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Bei Brahms, Mahler und Hagenbeck

Hamburg bot, auch wenn die Hanseaten eher Kaufleute als Künstler waren, auch so manchem heute berühmten Komponisten eine Heimstatt, zumindest für ein paar Jahre. Einer von ihnen, Johannes Brahms, ist hier sogar geboren und hat deshalb in der Peterstraße sein eigenes kleines Museum, das Johannes-Brahms-Haus. Es ist ein recht übersichtliches Gebäude mit einer Wohndiele, an der zwei Zimmer liegen und von wo eine weiß lackierte und leicht gewendelte Holztreppe nach oben steigt in den „Komponistenhimmel”: diese Teilreplik eines berühmten Züricher Deckengemäldes ziert nämlich die obere Wand des Treppenaufgangs, wo uns erneut ein Haupt- und zwei Nebenräume erwarten. Einer von ihnen ist zur Zeit dem mit Brahms befreundeten Zwölftonpionier Arnold Schönberg gewidmet, im anderen steht jenes Tafelklavier von Baumgardten & Heins, auf dem der junge Brahms einem Fräulein aus gutem Hause Unterricht erteilt hat. Es gehörte damals der Familie seiner Schülerin und wird heute noch hin und wieder bespielt.

Während seiner Wiener Zeit war Brahms mit Arnold Schönberg befreundet, dem Entwickler der Zwölftontechnik in der Komposition. Im Ausstellungsraum des Museums illustriert derzeit eine Sonderausstellung die Person und das Lebenswerk Schönbergs, der keineswegs nur Komponist war, sondern unter anderem auch ein Schachspiel für vier Spieler erfand, das er „Koalitionsschach” nannte.

In derselben Häuserzeile, nur wenige Schritte vom Brahmshaus entfernt, befindet sich mit dem Komponistenquartier ein weiteres bemerkenswertes Museum. Mehrere Einzelmuseen sind hier so zusammengefaßt, daß man nacheinander Georg Philipp Telemann (1681-1767), Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), Johann Adolph Hasse (1699-1783), Fanny und Felix Mendelssohn (1805-1847 und 1809-1847) sowie dem melancholisch-verschrobenen Gustav Mahler (1860-1911) gewidmete Räume besuchen kann.

Ein besonderes Ausstellungsstück ist hier das Welte-Reproduktionsklavier: ein Konzertpiano von Steinway & Sons, das die Einspielung eines Pianisten in einen Lochstreifen ermöglichte, inklusive seiner Anschlagsdynamik. Im Repertoire der Firma befanden sich Lochstreifenrollen von Komponisten, die ihre eigenen Werke einspielten, so dass man deren Spiel noch heute wiedergeben kann, als säße die Person selbst am Klavier. Für Besucher sind diese Aufnahmen natürlich nur als Aufzeichnungen verfügbar, immerhin ist aber eine der originalen Rollen zu sehen. Sie trägt die Aufschrift „Sopran Solo aus der IV. Symphonie Das himmlische Leben G. Mahler, gespielt von…” und darunter die originale Unterschrift Mahlers, denn das war als Nachweis der Authentizität und der vom Künstler geprüften Qualität üblich. Vermerkt ist auch das Datum 9. XI. 05.

Ein ebenfalls bemerkenswertes Exponat ist das Modell einer barocken Opernbühne samt Schiebekulissen, Wolkenfahrstuhl und Wellenmaschine im Abschnitt über den Komponisten Johann Adolph Hasse. Vom einmanualigen Cembalo mit 4 5/6 Oktaven nach Francois Étienne Blanchet ist weltweit nur ein einziges Original erhalten, das im Telemann-Raum gezeigte Instrument ist ein Nachbau. Original ist aber die Viola d‘amore von 1727 sowie einige weitere Instrumente und Notenbücher aus dieser Zeit.

Wie wäre es, noch ein paar Augenblicke in Fanny Mendelssohns efeuumrankter Laube Platz zu nehmen und den Tonaufnahmen zu lauschen, die dort über Kopfhörer angeboten werden? Die Hörer können am Empfangstresen des Museums ausgeliehen werden und vermitteln in jedem Abschnitt, worum es zwischen all den Exponaten und Tafeln geht: um klassische Musikwerke mit Bezug zu Hamburg.

