Die Amazonas-Metropole hat ihre besten Zeiten lange hinter sich, aber die einstige koloniale Pracht ist zwischen verwitternden Fensterrahmen, bröckelndem Putz und dicken Kabelbündeln im Straßenbild durchaus noch wahrnehmbar. Und es gibt hier ein Opernhaus, das Teatro Amazonas von 1896. Das sieht wiederum gar nicht heruntergekommen aus, sondern erstrahlt frisch renoviert. Natürlich möchten wir es auch von innen sehen und buchen eine halbstündige Führung.
Auf der Bühne wird gerade geprobt, denn heute abend soll ein öffentliches Konzert stattfinden. Die Musik und der eigenwillig-exotische architektonische Schmuck erschaffen hier eine einzigartige Atmosphäre, die sich auch in das obere Foyer hinein fortsetzt. Der Engel im Deckengemälde richtet – wie die Mona Lisa – den Blick immer zum Beobachter, egal an welcher Stelle man steht. Die Wände zieren Gemälde mit Bezug zur Region: eine Flußlandschaft mit Schiff, ein Jaguar, das Liebespaar aus der brasilianischen Version von Romeo und Julia. Die Hölzer für das Parkett wurden, obschon Manaus ja von üppigem Tropenwald umgeben ist, aus Europa importiert, vermutlich verschmähen amazonische Termiten die gute deutsche Eiche.
Teatro Amazonas von Rainer Göttlinger auf Vimeo.
Schade, daß wir heute abend nicht mehr hier sein werden. Andererseits waren die Proben so schaurig, daß das zumindest im Hinblick auf den Kunstgenuß kein großer Verlust sein dürfte.
Was bleibt uns, abgesehen von der Rio Negro Kreuzfahrt und dem Opernhaus, in besonderer Erinnerung? Natürlich unsere Ankunft vor nunmehr drei Tagen zur mitternächtlichen Stunde, als sich gleich mehrere Fernsehkameras auf die ankommenden Passagiere richteten. Natürlich galt die Aufmerksamkeit nicht uns, sondern dem mit uns gereisten Weltmeister in der Disziplin „Mixed Martial Arts”. Grundkenntnisse dieser in Deutschland völlig unbekannten Kampfsportart wären angesichts der drohend näherrückenden Front kreischender Jugendlicher mit gezückten Kameras durchaus nützlich gewesen, um uns und unserem Gepäck den Weg freizukämpfen. Von ohrenbetäubender Sambamusik begleitet entrannen wir schließlich der Ankunftshalle.
Es dürfte auf der Welt nur wenige Länder geben, in denen ein Inlandsflug vier Stunden dauern kann. Wir hatten das Vergnügen auf der Strecke von Rio nach Manaus. Und mit der GOL, der innerbrasilianischen Linie, ist Fliegen auch ein bißchen wie Bahn fahren. Einschließlich Verspätungen. Man bekommt auch nichts zu essen und zu trinken, erst recht nicht, wenn es von Flughafen zu Flughafen nur jeweils eine Stunde dauert. Dafür kann man aber – ebenfalls bahn-typisch – einfach sitzen bleiben bis zum Ziel. Und dieses Ziel heißt heute São Luís.
Die Pousada ist ein altes koloniales Herrschaftshaus mit dem Flair des Verfalls. Und WLAN auf allen Zimmern. Brasilianische Kontraste.