Auf den Spuren von Dvořák und Smetana

Das tschechische Nationalmuseum ist leicht zu finden. Nein, nicht wegen seiner prachtvollen Architektur: vergleichbare Gebäude sind in der Goldenen Stadt alles andere als selten. Ungewöhnlich ist jedoch, dass die zentrale Metrostation nicht wie anderswo der Hauptbahnhof ist, sondern das Museum. Man muss allerdings den richtigen Ausgang finden, sonst findet man sich in der jeweils anderen Metrolinie wieder, denn anscheinend wollen hier alle nur um- und kaum jemand aussteigen.

Dabei hätte man, ließe man das außen wie innen beeindruckende Bauwerk links liegen, wirklich etwas versäumt. Allein schon das marmorne Treppenhaus erinnert eher an einen Palast oder ein Opernhaus als an einen Kunsttempel. Und Kunst wird hier, wenn man von den Marmorbüsten und den Wandgemälden absieht, auch gar nicht gezeigt: in ersten Stockwerk geht es um Erdgeschichte und um die Geschichte der Menschheit, insbesondere des tschechischen Teils davon. Weiter oben heißt es dann noch „Wunder der Evolution”, und es begegnen einem riesige Land- und Meereslebewesen, geordnet nach Kontinenten und Lebensräumen. Heute ist Samstag und viel los im Museum. Da wir uns noch zwei weitere vorgenommen haben, reicht leider die Zeit nicht mehr für den markanten Neubau gegenüber, und so lassen wir die bildende Kunst links liegen und wenden uns erneut der Musik zu.

Gefragt, welcher der berühmtere tschechische Komponist sei, würden wohl die meisten auf Smetana tippen, den Schöpfer der bekannten „Moldau”. Spielte man ihnen aber die Humoreske von Dvořák vor oder dessen Symphonie „Aus der neuen Welt”, würden sie allesamt sofort umschwenken. Hier einseitig Partei zu ergreifen liegt uns fern, deshalb besuchen wir beide Museen und beginnen mit Dvořák.

Das Museum ist in einem Lustschlößchen in der Nähe der Metrostation Pavlova untergebracht. Anders als bei uns haben die Stationen jeweils nur eine einzige Rolltreppe nach oben, man muss sich also nicht entscheiden, in welche Richtung man den Bahnsteig verläßt. Hin und wieder gibt es aber an dessen anderem Ende einen Aufzug, und den nehmen wir. Ein zweiter bringt uns endgültig hinauf zur Straße, die wir queren müssen und ebenso eine weitere. Ohne Fußgängerüberweg weit und breit. Zum Glück ist es eine Einbahnstraße, wenn auch eine vierspurige. Warum nur hat man für das Museum einen so abgelegenen Ort gewählt?

Das kleine Schlößchen ist von einem Park mit allerlei Figurengruppen umgeben und der Park wiederum von allerlei Hochhäusern: man fühlt sich eher wie auf dem Hinterhof eines Steinmetzbetriebes. Das freistehende rot-gelbe Schlößchen selbst ist aber eine durchaus attraktive Erscheinung. Ob Dvořák es je in seinem Leben betreten hat, wissen wir nicht: gewohnt hat er jedenfalls woanders.

Im Erdgeschoß steht unter anderem auch das Möbelstück, das auf dem rückwärtigen Gemälde zu sehen ist und die alt gewordene Frau des Komponisten zeigt, lange Jahre nach dessen Tod. Es dürfte also aus der Prager Wohnung der beiden stammen, ebenso wie der Bechstein-Flügel im Nebenraum – dort, wo auch seine Taschenuhr ausgestellt ist. Der große, mit herrlichen Wand- und Deckenfresken ausgemalte Raum im Obergeschoß ist bestuhlt, und ein weißer Flügel deutet darauf hin, dass hier Konzerte stattfinden. Auf dem Monitor zur Linken läuft eine Dokumentation über Dvořáks Leben und Karriere. Um sie in voller Länge zu sehen, muss man eine Stunde Zeit mitbringen und tschechisch oder englisch verstehen. Der kleine Nebenraum, den es auch hier oben gibt, listet abschließend noch die Lebensdaten auf und thematisiert Tod und Begräbnis.