Vorbei an einem Supermarkt und der Michaeliskirche wenden wir uns nun den Landungsbrücken zu, wo um 14.30 Uhr unsere einstündige Hafenrundfahrt starten soll. Wo genau? Wir fragen am Auskunftschalter nach und erfahren, dass diese Fahrt leider ausfalle, wir sollten aber sicherheitshalber noch einmal am Pier nachfragen. Dort weiß man zwar nichts von einem Ausfall, wir könnten aber  das Boot für die 14-Uhr-Tour besteigen, denn das läge gerade noch abfahrtbereit am Kai. Das lassen uns natürlich nicht zweimal sagen.

Kurze Zeit später passiert unsere Barkasse die beiden Museumsschiffe und den soeben ablegenden Mississippi-Dampfer, der weder ein Dampfer ist noch jemals Mississippi-Wasser unterm Kiel hatte. Das nahe Kehrwiederfleet wird seit einigen Jahren von der Brücke überspannt, die beide Gebäude des Miniatur-Wunderlandes verbindet, wir sehen die Besucher zu uns herabwinken. Am immer noch nicht eröffneten Westinghouse und der imposanten Elphi vorbei gelangen wir an die jenseitige Hafenkante und bewundern die Blohn&Voss Werft, die Hafenkräne und als krönenden Abschluss die neue „Mein Schiff 7”, deren fabrikneuer Anker offenbar noch nie im Wasser war. Der Steuermann unserer kleinen Barkasse tut uns Fahrgästen seine persönliche Meinung zu Kreuzfahrten kund, dann geht es zurück zur Anlegestelle, wo unsere Mini-Kreuzfahrt endet.

Jetzt aber schnell zurück zum Hotel, denn um 18.30 Uhr beginnt schon die Einführung zur Oper „Carmen“ in der traditionsreichen Hamburger Staatsoper. Die liegt zum Glück an derselben Buslinie wie unser Hotel, wir müssen nur vom Ziel Stephansplatz ein paar Schritte in Richtung Stadtmitte laufen. Allerdings sieht keines der Gebäude an dieser Straße wie ein Opernhaus aus. Das  liegt schlicht daran, dass es sich um einen Neubau aus den 1950er-Jahren handelt mit entsprechend minimalistischen Erscheinungsbild, auch im Inneren. 

Dem Operngenuss tut das freilich keinen Abbruch, und auch die Inszenierung ist zwar modern und ausgesprochen farbenfroh, fügt der Handlung aber gottseidank nichts Irritierendes hinzu. Im Gegenteil, die Aufführung gerät zu einem Erlebnis der Spitzenklasse und wird uns noch lange in Erinnerung bleiben.

Für den letzten Tag haben wir keine besonderen Pläne mehr. Wie wäre es, dem berühmten Hagenbeck-Zoo einen Besuch abzustatten? Der liegt zwar etwas abseits vom Stadtzentrum, scheint  mit der U-Bahn-Linie 2 aber gut erreichbar zu sein. Was die kleine Navigationshilfe in unseren Händen aber nicht wissen kann ist, dass es am Berliner Tor baustellenbedingt eine lange lange Holztreppe hinaufzusteigen gilt. Und auch der Bahnknoten selbst wartet mit langen Wegen auf, aber irgendwann sitzen wir dann doch im richtigen Wagen.

Der Hagenbeck umfaßt einen Zoo und ein Tropen-Aquarium, die Entscheidung für das eine, das andere oder beides fällt an der Kasse, denn es gibt ein Kombiticket. Heute ist ein eher unfreundlicher Tag, was sich zwar nicht auf die Laune der Kassenkraft auswirkt, sehr wohl aber auf unsere Entscheidung. Und so schieben wir wenig später die Tür auf, die das Drinnen vom Draußen trennt, um die kommenden Stunden in angenehm tropischer Wärme zu verbringen.

