Vincent van Gogh und andere

Ein Expressionist war Vincent van Gogh nicht. Eher schon ein Exzentriker. Auf jeden Fall aber war er der Protagonist eines neuen Malstils, auf den sich die späteren Expressionisten beriefen. Und deshalb paßt ein Besuch der Multimediashow „van Gogh alive” in der Münchner Utopia sehr gut an den Anfang einer Reise, die an die Schauplätze des Expressionismus im „Blauen Land” zwischen Staffelsee und Kochelsee führen soll und führen wird.

Das Utopia liegt etwa zwischen Amtsgericht, Gewerbeaufsichtsamt und Barbarakirche. Vom Hauptbahnhof kommend, fährt man mit der Tram 20 oder 21 zur Lothstraße und geht dann noch etwa 700 Meter zu Fuß – zuerst um den markanten Ziegelbau der Fakultät für Design herum und dann die Heßstraße ein Stück weit stadtauswärts, um nach einigen hundert Metern schließlich nach rechts einzubiegen. Der Eingang befindet sich an der Ostseite des Saalbaus. Alternativ kann man auch erst noch ein Stück weit der Dachauer Straße folgen und dann in die Freddie-Mercury-Straße einbiegen, aber dann stolpert man etwas mühselig über die Gleise und Weichen des ehemaligen Straßenbahndepots.

Seine Tickets hat man sich natürlich vorab gesichert, und so steht man im Foyer zunächst einigen Zitaten van Goghs gegenüber: „Ich weiß nichts mit Sicherheit, aber die Sterne zu sehen läßt mich träumen” oder „Um gute Arbeit zu leisten, muss man gut essen, gut untergebracht sein, von Zeit zu Zeit eine Affäre haben, eine Pfeife rauchen und seinen Kaffee in Ruhe trinken können.” Das Zimmer, das er in Arles bewohnte, ist in Originalgröße inszeniert. Und wer sich die Zeit nehmen will, findet an einem Dutzend Wandtafeln seine wichtigsten Werke beschrieben. Werke, die allesamt in der „lebendigen Symphonie aus Licht, kräftigen Farben und Klang” zum Einsatz kommen, wie der Produzent Grande Experiences seine Multimediashow ankündigt.

Und er hat nicht zu viel versprochen: der Raum ist erfüllt mit Projektionen, die von über 30 Beamern auf ebenso viele raumhohe Leinwände geworfen werden, begleitet von geschickt ausgesuchter Musik aus dem klassischen Genre, die Bildwechsel präzise auf den Punkt gesetzt, die Motive in immer neuen Ausschnitten farblich passend kombiniert und so eine Stimmung erzeugend, als befände man sich mitten im Bild, als rieselten im leichten Abendwind die Blütenblätter aus dem blühenden Mandelbaum von Saint-Remy – jenem Baum, den van Gogh zur Feier des Tages malte, an dem er die Nachricht von der Geburt seines Neffen erhielt. Oder rieseln sie etwa wirklich? Und bewegt sich nicht auch das Wasser der Rhône,in der sich der Nachthimmel spiegelt? Ja, das eine oder andere Bild ist tatsächlich animiert, ganz dezent und unaufdringlich zwar, aber eben so, wie man es auch selbst empfunden hätte, wäre man zusammen mit dem Maler vor Ort gewesen. In der Ferne fährt ein Eisenbahnzug vorüber, verschwindet hinter Bäumen, so dass man nur noch die Rauchfahne der Lokomotive sieht, kommt wieder zum Vorschein. Gemächlich, kaum wahrnehmbar, drehen sich auch die Flügel der Windmühle. Da, ein Schuß! Verschreckt fliegen aus einem Kornfeld schwarze Krähen auf.

Nach etwa einer Stunde ist man durch, aber wer will schon gehen, wenn er oder sie auch einfach einen anderen Standort wählen oder vom Stuhl auf ein Sitzkissen wechseln kann, um alles aus der seitlichen oder rückwärtigen Perspektive noch einmal neu zu erleben? Noch einmal die Schwertlilien sehen, die Sterne, die Sonnenblumen oder das berühmte Selbstbildnis mit bandagiertem Ohr?

Vincent van Gogh, der zu Lebzeiten nur wenige seiner Bilder verkaufen konnte, starb 1890 im Alter von nur 37 Jahren an einem Pistolenschuß, den er sich selbst zugefügt hatte.

Nun wird es aber Zeit, sich mit der Reisegruppe zu treffen, die uns zu den Expressionisten und ihren Malorten bringen wird. Erste Station der fünftägigen Rundreise ist das Lenbachhaus in München, genauer gesagt die „Städtische Galerie im Lenbachhaus” mit ihren Dauer- und Sonderausstellungen.

Gabriele Münter
Kandinsky beim Landschaftsmalen
1903, Öl auf Leinwandkarton

Man kann eigentlich kaum unterscheiden, ob man sich in einer dauerhaften oder in einer temporären Ausstellung befindet, so fließend sind hier die Übergänge. Es geht um das Malen unter freiem Himmel, um die Malerin Gabriele Münter und um die Künstlervereinigung des Blauen Reiter, der hier unter dem Titel „Gruppendynamik” eine ganze Etage gewidmet ist. Geführt wird in drei Gruppen, da in Coronazeiten nur eine Gruppenstärke von 10 Personen erlaubt ist.

Ohr und Hals haben hier wieder so einiges auszuhalten: um die Ohrmuschel schlingen sich Brillenbügel, Coronamaske und der Bügel des Ohrstöpsels, der dann quer über die Brust mit dem Empfänger verdrahtet ist, dessen Trageschlaufe wiederum den Hals verziert. Setzt man eines der Teile ab, gehorchen die anderen dem Herdentrieb, und man ist erst einmal ein Weilchen mit Entwirren beschäftigt.

Der „Blaue Reiter” war ein Almanach, in welchem moderne Malerei, Volkskunst und Kunst aus der ganzen Welt gleichberechtigt nebeneinander stehen und in dessen Textbeiträgen die Ziele einer neuen Kunst beschrieben werden sollten. In ihrem damals unveröffentlichten Vorwort beschrieben Kandinsky und Marc ein Verständnis von Kunst, das wegweisend sein sollte.

Von anderen Bewegungen des Expressionismus unterschied sich der Blaue Reiter durch seinen spirituellen Ansatz und die Eröffnung neuer formaler Möglichkeiten, die in die Abstraktion führen konnten. Die Texte von Franz Marc und Wassily Kandinsky zeugen von einem erstaunlichen Sendungsbewusstsein.

Für das Titelbild schuf Kandinsky mehrere Entwürfe. Die endgültige Fassung zeigt die Figur des Heiligen Georg, des christlichen Drachentäters, er symbolisiert den Sieg des Geistigen über das Materielle.

Geburtsort der Idee soll der Pavillion im Garten des Hauses von Gabriele Münter gewesen sein: unser nächstes Ziel.

Category: Allgemein, Murnau 2021
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