Das Experiment

Wir wagen ein Experiment: kann man von Nürnberg mit Nahverkehrszügen nach Berlin reisen? Der DB-Navigator schlägt eine Haus-zu-Haus-Verbindung mit siebenmaligem Umsteigen vor: den Bus und die U-Bahn zum Hauptbahnhof nehmen, von dort über Hof, Chemnitz und Elsterwerda nach Berlin Südkreuz fahren und dann abschließendnoch per S-Bahn und U-Bahn zu unserem Hotel, dem „Motel Blue”. Doch sind die vom DB-Navigator kalkulierten Umsteigezeiten knapp bemessen und betragen in Hof und in Chemnitz jeweils nur wenige Minuten.

Bei Zwickau passiert es dann, wir müssen auf die Einfahrt in den Bahnhof warten, was uns 6 Minuten Verspätung einträgt. Und das liest sich auf dem Display dann so: Ankunft auf Gleis 10 um 12.09 Uhr, Anschlusszug nach Elsterwerda um 12.09 von Gleis 7. Das fängt ja gut an.

Fängt es auch, denn der Zugbegleiter hält seinen Zug so lange fest, dass die herbei eilenden Fahrgäste allesamt noch bei ihm einsteigen können. Von hier bis nach Elsterwerda teilen wir uns das Abteil nun mit einer 7. Schulklasse, die auf dem Weg in eine „voll geile Jugendherberge bei Elterswerda“ ist? Wo bitte? Der Junge mit dem etwas schwachen Namensgedächtnis heißt Tom, weil er beim Sport immer rot wird wie eine Tom-Ate. Jugendsprache ist gar nicht so schwer, und dass zwischendurch ein paar Gummibärchen von hüben nach drüben fliegen und die heisere Stimme der Zugbegleiterin ein wenig untergeht … waren wir nicht alle mal so? Auch um unseren Anschlußzug müssen wir uns dieses Mal keine Sorgen machen, denn wir haben gute 20 Minuten Pufferzeit, und zudem wäre der Zug sogar beinahe pünktlich gewesen.

Unser nächster Teilstreckenzug ist ein IC, der ausnahmsweise auch mit Nahverkehrsticket genutzt werden darf. Mit uns sind auffallend viele Reisekoffer zugestiegen, deren Besitzer offensichtlich auf dem Weg zum Flughafen BER sind. Nach etwa einer Stunde sind wir dort, setzen die Flugpassagiere ab – und rollen in die entgegengesetzte Richtung wieder los. Zurück nach Elsterwerda? Glücklicherweise nicht, der Zug hatte nur einen kleinen Umweg genommen. Theoretisch liegen wir nun schon zum dritten Mal so weit hinter dem Fahrplan, dass der Anschluss am Berliner Südkreuz nicht erreicht wird, aber auch dieses Mal sieht die Praxis völlig anders aus, denn vom unteren Bahnsteig via Rolltreppe zum oberen sind es ja nun wirklich keine 7 Minuten. Im S-Bahn-Abteil riecht es bestialisch nach Raubtierkäfig, und wir werden auch sofort angebettelt, aber das ist eben Berlin. Und warum fährt der Aufzug am Heidelberger Platz nur nach oben, wo wir doch mit den Koffern nach unten wollen? Aha, wir hätten den anderen nehmen sollen. Unten angekommen sind es jetzt nur noch zwei Stationen stadteinwärts und dann ein paar Schritte bis zum Hotel, das wir pünktlich um 16 Uhr erreichen. Und das mit siebenmaligem Umsteigen!

Das Motel Blue befindet sich in der ersten und zweiten Etage eines ganz normalen Berliner Wohnblocks und ist lediglich durch ein blaues Schild über dem Eingang kenntlich gemacht. Wäre die schwere Holztür nur angelehnt, könnten wir hineingehen. Sie scheint aber verschlossen zu sein, also rufen wir die angeschriebene Telefonnummer an und erfahren, dass wir nur kräftiger hätten drücken müssen. Hinter der Tür liegt ein langer Flur, dem seitlich eine Holztreppe in die oberen Stockwerke folgt. Dort, im ersten Stock, verrät ein Schild „Rezeption“, dass wir hier richtig sind. Unser Zimmer 207 liegt allerdings im Stockwerk darüber, wir müssen also samt Koffern wieder zurück ins Treppenhaus, dieses Mal aber mit einem Liftschlüssel, den wir auch behalten dürfen.

Das Zimmer ist angenehm modern, aber ungewöhnlich schmal und dadurch – was typisch für einen Altbau ist – quasi höher als breit. Damit das nicht so auffällt, ist auch der Wandschrank extrem hoch: so hoch, dass nur ein Riese das oberste Fach ohne Leiter erreichen könnte. Das erfordert eine gewisse Logistik beim Einräumen, denn man kann auch nicht einfach zur anderen Bettseite herumgehen. Aber das macht uns nichts aus, das kennen wir ja von zuhause.

Unten an der Kreuzung haben wir einen Supermarkt entdeckt, wo wir rasch noch ein paar Kleinigkeiten besorgen, ehe wir uns auf die Suche nach einer warmen Mahlzeit machen. Der Hauptbahnhof ist hier eine gute Adresse, man erreicht ihn vom Hohenzollernplatz, indem man den Bus 249 zum Bahnhof Zoo nimmt und von dort eine beliebige S-Bahn, was im Gewühl der Baustellen gar nicht so leicht ist. Lohn der Mühe: eine authentische Berliner „Curry36” Currywurst.

Category: Allgemein, Berlin 2024
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