Natürlich wird auch hier das beliebte Suchspiel „wo ist das Tier?” gespielt. Welches? Selbst ein Blinder hätte damit keinerlei Problem, er müßte lediglich auf die Kommentare der anderen Besucher achten: „Schau mal Mama/Papa, ein/e <Name des Tieres>!”. Natürlich sind alle Tiere zuhause, was bliebe ihnen denn auch anderes übrig? Und ebenso erwartungsgemäß sind auch alle Kinder begeistert, wenn sie denn so einen Terrariumsbewohner entdeckt haben: „Papa/Mama schau! Jetzt schau doch mal!” Unsereiner interessiert sich natürlich mehr dafür, wo das Tier seinen natürlichen Lebensraum hat, und ob dieser Lebensraum möglicherweise bedroht ist, was leider eher die Regel ist als die Ausnahme.

Im Raum mit den beiden großen Bullaugen kehren sich die Verhältnisse plötzlich um: nun sind es wir Besucher, die aus ihrem engen U-Boot hinausschauen in die Weite der Unterwasserwelt, in der Rochen und Haie majestätisch dahinziehen. Diesem ersten Blick auf Aquarien voller bunter Fische und Korallen folgen im Verlauf des Rundgangs noch viele weitere. Vorbei an Nemos bunter Verwandtschaft gelangen wir in einen Raum, der einerseits von einer gläsernen Wand gewaltigen Ausmaßes und andererseits von mehreren Sitzreihen geprägt ist. Sich hier niederzulassen und den Schwärmen der diversen Meeresbewohner zuzusehen hat etwas Beruhigendes und Entspannendes. Im Hintergrund des Wasserbeckens sind zwei Bullaugen zu sehen: es sind dieselben, durch die wir vorhin von der anderen Seiten her das große Aquarium bewundert haben. Welch ein Erlebnis!

Der Rundgang führt nun ohne weitere Höhepunkte hinauf in den Gastronomiebereich, wo sich, gebührenden Abstand zu uns haltend, allerlei frei fliegende Vögel tummeln. Wie gut, dass das Krokodil zwei Etagen weiter unten wohnt.

Und dann ist dieser Besuch auch schon wieder zu Ende. Das weitere Programm sieht so aus, dass wir unsere Koffer aus dem Hotel holen und uns an den Bahnsteig begeben, wo um 18 Uhr unser ICE nach Nürnberg startet. Hamburg, ade und bis bald wieder.

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Welten in klein und in Wachs

Das NIU Yen hat einen angenehm großzügigen Früstücksraum, und auch das Frühstück selbst entspricht den Erwartungen. Heute haben wir das Miniatur-Wunderland auf unserer Agenda stehen. Dort gibt es nämlich mit Monaco/Provence und Patagonien zwei neue Abschnitte, die wir noch nicht kennen.

Die Attraktionen der Speicherstadt sind allesamt über die Hochbahnstation Baumwall an das übrige Hamburg angebunden und von dort fußläufig erreichbar. Zum Glück regnet es heute morgen nur mehr leicht, und schon bald stehen wir vor dem Eingang zum Kaispeicher, über dessen zweites bis viertes Stockwerk sich die größte Modellbahn der Welt erstreckt. Genau genommen kommt sie schon seit ein paar Jahren nicht mehr mit dem Platz im ursprünglichen Gebäude aus, also hat man eine Brücke über das Fleet gebaut und sich auch das jenseitige Gebäude erschlossen. Analog zur geographischen Realität sind drüben vor allem die Länder der Neuen Welt untergebracht, was freilich nicht ganz konsequent ist, da sich die USA nach wie vor diesseits des Fleet-Atlantiks befinden. Aber so ist das eben, wenn man immer wieder erweitert: in ein paar Jahren sollen drüben Atacama, Regenwald und Karibik eröffnen.

Eine Herausforderung für die Wunderland-Besucher besteht ja stets darin, die Treppen zur jeweils oberen oder unteren Etage zu finden. Man könnte natürlich einfach die vorgeschlagene Runde laufen, aber weil es so viele Welten gibt, in deren Details man sich immer wieder neu verlieren kann, käme man dann wohl erst spätnachmittags in Monaco an. Wir kürzen also ab und stehen vor der berühmten Formel-1-Strecke, wo soeben die Mini-Boliden die S-Kurve heruntergefahren kommen. Wie an der echten Rennstrecke sieht man von seinem Standpunkt aus immer nur einen kleinen Abschnitt, kann das Rennen aber über die Monitore mitverfolgen. Wo haben die nur die vielen Kameras im Modell versteckt? Natürlich: im Modell-Kameraturm, wo denn auch sonst? Wenige Minuten später ertönt von irgendwo die britische Nationalhymne. Aha, Siegerehrung.

