein, hier kann es nicht gewesen sein, wir befinden uns nördlich eines Höhenzuges, und der Orchideenstandort war südlich. Wir müssen also, der schönen Landschaft zum Trotz, wenden und zurückfahren.
Wenige Minuten später parken wir neben der Ortsverbindung von G-Dorf nach E-Berg. War es hier? Papa läßt den Blick schweifen: nein, hier war es auch nicht. Und auch der Ort, der nun vor uns liegt, habe ganz anders ausgesehen. Vielleicht müssen wir aber ja zum jenseitigen Ortsausgang? Wir fahren durch das Dorf und einen steilen Berg hinauf. Nein, hier war es auch nicht. Aber vielleicht könnten wir den Orchideenfreund kurz anrufen?
Ja, wenn das so einfach wäre! Papa hat die Telefonnummer nicht parat, aber es gibt ja das Internet, und so bemühe ich die mobile Suche. Die aber braucht ein Netz. Und ein Netz gibt es hier oben nicht. Sehr wohl aber im nächsten Ort, auf der anderen Seite des Berges. Von hier weg wären wir genauso schnell in E-Tal wie in E-Berg, aber fragen wir doch erst einmal jemanden, der es weiß.
„Nein, Ihr müßt zurück auf die Straße von E-Berg nach G-Dorf”, weist uns der Freund telefonisch ein. „Und dann 200 Meter vom Ortsausgang rechts den Feldweg hinauf. Der ist leicht zu finden, weil es der einzige ist.”
Wir finden den Feldweg, stellen das Auto ab und folgen der offenbar selten befahrenen Wegspur an einem alten Jägersitz vorbei und bis zum Waldrand, wo dichtes Brennessel-Gestrüpp den weiteren Weg versperrt. Nein, hier war es nicht, meint Papa. Gibt es vielleicht doch noch einen zweiten Feldweg?
Direkt am Ortsrand bestellt eine Frau mittleren Alters ihren Garten. Ob sie wüßte, ob hier noch ein anderer ein Weg zum Waldrand hinaufführt? Mir ist nämlich der Gedanke gekommen, dass diese Häuserzeile damals noch gar nicht gebaut war. „Wie lange steht Ihr Haus denn schon?”, will ich wissen. Sie runzelt ein wenig die Stirn über die seltsame Frage, antwortet aber brav: „6 Jahre”. Aha, dann könnte der beschriebene Ortsrand vielleicht gar nicht mehr derselbe sein? Und der Feldweg von damals inzwischen eine Straße für die Neubausiedler weiter oben?
Wir laufen an den Gartenzäunen entlang ein Stück weit hinauf in der Hoffnung, weglos an den Standort zu gelangen. Zwar erweist sich die Aussicht von da oben als beeindruckend, vor allem wegen der vom M-Berg her aufziehenden Quellwolken, die sich schon bedrohlich vor die Sonne schieben. Aber: hier war es auch nicht.
Kurzerhand denken wir uns die Neubauten weg und erproben noch einen weiteren Feldweg. Doch auch dieser Versuch erweist sich als nicht zielführend. Geneigt, unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren, erblicken wir mitten im ansonsten recht ausgestorben wirkenden Ort eine Frau, die wir fragen könnten. Die meisten Leute wissen aber gar nichts von den botanischen Raritäten in der Umgebung, wage ich einzuwenden. Egal, wir versuchen es.
Die Befragte kennt zwar weder die Pflanze noch den Standort, aber „als wir unsere Felder noch hatten, kamen hin und wieder Männer vorbei, die nach irgendwelchen Orchideen gesucht haben.” Wo denn das war? „Gleich am Ortsausgang, rechts den Feldweg hinauf, dann durch das kleine Wäldchen und weiter über den Wall.” Aber da waren wir schon?! „Sie müssen den linken Weg nehmen, nicht den rechten!”
Wir versuchen es, folgen wieder dem bereits bekannten Feldweg, halten uns dann aber vor dem Waldrand links, durchqueren ein Auwäldchen, überklettern einen kleinen Wall und gelangen schließlich an eine ungemähte Wiese, aus der ein paar rote Händelwurzblüten grüßen. Das ist zwar auch eine heimische Orchidee, aber nicht die gesuchte.
Erst beim Näherkommen sehe ich, dass der Händelwurz nicht die einzige Orchidee in dieser versteckt gelegenen Wiese ist: die Sumpfwurzblüten sind nur auf die Entfernung gesehen weniger auffällig. Ihre geringe Fernwirkung machen sie aber durch ihre ausgesprochen aparten Blütenstände bei weitem wieder wett. Endlich!
Als wir uns sattgesehen haben, schauen wir uns die Umgebung noch einmal genauer an, und Papa stellt fest: nein, hier war es auch nicht: offenbar haben wir einen ganz anderen Standort gefunden.
Bevor wir nach Hause fahren, wollen wir uns noch bei der Tippgeberin bedanken und klingeln an ihrer Haustür. Nichts rührt sich, sie wird wohl nicht mehr zuhause sein. Wir bitten die Nachbarin, ihr Grüße zu bestellen. „Vielleicht ist sie aber auch nur im Garten, gehen Sie doch mal ums Haus!” Gesagt, getan. Plötzlich steht ein Mann in der Haustür und fragt mürrisch, was wir denn auf seinem Grundstück zu suchen hätten. Ihre Frau, antworte ich, und der Mürrische verschwindet, ein paar unverständlichen Laute von sich gebend, wieder im Haus. Wieder passiert eine ganze Weile nichts, wieder bestellen wir der Nachbarin Grüße, besteigen unser Auto, fahren los. Gerade noch rechtzeitig bemerke ich, dass nun die richtige Person in der Haustür steht, so dass wir unsere Dankesworte doch noch persönlich an sie richten können.