Alberto Durero

Heute ist nun also der Tag, der uns an ein lange erträumtes Ziel bringen soll, nämlich den „Prado” von Madrid: ein Museum, das in unserer Wahrnehmung gleich hinter dem Louvre und dem British Museum rangiert.

Um dieses berühmte Museum zu erreichen, nehmen wir eine Bahnfahrt von mehr als 600 Kilometern auf uns, welche die spanischen AVE-Züge („Alta Velocidad Española”) in etwa zweieinhalb Stunden bewältigen: befahren sie die Strecke doch fast durchgehend mit 300 km/h. Leider müssen die Passagiere als Konsequenz aus den Anschlägen von 2004 eine Sicherheitskontrolle passieren, was die zu investierende Zeit etwas verlängert. Aber selbst unter diesen Bedingungen ist der AVE bzw. seine Lowcost-Version AVLO beeindruckend schnell.

Auf Latein bedeutet das Wort „Ave” Vögel. Ist das der Grund, warum beim Betreten des Abteils Vogelgezwischer zu hören ist? Nein, es ist der Wecker im iPhone, der soeben die normale Zeit des Aufstehens signalisiert. Um die Zeit in Madrid voll auskosten zu können, sind wir nämlich heute schon seit 5 Uhr auf den Beinen. Kaffee und Frühstück gab es in Barcelona Santo nicht. Oder besser gesagt, erst hinter der Sicherheitsschleuse, aber das konnte man ja nicht wissen. Bald schon streift dann das erste Licht des Tages die vorbei huschende spanische Landschaft, und kurz vor halb zehn hält der Zug in Madrid-Atocha.

Vom Bahnhofsgebäude aus sind es nur ein paar Schritte hinüber zum botanischen Garten, an dessen anderem Ende sich der Prado befindet, so weit die Theorie. Tatsächlich kommen wir am Bahnsteig für die Schnellzüge an und müssen erst einmal eine lange Strecke zu Fuß zurücklegen, unterstützt von Laufbändern wie am Flughafen, und gelangen schließlich an einem verkehrsreichen Platz, der so gar nicht nach altem Bahnofsgebäude aussieht, denn das befindet sich ein gutes Stück entfernt von uns und ist längst nicht mehr in Betrieb. Auch der botanische Garten hat von der Bahnhofsseite her keinen Eingang, und am Zaun entlang in Richtung Prado fahren nur Baustellenfahrzeuge. Zu guter Letzt finden wir auch noch dessen markanten Eingang, anders lautenden Wegweisern zum Trotz, verrammelt und verriegelt. Und jetzt? Wir laufen am Gebäude entlang, bis wir an einen Schalter kommen, wo wir unseren Ticketstatus klären und sodann an den Eingang im ersten Stock („upstairs”) verwiesen werden. Sich vor dem Kunstgenuss mit einem Kaffee stärken wäre schön, aber wo ist das Café? Einen Orientierungsflyer gibt es nicht, man könne ihn aber im Internet aufrufen, heißt es. Und das Café befände sich zur Linken im Erdgeschoß. Wie groß unser Erstaunen, als wir dort nicht nur das Gesuchte, sondern auch den normalen Eingangsbereich vorfinden, mit Kassen, Garderobe, Infotheke und Lavabos (Toiletten).

Frisch gestärkt, erwarten uns nun Dutzende von Sälen: wo anfangen, wo aufhören? Wir beginnen im Rubenssaal, von dem weitere Säle abzweigen, die wiederum Nebensäle haben. Was interessiert uns noch? Tizian natürlich. Die Sammlung ist wirklich eindrucksvoll, und vieles springt einem geradezu ins Auge, lädt zu einer Vertiefung anhand der kleinen Schildchen ein, die aber viel zu wenig über Œvre und Epoche aussagen: es ist ja eine Sammlung und keine Ausstellung. Felt noch etwas Wichtiges? Ach ja, Dürer! Draußen war sein Name als Alberto Durero angeschrieben, also frage ich eine der Aufsichten, die mich nach ausgiebigem Blättern schließlich auf den Saal 55A im Erdgeschoss verweist. Und da hängen sie auch schon: Adam und Eva, zur Linken flankiert vom bekannten kleinen Selbstbildnis des Meisters mit schwarzweiß gestreifter Mütze.

Schier erschlagen von der vielen Kunst wenden wir uns nun dem zweiten geplanten Museumsbesuch zu: die Sammlung Thyssen-Bornemisza, bekannt von diversen Leihgaben an deutsche Kunstausstellungen, befindet sich auf der anderen Seite des Platzes in einem markanten roten Backsteinbau. Gleich hinter dem Eingang deuten ein Pfeil nach links und ein freundlich lächelndes Gesicht auf den Ausstellungsbereich „Magritte” hin, jene Sonderausstellung, für die wir ein Zeitfenster gebucht haben. Die Dauerausstellung weiter rechts hinten wiederum erweist sich als umfangreicher als erwartet: oben die Mittelalterkunst, unten die Klassische Moderne mit Corinth, Marc, Macke, Kirchner und all den anderen. Schon recht ermüdet möchten wir aber ja auch noch die Magritte-Ausstellung sehen und folgen der freundlichen Einweisung in den bereits bekannten Zugang, wo uns oben ein Saal mit allerlei Fotos des surrealen Künstlers erwartet. Und das soll nun die Ausstellung sein? Ich frage nach den Bildern und werde auf einen anderen Museumsflügel verwiesen: vom Eingang aus gesehen rechts hinten. Man muß das Museum anscheinend gut kennen, um den Zugang zu dieser Abteilung nicht zu übersehen. Und hier hängen sie nun alle: das Bild mit der Leinwand, auf der die von ihr verdeckte Landschaft zu sehen ist. Vermutlich. Die Pfeife, die laut Bildunterschrift keine Pfeife ist. Die Reiterin, die vor und zugleich hinter den Bäumen ist. Und all die anderen.

Ziemlich ermattet, denn der Tag begann ja sehr früh, laufen wir zum Bahnhof zurück. Wo fährt denn nun eigentlich der Schnellzug ab, bei der Ankunft haben wir keinen Zugang gesehen? Die vergebliche Suche führt uns in das Ticketbüro der Bahngesellschaft Renfe. Aha, im oberen Stockwerk also. Ein Wegweiser wäre schön gewesen. Dieses Mal gehen wir aber bitte zuerst durch die Kontrolle und dann erst ins Café. Leider werden unsere Tickets abgewiesen: wir sind zu früh dran, mehr als 90 Minuten vorab geht nicht. Gut, dann suchen wir uns eben doch etwas im allgemeinen Bahnhofstrakt. Und sehen nun endlich auch, was aus dem schönen alten Bahnhof geworden ist: ein noch schönerer botanischer Garten, mit Palmen dort, wo einst Bahnsteige waren. Aber ein Café gibt es hier nicht, und zwischenzeitlich ist auch das 90-Minuten-Zeitfenster angebrochen. Also doch drinnen.

Der weitere Ablauf gleicht dem am Flughafen, man checkt regelmäßig seine Abfahrttafel, wo irgendwann das Gate und der Aufruf zum Boarding gelistet steht, passiert mit seinem Ticket die Schleuse zum Zug, sucht seine Sitzplatznummer, und ein paar Augenblicke später legt das Schienenflugzeug dann ab: zweieinhalb Stunden braucht es für gute 600 Kilometer.

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