Direkt neben dem monegassischen Zwergstaat erheben sich im Hamburger Modell die Berge und Schluchten der Provence. Der Modellzug passiert gerade das Tal, das vom bekannten Pont du Gard überspannt wird. Gerade eine Zuglänge davon entfernt befindet sich, für Eingeweihte leicht zu identifizieren, die Felsbrücke Pont d’Arc, von der sich ein winziger Klippenspringer in die Fluten stürzt, während von ganz in der Nähe das Geräusch eines fahrenden Mopeds ans Ohr dringt. Wie in der Realität hört man das kleine Zweirad-Teufelchen schon, bevor man es sieht. Aber man hat ja eine zweite, dritte und vierte Chance, immer wenn wieder jemand den Knopf „Moped” drückt: aha, da ist es!

Nun ist es aber an der Zeit, die Brücke hinüber nach Südamerika zu queren, wo man zur Linken auf die schon nicht mehr ganz neue Copacabana stößt. Nach wie vor gondelt hier eine Seilbahn zum Zuckerhut hinauf, nach wie vor sorgt der Gegensatz zwischen den modernen Hochhäusern und wild verschachtelten Favelas für Erstaunen und der Karneval von Rio im Sambadrom für die passende Geräuschkulisse. Und als die Dunkelheit hereinbricht, was im Wunderland alle 15 Minuten der Fall ist, grüßt vom Modell-Corcovado der erleuchtete Cristo Redentor herab.

Für den nachfolgenden Abschnitt müßte man sich nun eigentlich einen Friesennerz überwerfen wie die winzigen Polarforscher, die von ihrem Expeditionsschiff aus die Pinguine beobachten. Was hier von den Modellbauern erschaffen wurde, verdient höchsten Respekt: das stürmisch bewegte Wasser der Drake Street sieht durch die von unten projizierten Schaumkronen so unglaublich echt aus, und auch die kleinen Boote schaukeln so heftig hin und her, dass man schon vom Hinsehen schier seekrank wird. Deutlich entspannter geht es beim kalbenden Morenogletscher zu: die Eisstücke senken sich so bedächtig ins Wasser, als würde eine imaginäre Hausfrau rohe Eier in ihren Kochtopf bugsieren. Hier müssen die Modellbauer wohl noch ein wenig nachbessern. Gut gelungen sind jedenfalls die Gruppen blökender Schafe, die der Schmalspurzug von den Schienen scheucht, während auf Knopfdruck zwei Andenkondore die raumhohen Gipfel umkreisen.

Zurück in der Alten Welt wollen wir noch rasch in die Schweiz reisen, das bekannte Dü-Da-Do (für die Musiker unter uns: cis-e-a) der Postbusse weist akustisch den Weg. Aber was ist das? Wie wir da so auf das gewaltige Matterhorn sehen wie jüngst im Zermatt-Urlaub, öffnet sich auf einmal mitten ih der Anlage eine Bodenklappe, und ein behelmter Kopf lugt daraus hervor. Und dann noch einer, und noch einer. Insgesamt sechs Köpfe zählen wir, bis sich die Klappe wieder schließt und die Teilnehmer der Führung „Hinter den Kulissen” zur nächsten Attraktion weitergeführt werden.

Wer möchte, kann im Wunderland übrigens seine individuelle Modellfigur erwerben und mitten ins Helene-Fischer-Konzert platzieren lassen. Aber dort müßte sie dann „Atemlos” in Dauerschleife ertragen, und das würde man ja wohl noch nicht einmal seinem Avatar zumuten wollen – ein Kühlschrankmagnet für denselben guten Zweck tut es doch auch und erinnert einen zudem viel nachhaltiger an den schönen Besuch.