Gibt es einen einfacheren Weg zurück zur Metrostation? Ohne viel Zickzack? Ja, und zwar an jenen Zugang, wo die Rolltreppen sind. Da sich inzwischen der kleine Hunger zu Wort meldet, nehmen wir einen Umweg über den Hauptbahnhof. Inzwischen kennen wir uns im Prager Nahverkehr so gut aus, dass wir den Weg dorthin und dann zum Smetana-Museum auch ohne die manchmal etwas verwirrenden Auskünfte der App finden, schließlich fuhren wir ja gestern schon mit der 16 zum Nationaltheater. Bis vor das Smetana-Museum bringt uns die Straßenbahn zwar nicht, das wäre die Linie gewesen, die vor der Brücke rechts abbiegt, aber das kurze Stück an der Moldau entlang ist angenehm zu laufen, und schon stehen wir vor dem Wegweiser, der nach links auf eine Uferterrasse weist. Hier muss es sein! Der hintere Teil der Terrasse ist bestuhlt und gehört zu einer Kneipe. Müssen wir hier durch? Es sieht eher nach Sackgasse aus. Oder durch das Lokal zur anderen Gebäudeseite? Nein, auch nicht. Fragen hilft aber und ergibt: die Sackgasse wäre richtig gewesen, die unscheinbare kleine Glastür hinten, gleich neben dem letzten Tisch, ist das Museum. Oben, im ersten Stock.

Zwischen dem zuletzt besuchten Museum und diesem hier liegen, was die Ausgestaltung betrifft, Welten. Auch hier gibt es einen Flügel, eine Büste, ein gemaltes Porträt und einige persönliche Gegenstände wie etwa die Brille des Komponisten, aber eben auch ausgiebige und mit Bildern aufgelockerte Dokumentationen an den Wänden. Und es gibt Notenpulte, auf denen jeweils ein Werk aufliegt. Die Aufsicht führende Dame zeigt uns, wie es funktioniert: man richtet den Zauberstab, den sie uns überreicht, auf den Empfänger unten am Pult, und schon springt (nach einigen Versuchen) die raumfüllende Wiedergabe des Werkes an. Wir hören die Moldau, mit Blick auf die Moldau.

Im Museum war wenig Publikumsverkehr. Wieder draußen auf der Straße, ändert sich das. Denn wir befinden uns genau im touristischen Brennpunkt zwischen Karlsbrücke und Rathausplatz.

Für den Abend haben wir wieder Opernkarten, dieses Mal für das andere große Opernhaus. Gegeben wird, welch glückliche Fügung, die bekannteste der Dvořák-Opern, nämlich „Rusalka”. Die Geschichte um die Wassernixe und ihre leidvollen Erfahrungen mit der Menschenwelt ist klassisch inszeniert, mit prächtigen Bühnenbildern, die sich mit dem ebenfalls prächtigen neobarocken Erscheinungsbild der Staatsoper zu einem Gesamtkunstwerk vereinen, wie es wohl auf der ganzen Welt kein zweites gibt. Wir teilen unsere zu beiden Seiten hin geschlossene Loge zunächst mit zwei jungen Tschechinnen, deren Interesse an der Aufführung allerdings nicht sehr ausgeprägt ist, und die nach der ersten Pause auch wieder verschwunden sind.

Bemerkenswert an diesem Opernbesuch war übrigens auch, wie wir zu unserer Loge geleitet wurden. Normalerweise zeigt man ja seine Karte und wird dann zur richtigen Seite und auf die richtige Treppe verwiesen. In unserem Fall in den zweiten Rang rechts, Loge 13. Die Dame oben meinte dann aber, wir seien hier falsch und müßten wieder eine Etage nach unten. Gesagt, getan. Unten wurde uns die Loge aufgeschlossen, und wir hatten bereits Platz genommen, als eine weitere Besucherin mit ebenfalls Platznummer 1 hereinkam. Erneutes Vorzeigen der Karten, erneutes Verweisen auf den Rang und die Loge eine Etage weiter oben, dann stimmte endlich alles.

Category: Allgemein, Prag 2023
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