Die Unvollendeten

Es ist eine laue Sommernacht, das Rauschen des Wassers mischt sich mit dem Tuckern des Schiffsdiesels und dem Abendruf diverser Muezzine zu einer Symphonie, wie man sie wohl nur hier auf dem Nil erleben kann. Seit mehreren Stunden fahren wir nun schon flußaufwärts, werden von der Bordküche mit köstlichen Speisen und von der Landschaft mit atemberaubenden Bildern verwöhnt: Menschen und Tiere am Flußufer, fruchtbare Felder, Palmen und dahinter dann vollkommen vegetationslose Hügel. Welch ein Kontrast.

Einen Pharao würdig für sein Leben im Jenseits auszustatten war im alten Ägypten eine Aufgabe, die so viel Zeit und Mühe beanspruchte, daß man sie gleich zu Beginn seiner Regierungszeit in Angriff nahm. Und dennoch war die Spanne oft zu knapp, um die ganze jenseitige Herrlichkeit zu vollenden. Woher man das weiß? Der Pharao Ramses IV. zum Beispiel scheint unerwartet früh aus dem Leben gegangen zu sein, der hintere Teil des Zugangsschachtes zur Grabkammer ist ein unvollendeter Rohbau, die Kammer selbst nur notdürftig ausgemalt. Die Lebensspanne seines Namensvetters Ramses IX. hingegen reichte für eine durchgehend üppige Ausstattung, die nochdazu besonders gut erhalten geblieben ist, ihre Farben wirken auch nach dreieinhalbtausend Jahren noch wie neu.

Der berühmte Tut Anch Amun wiederum mußte, da schon im zarten Alter von 18 zur Mumie geworden, mit einer Kammer vorlieb nehmen, die sich aus dem beschriebenen Grund so wenig mit den anderen messen kann, daß ihr Besuch erst gar nicht auf dem Reiseprogramm stand. Wir besuchen sie auf eigene Faust. Die Ägypter sind sehr beflissene Menschen, da wir gesonderte Tickets brauchen und der Ticketschalter sich ganz unten am Taleingang befindet, nimmt der Fahrer des Shuttle unsere 200 ägyptischen Pfund einfach an sich und hält beim nächsten Transport tatsächlich zwei Tickets in der Hand.

Die Kunstschätze aus dem Grab befinden sich heute in Kairo, aber der Pharao ist noch anwesend, ebenso wie eine seiner Totenmasken.

Wir sind zwar die einzige Reisegruppe auf dem Schiff, so daß niemand auf uns warten müßte, dennoch wollen wir einer pünktlichen Abfahrt nicht im Wege stehen: die Uferlandschaft ist einfach zu schön, um sie der früh einsetzenden Dunkelheit zu opfern. Und so kürzen wir die Fahrt zum nächsten Besuchsziel, dem Tempel von Karnak, etwas ab und nehmen statt der flußaufwärts gelegenen Brücke die Personenfähre.

Der Karnak-Tempel ist ein Bauwerk der Superlative, seine Säulen und Obeliske sind, obschon von den Jahrtausenden arg in Mitleidenschaft gezogen, noch immer von sprachlos machender Größe und Mächtigkeit. Diese Höhe! Diese Reliefs! Und es sind so gut wie keine anderen Touristen hier.

Welch ein gelungener erster Tag einer Reise, die uns noch zu vielen weiteren pharaonischen Highlights führen wird. Wen kümmert es da noch, daß de lezte Nacht eine besonders kurze war, weil wir erst deutlich nach 23 Uhr von Kairo nach Luxor abflogen und ja nach dem einstündigen Flug, der Wartezeit an der Gepäckausgabe und dem Transfer zum Schiff auch noch unsere Kabine beziehen und einen Bissen essen mußten?

You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed.Both comments and pings are currently closed.

Comments are closed.