Am Nordkap

Um die Insel Magerøya zu erreichen, deren Nordspitze man zum nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes erklärt hat, braucht man weder Schiff noch Brücke, denn es gibt seit 1999 den Nordkaptunnel unter der Meerenge hindurch. Die Norweger nennen ihn „Fatima”, das steht für „Fastlandsforbindelse til Magerøya“.

Die Landschaft hat sich während der heutigen Fahrt mehrmals verändert. Und das lag nicht am Wetterwechsel von bedeckt auf Regen und dann wieder auf stark bewölkt mit sonnigen Abschnitten. Und auch nicht am Grenzübertritt von Finnland nach Norwegen.

Fuhren wir anfangs noch durch eine locker bewaldete Region mit vielen Seen, wurden die Bäume später immer seltener und die Berge immer höher. Inzwischen gibt es ringsum praktisch nur noch Moose und Flechten und vereinzelt auch Wollgras oder Zwergsträucher mit bunten Beeren. Und sogar ein paar Rentiere konnten wir erspähen.

Im Museum von Inari geht es um die Kultur und den Lebensraum der Sami. Eineinhalb Stunden waren für diesen Besuch veranschlagt, und die braucht man auch. Eigentlich sogar noch mehr, denn jeder Aspekt ist nicht nur liebevoll mit schönen Exponaten dargestellt, sondern auch ausführlich und in vielen verschiedenen Sprachen beschrieben. Bleibende Eindrücke hinterlassen auch die raumhohen, hinterleuchteten Fotos der umgebenden Landschaft zu allen Jahreszeiten sowie die Dioramen mit lebensechten Tieren: Bär, Polarfuchs, Schneehuhn, Lemming und noch viele viele andere.

Die Sami haben in drei der vier Staaten, die den Norden Skandinaviens unter sich aufgeteilt haben, ein eigenes Parlament, wo sie Beschlüsse fassen, die für die Regierungen in Stockholm, Oslo und Helsinki aber nicht bindend sind. Immerhin werden ihre Interessen jedoch gehört und in der Regel auch ernst genommen. Das Parlamentsgebäude in Karasjok sieht wie ein Nomadenzelt aus – und ist heute geschlossen. Als Ersatz böte sich das Samische Museum an, das aber zur Überraschung der Reiseleiterin ebenfalls geschlossen hat, obwohl die Website etwas anderes behauptet. Nun werden auch wir zu Nomaden und teilen dieses Schicksal mit einer anderen Gruppe in einem anderen Bus, die ebenfalls auf der Suche nach einem Ort für die Mittagspause herumirrt.

Und dann geht es nach dem Abendessen endlich hinauf an den Sehnsuchtsort mit der markanten stilisierten Weltkugel. Warum die gut halbstündige Fahrt erst für 9 Uhr abends geplant ist, wo doch um 21.03 Uhr die Sonne untergeht, weiß wohl nur der Reiseveranstalter. Immerhin schaffen wir es, ein paar Minuten früher zu starten.

Man muss freilich wissen, dass Sonnenuntergänge in diesen hohen Breiten sehr lange dauern. Und so ist es dann auch: eindrucksvoll steht der Globus vor einem flammend roten Himmel, man kann sich gar nicht satt sehen. Natürlich sind auch andere Menschen da, und alle wollen sie mit dem Nordkap-Denkmal fotografiert werden. Aber das stört die besondere Stimmung nicht im geringsten. Zur Feier des besonderen Augenblicks gibt es für jeden einen Aquavit oder, wie ich sage, Rentierfutter im Glas, denn er wird ja aus Islandmoos gewonnen.

Zwei Stunden nach Sonnenuntergang ist der Himmel an der Stelle, wo sie versunken sein muss, immer noch tiefdunkelrot. Und das ist genauso faszinierend wie eine Mittsommersonne, die überhaupt nicht untergeht. Zudem ist der Bereich um das Denkmal herum nun so gut wie menschenleer. Das Nordkap erleben ist eine Sache, es so erleben wie wir heute eine andere. Dankbar nehmen wir Abschied und fahren über die nächtliche Insel zurück ins Hotel nach Honningsvåg.

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