Im Miniatur-Wunderland kann man übrigens auch stilgerecht essen und trinken: die Tische und Bänke des SB-Restaurants sind einem Speisewagen nachempfunden, mitsamt Fenstern und Landschaft. Welch ein Glück, dass die Modellbauer diese Abteilung bisher übersehen haben und die Miniaturisierung sich nicht auch auf auf die gereichten Portionen erstreckt!

Frisch gestärkt steuern wir nun der berüchtigten Hamburger Reeperbahn zu! Wer bei diesem Stadtviertel zuallererst an ein Rotlichtviertel denkt, ist schief gewickelt, die Flaniermeile hat tagsüber durchaus auch Familientaugliches zu bieten. Eine der ersten Adressen ist hier das Panoptikum, das Wachsfigurenkabinett. Die Tradition dieses Familienunternehmens reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück, die heutige Chefin ist die Urenkelin des Gründers. Im Feuersturm des Zweiten Weltkriegs ging zwar das meiste verloren, aber einige Figuren können es an Lebensalter inzwischen durchaus wieder mit dem ihrer Vorbilder aufnehmen.

Die üblichen Schrifttäfelchen bräuchte es bei diesem Museum eigentlich gar nicht, da jedes Exponat auf Anhieb identifizierbar ist. Zur Rechten spendet Papst Benedikt XVI. den Eintretenden seinen Segen, über den Köpfen hängt Otto Lilienthal an seinem Gleitflugzeug, zur Linken hat sich sowohl royale wie auch politische Prominenz versammelt, und bei dem Herrn mit Vatermörderkragen und dunkler Sonnenbrille handelt es sich unzweifelhaft um Karl Lagerfeld. Der Platz neben Helmut Schmidt wäre gerade frei, und man könnte sich neben ihn setzen. Leider ist der alte Herr nicht sehr gesprächig, aber das ist für ein Foto mit ihm ja auch gar nicht notwendig. Gleich gegenüber speisen in einer Nische Helmut Kohl und Dietrich Genscher, wahrscheinlich gibt es Pfälzer Saumagen. Den Herrn, der neben der Treppe sitzt, kenne ich nicht, hat der denn kein Schildchen? Leider nein, aber er steht plötzlich auf und geht weg.

Neben einem pinkfarbenen Cadillac posiert James Dean, auf dem Rücksitz hat Marilyn Monroe Platz genommen, und am Steuer sitzt Elvis Presley, allesamt authentisch gekleidet und ausstaffiert, ebenso wie die vier pilzköpfigen Herren gleich nebenan. Sie waren noch sehr jung, als sie im Hamburger Starclub auftraten, John Lennon trug noch keine Nickelbrille, und auch der Schnauzbart war wohl noch nicht modern. Zum Starclub, wenn es ihn noch gäbe, wären es von hier übrigens fußläufig gerade einmal 10 Minuten.

Die Lieblingsfigur der meisten Besucher ist sicher Otto Waalkes, wie er da in seiner typischen Pose am Brüstungsgeländer lehnt. Oder vielleicht doch Helene Fischer? Oder Taylor Swift? Oder gar Harry Potter? Jede Generation hat ihre Idole, und während der eine sich freut, dem wächsernen Abbild eines Erik Ode oder Roy Black gegenüberzustehen, mag sich der andere vielleicht fragen: wer sind diese Herren denn überhaupt? Und vor allem: stehen die gruseligsten Konterfeis vielleicht gar nicht in der Folterkammer, sondern im Nazi-Kabinett?

Meine persönliche Lieblingsfigur trägt eine wirre Haarpracht und einen grauen Strickpulli und ist mit der Formel E=mc² berühmt geworden. Wirklich schade, dass man mit einer Wachsfigur kein Gespräch führen kann! Aber das kommt sicher noch und wird sicher auch keine weiteren 145 Jahre dauern.

