Die kleine Insel Saint Lucia, in deren ebenfalls kleinen Hafen wir heute morgen rückwärts eingeparkt haben, kann ihre britischen Wurzeln nicht verleugnen und will es auch gar nicht, auch wenn sie seit nunmehr 44 Jahren ein eigener kleiner Staat ist. Man erkennt ihre Zugehörigkeit zur britischen Krone allein schon am Wetter, denn als wir das Schiff verlassen, stehen wir draußen erst einmal im Regen. Allerdings nicht sehr lange. Die Lucianer haben da nämlich eine ganz praktische Erfindung: man geht bei Regen einfach ins Empfangsgebäude, setzt seinen Namen auf ein Einreiseformular, und wenn man das Gebäude dann wieder verläßt, scheint die Sonne.
Weil Saint Lucia eine relativ kleine Insel ist, sind auch die Busse klein. Unserer hat die Nummer 8, und es passen gerade einmal 16 Leute hinein. Natürlich wird hier, auch das deutet auf die britischen Wurzeln hin, auf der richtigen Straßenseite gefahren, nämlich auf der linken. Eigentlich aber in der Straßenmitte, denn mehrspurige Straßen scheint es hier nur in der Hauptstadt Castries zu geben. Vorbei am Parlamentsgebäude, der Landesbank, dem Justizpalast, dem Regierungssitz und all den anderen Institutionen, die eine Hauptstadt nun einmal braucht, gelangen wir schon bald in die höher gelegenen Inselteile. Saint Lucia – das man übrigens britisch ausspricht, also Sähnt-Luhscha – ist nämlich eine gebirgige Insel mit viel Regenwald an den Abhängen der alten Vulkane, von denen der Mount Gimie mit 950 Metern der höchste ist. Der Name des Berges wie auch der anderen Orte entlang der Steilküste ist offenbar französischen Ursprungs, vielleicht weil die Insel in unmittelbarer Nachbarschaft zweier ebenfalls französischer Inseln liegt, die wir ja nun schon kennen: die Schiffsroute muss jemand geplant haben, dem es bei der Reihenfolge auf etwas ganz anderes ankam als auf die geographische Lage im Inselbogen.
Wieder einmal ist alles so vorgeplant, dass keiner der Reisegäste versehentlich im falschen Bus landen kann. Die Busnummer steht nämlich auf dem Voucher, der uns gestern in die Kabine gelegt wurde. Da man aber als quasi Einreisender nicht einfach zum Bus gehen kann, werden vorab Gruppen gebildet wie einst beim Kindergartenausflug. Nur an den Händen fassen müssen wir uns nicht. Oben am ersten Ausflugsziel, einem Anwesen im kolonialen Stil mit einer herrlichen Terrasse, von der aus man das Schiff im Hafen liegen sehen kann, werden die Busnummern vor dem Aussteigen noch einmal eingeübt: „Unser Bus hat die Nummer acht. Welche Nummer hat unser Bus?” Und aus sechzehn Kehlen schallt es im Chor zurück: „Acht!”. Warum das wichtig ist? Weil es im Haus für jeden Gast einen Becher Rumpunsch gibt.
Das heute recht aprilhafte Wetter bleibt uns weiter treu, als wir erneut den Bus mit der (wichtig!) Nummer 8 besteigen. Abseits der Hauptstadt scheint die ganze Insel nur aus Bergdörfern zu bestehen, die durch schmale, kurvenreiche und manchmal auch recht steile Sträßchen miteinander verbunden sind. Auch unser nächstes Ausflugsziel liegt so, dass wir von der Terrasse unser Schiff sehen können, wenn auch die Entfernung inzwischen deutlich zugenommen hat. Es gibt allerlei Batikarbeiten zu bewundern und auch zu kaufen, aber das Interesse gilt eher dem wunderschönen Ambiente hier oben, mit einer üppigen Vegetation, die regenfeucht in der tropischen Sonne glitzert.
Dritte und letzte Station ist eine kleine Anzuchtfarm für allerlei Nutz- und Heilpflanzen. Da uns soeben wieder ein Regenschauer ereilt, genießen wir die kleine Maniokbrot-Zubereitung und die Vorführung einheimischer Folklore unter schützenden Dächern, ehe wir dann doch noch einen kleinen Streifzug durch den Garten unternehmen können. Die Früchte, die hier angebaut werden, sind uns Europäern durchaus vertraut. Hier im karibischen Hinterland erfahren wir, wie die zugehörigen Bäume aussehen: Zimt, Muskatnuss, Kakao, Cashew, Sternfrucht, Noni. Ganz zum Schluss dürfen wir noch etwas vom nunmehr ausgebackenen Manjokbrot probieren. Mit Bananen-Ketchup.
Das Metropolitan-Theater ganz vorne im Schiffsbug hat rund 900 Sitzplätze und wird mit täglich wechselndem Programm je dreimal bespielt. Man kann sich also, wenn man Lust hat, jeden Abend eine andere Show gönnen. Heute steht ein buntes Piratenstück auf dem Programm, und es treten Künstler der verschiedensten Couleur auf, vom Zauberkünstler über ein Artistenpaar und diverse Piraten und Elfen bis hin zum Tyrannosaurus Rex.