Hungrige Hirsche

Man soll ja bekanntlich frühstücken wie ein König, zu Mittag essen wie ein Bauer und abends wie ein Bettler. Vor allem für Rundreisende ist das eine recht praktische Einstellung, denn die Hotels bieten ja in der Regel ein recht ausgiebiges Frühstück an, während man mittags und abends seine Aufmerksamkeit lieber den Sehenswürdigkeiten widmet als der lokalen Gastronomie. Dass man vom Personal begrüßt und nach der Zimmernummer gefragt wird, ist dabei normal. Nicht aber die individuelle Begleitung bis an den Tisch. Natürlich verlängert dieser Service bei größerem Andrang ganz erheblich die Wartezeit vor dem Tresen.

Hat man dann seinen Platz zugewiesen bekommen, stellen sich Tag für Tag dieselben Fragen: wo steht der Kaffee? Wo die Getränke? Und vor allem: wo das Brot? Die Japaner lieben natürlich alles, was man mit Stäbchen essen kann, und so gibt es von alledem eine reichhaltige Auswahl. Allein das Brot führt an japanischen Frühstücksbuffets ein eher versteckten Dasein.

Überraschend anders als zuhause sind auch die Washlet-Toiletten mit ihren vorgewärmten Sitzbrillen und der Bidetfunktion samt elektronisch justierbarem Wasserstrahl. Im Hilton Hotel von Hiroshima hatten wir sogar eine, deren Deckel sich automatisch öffnete, wenn man das Kabinett betrat. Mit ihren LED-Lämpchen und den Knöpfen für Wassermenge, Brillenabsenkung und all den anderen Funktionen hätte sie es zudem mit jedem WLAN-Router und jeder Stereoanlage aufnehmen können.

Außer über ein solches Defäkations-Wunderwerk verfügte das Hilton Hotel auch noch über den größten Fernsehschirm, den wir je in einem Hotelzimmer hatten. Erwartungsgemäß konnten wir aber dem japanischen Programm wenig abgewinnen und versuchten uns daher an der Youtube-Funktion. Weder Fernseher noch Videoportal waren aber auf englischsprachig umschaltbar, was vielleicht daran gelegen haben könnte, dass die betreffende Taste ebenfalls nur japanisch beschriftet war. In diesem Land sind wir Analphabeten.

Heute reisen wir nach zwei Handgepäck-Tagen wieder mit Koffern, Fahrtziel ist das Städtchen Nara. In Japan nimmt man es mit dem Lärmschutz entlang der Autobahnen übrigens sehr genau, man sieht deshalb nur recht selten hinaus in die Landschaft. Gelegentlich sorgen jedoch die Mautstationen für Unterhaltung: die Reisebusse haben zwar Elektronik an Bord, dennoch gibt es in jeder Durchfahrt eine kleine rot-weiße Schranke, die sich öffnet, wenn das Fahrzeug vom System erfaßt wurde. Das passiert aber immer erst im allerletzten Moment.

Nach einer längeren Fahrtstrecke mit zwei Pausen erreichen wir Nara kurz nach 13 Uhr. Unter anderem dürfen wir hier die größte bronzene Buddhastatue der Welt bestaunen. Der zugehörige Tempel ist von einem Park umgeben, in dem wir erneut von zahmen, auf Futter hoffenden Sika-Hirschen belästigt werden. Was sie sich wohl dabei denken, wenn die Besucher ihnen ihre Smartphones vor die Nase halten? Die schmecken doch überhaupt nicht.

Category: Allgemein, Japan 2023
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