Was indes länger dauert als geplant ist unsere Rückfahrt zum Hotel, denn „es befinden sich betriebsfremde Personen im Gleis” unserer S-Bahn, die deshalb im Hauptbahnhof, also genau eine Station vor unserem Ziel, zunächst auf unbestimmte Zeit stehen bleiben muss, dann vollständig geräumt und schließlich ins Depot verbracht wird. Die beiden Passagiere, die in höchster Eile herangesprintet kommen und in Unkenntnis der Durchsage gerade noch den Zug entern, werden sich schön gewundert haben! Wir anderen überlegen uns derweil, wie wir jetzt an unser Ziel kommen könnten. Hinübergehen zum Bus vielleicht? Gerade als wir uns abwenden wollen, scheint das Problem gelöst worden zu sein, so dass der neu einfahrende Zug nun komplikationslos zumindest bis nach Hammerbrook fahren kann.

Das ist nämlich ganz wichtig für uns, schließlich wollen wir nach dem Umkleiden gleich noch einmal weg ins „Schmidts Tivoli“, wie das Kleinkunst-Theater an der Reeperbahn heißt, dessen Standort wir heute nachmittag schon ausgekundschaftet hatten: man will ja nicht versehentlich im falschen Etablissement landen. Gegeben wird das – nicht ganz jugendfreie – Musical „Heiße Ecke”: es geht um ein paar Menschen, denen das Leben so manchen Stein in den Weg geworfen hat oder noch wirft, und die am Ende doch ein jeder sein kleines Glück finden hier im Kiez.

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Lux aeterna

Um von Nürnberg nach Hamburg zu gelangen, braucht ein ICE rund viereinhalb Stunden. Da ist es gut, wenn man einen reservierten Sitzplatz in der ersten Klasse hat. Unsere Plätze mit den Nummern 55 und 56 befinden sich im Wagen 11. Was da aber morgens um halb acht auf Gleis 7 einrollt, hat gar keinen Wagen 11, denn der hintere Zugteil fehlt komplett, und die Navigator-App meldet pflichtschuldigst, der Rest des Zuges sei „extrem ausgelastet”, auf deutsch: es gibt praktisch nur noch Stehplätze. Zum Glück findet sich mittendrin noch ein einzelner Sitzplatz für die Liebste, während ich mich bestenfalls irgendwo anlehnen kann, derweilen einige andere Gäste um ihre Reservierungen streiten. Zum Glück für mich wollen die Sieger dieser Auseinandersetzung in Fulda bereits wieder aussteigen. Jetzt heißt es also schnell sein, denn es spechten auch schon andere Leute auf die frei werdenden Plätze. Da diese anderen aber später zugestiegen sind, bin jetzt erst einmal ich an der Reihe, bitteschön.

Wo sind wir eigentlich? Die Kartenansicht im Smartphone zeigt einen wandernden Punkt auf einer Nebenstrecke. Und da kommt auch schon die Durchsage, dass die Hauptstrecke wegen eines liegen gebliebenen Flixtrain-Zuges gesperrt sei. Der Umweg trägt uns eine halbe Stunde Verspätung ein, aber wir haben ja für den Nachmittag ohnehin keine Pläne und können es uns sogar erlauben, nach unserer Ankunft in Hamburg samt Koffern noch einen kleinen Spaziergang an die Alster zu unternehmen, wenn auch nicht ganz freiwillig. Denn die Adresse hatte ich, weil sie nicht auf dem Voucher stand, der Website des Hotels entnommen. Nun, es ist wohl der Verwaltungssitz der Kette, das gebuchte Hotel befindet sich in der Nähe der Buslinie 112, die zum Glück auch hier an der Alster eine Haltestelle hat, leider aber jenseits einer ausgedehnten Baustelle, die uns nun schlammige Gehwege und einen Umweg aufzwingt. Und dann fährt uns auch noch der Bus vor der Nase weg. Aber schon 10 Minuten später kommt der nächste. Alles wird gut. Vom Ausstieg an der Albertstraße bis zum Hotel sind es nur noch ein paar hundert Meter. Von wem stammt eigentlich die bescheuerte Idee, rollkoffertaugliche Gehwege alle 50 Meter durch grob gepflasterte Torzufahrten zu unterbrechen?

Eigentlich hätten wir gestern schon in Hamburg eintreffen sollen, aber es hatte eine Terminüberschneidung mit dem Konzert in Bad Kissingen gegeben, und  unter dem Strich war es dann vorteilhafter, die Pauschalreise unangetastet zu lassen und stattdessen eine zweite Bahnfahrt zu buchen. Dass wir verspätet eintreffen werden, hatte ich der Servicezentrale des Hotels bereits telefonisch durchgegeben. Für die Rezeptionistin war die Buchung dadurch aber unauffindbar geworden, zumal die Hotelkette gerade erst auf ein neues System umgestellt hatte. Wir werden also völlig neu angelegt, und erst gegen Ende des Eincheckens taucht dann auf mysteriöse Weise die ursprüngliche Buchung wieder auf, zu unserer Überraschung inklusive Frühstück. Davon stand zwar nichts auf dem Voucher, aber maßgeblich ist ja die Buchung und nicht das Papier.

Das Hotel „The NIU Yen” ist ein sehr fortschrittliches Budget-Hotel, was unsereiner schon daran erkennt, dass es neben den Betten Steckdosen mit USB-Anschlüssen gibt. Das Zimmer kann aber noch mit einer weiteren Annehmlichkeit aufwarten, nämlich dem Bluetooth-Lautsprechersystem: Smartphone koppeln, Wiedergabegerät auswählen, und schon ist für individuelle musikalische Unterhaltung gesorgt. Somit fehlt es an nichts, wenngleich etwas mehr Platz ganz angenehm wäre.

Aber wir sind ja nicht nach Hamburg gekommen, um im Hotelzimmer zu sitzen, sondern wegen eines Konzerts in der „Elphi”, also der Elbphilharmonie. Auf dem Programm stehen „Lux aeterna” von György Ligeti, ein aus dem Film „A Space Odyssee” bekanntes Stück für sechzehnstimmigen gemischten Chor a cappella, sowie Anton Bruckners Neunte Sinfonie, deren letzter Satz unvollendet blieb und deshalb auch nicht gespielt, sondern quasi durch das Ligeti-Stück ersetzt wird. Zu alledem gibt es einen Einführungsvortrag, ebenfalls im großen Saal, aber mit freier Platzwahl.

Unsere gebuchten Plätze 29 und 30 befinden sich in der vierten Reihe der Ebene 13i schräg links hinter dem Orchester, wir sehen den Dirigenten Kent Nagano also von vorne und den Musikern in die Notenblätter. Die Ränge des Großen Konzertsaals gruppieren sich weinbergartig um die Bühne, während über alledem ein halbrunder Reflektor hängt, der aussieht wie Raumschiff Orion mit ausgefahrenem Zentrallift – speziell wenn dieser dann auch noch nach oben eingezogen wird.

Da wir ja vor dem Konzert genug Zeit gehabt hatten, genossen wir vorab noch ein wenig die Aussicht von der Plaza, also der Plattform auf halber Höhe des einzigartigen Konzertbaus, und genehmigten uns auch noch ein Cola samt Strohhalm, denn Gläser sind hier pfandpflichtig, und wer will schon am Tresen Schlange stehen müssen, nur um sein Pfand zurückzubekommen? Es zeigt sich allerdings, dass der Inhalt der Colaflasche auf die Strohhalme reagiert, als wären sie aus derselben Masse wie Mentos-Kaubonbons, will heißen: das Getränk verläßt sofort eruptionsartig die Flasche.

Zur Elphi gelangt man übrigens am einfachsten mit der U3, aus der man an der Station Baumwall aus- und in unserem Fall am Hauptbahnhof einsteigt. Vorher müssen wir allerdings noch ein Stück weit die S3 bemühen, der dem Hotel nächst gelegene Bahnhof heißt Hammerbrook und ist wie der Baumwall ein Hochbahnhof, liegt also über der Straße. Das ist bei Regen recht praktisch, denn man läuft darunter ein Stück weit geschützt. Ganz ohne Regenschirm geht es aber trotzdem nicht.

Nach dem dritten Satz der Bruckner-Sinfonie bleibt es, wie vorab erbeten, ganz still im Saal, denn nun folgt als außergewöhnliches Werk der aus dem Off vorgetragene A-Cappella-Gesang des Lux aeterna, illuminiert von tausend kleinen Lichtquellen über den oberen Rängen. Die sieben Takte Pause am Ende sind Teil des Werkes, erst dann bricht tosender Applaus los. Was für ein Erlebnis!

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