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Die Stadt mit dem Fürther Rathaus

Frühmorgens um 12 Uhr brechen wir wieder auf, dieses Mal aber in die andere Richtung, denn heute ist Florenz angesagt. Ursprünglich hatten wir ja die Absicht, uns von der Gruppe abzusetzen und die berühmten Uffizien zu besuchen, aber in dieser Rechnung waren uns dann doch zu viele Unbekannte: unsichere Uhrzeiten, eine Gehstrecke unbekannter Länge, ein zu kleines Zeitfenster und natürlich die erbarmungslose Hitze. Es bleibt also bei einem Rundgang mit der Stadtführerin, die uns am Dom und am Dante-Turm vorbei zum Rathausplatz führt. Warum haben die Florentiner damals eigentlich das Fürther Rathaus nachgebaut? Egal, dort drüben steht jedenfalls der berühmte David.

Der Platz sei heute angenehm leer, stellt die Stadtführerin fest und verabschiedet sich. Ab hier sind wir auf uns allein gestellt.

Damit die vielen Touristen Florenz nicht mit leer getrunkenen Wasserflaschen zumüllen, denn in Italien kennt man kein Flaschenpfand, haben die Stadtoberen an die Wand des Rathauses einen Trinkwasserbrunnen gebaut, rechts für stilles und links für sprudelndes Aqua minerale. Das schattenlose Wartenmüssen in der Schlange vermehrt den Durst allerdings auch gewaltig, so dass der eine oder andere seine Flasche füllt, an Ort und Stelle austrinkt und dann gleich noch einmal nachfüllt.

Wir setzen uns zum Trinken auf eine Steinbank ganz in der Nähe. Neben uns ist noch ein Sitzplatz frei. Nein, jetzt nicht mehr, denn jetzt hat eine chinesische Reiseleiterin ihren Rucksack abgestellt und packt hier für ihre Gruppe die Audiosets aus, umringt von etwa 20 Chinesinnen, die sich alle um die bewußte Bank herum scharen, mit uns beiden in der Mitte. Und natürlich hat jede der fernöstlich aussehenden und sprechenden Schönheiten irgendeine Frage, man kennt das ja. Was für ein Geschnatter! Als sie weg sind, brechen wir kurze Zeit später ebenfalls auf und laufen zu der Stelle am Ufer des Arno zurück, wo vielleicht schon der Bus steht. Nein, wir sind viel zu früh dort, während der Bus sich wiederum verspätet. Zum Glück finden wir einen heute unbewirtschafteten Imbißstand und können uns im Baumschatten an einen der Tische setzen.

Das heutige Abendessen im Hotel ist das erste, für das wir uns vorher umziehen und frisch machen können: am ersten Abend waren wir erst kurz vor 20 Uhr da, die beiden Operntage wiederum verbrachten wir abends auswärts. Beim Frühstück war heute eine Menüliste herumgereicht worden mit Wahlmöglichkeiten beim ersten Gang. Da sich aber einige Gäste für keines der beiden Gerichte erwärmen konnte, hatte die Wirtin handschriftlich „Pomodori“ darunter gesetzt. Also Tomaten.

Eigentlich würden wir gerne noch einmal den sympathischen Gelatiero aufsuchen, aber heute ist Sonntag, und als wir vorhin mit dem Bus dort vorbeigekommen waren, hatte die Eisdiele geschlossen. Schade. Denn leider ist der heutige Abend ja auch schon wieder der letzte dieser Festivalreise, und wir werden vor dem Schlafengehen noch einmal daran erinnert, dass pünktlich um 8 Uhr alle Koffer im Bus sein müssen, geordnet nach Aussteigezielen. Wir natürlich auch. Geordnet wie immer: erste Reihe, Fahrerseite.

Nachtrag

Die Heimreise verläuft weitgehend ereignislos, wenn man von der kleinen Panne mit dem Würstchenkocher absieht: der hatte sich nämlich während der Fahrt wieder abgeschaltet, und so dauert es an der Raststätte einige Zeit, bis jeder seine Ration in der Hand halten kann.

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Avete già un biglietto?

Nach einer relativ kurzen Nacht könnten wir das Frühstück getrost auch weglassen, denn für 12 Uhr ist heute im Hotel ein Mittagessen angesetzt. Wir frühstücken trotzdem. Die Wirtin spricht fließend deutsch mit Oberpfälzer Einschlag, denn ihre Mutter stammt aus Waldsassen. Wo es ihr denn besser gefiele, in Italien oder in Deutschland? Letzteres, sagt sie, aber ihr Mann will nicht weg von hier. Verständlich, denn die Toskana ist wirklich eine zauberhafte Region. Und weil sie deutsch spricht, kann man sie auch necken: fragt sie etwa beim Übergeben des leer gewordenen Kruges „ist das Sojamilch?”, antworte ich scherzhaft „nein, Luft”. Ok, ich sehe es ein: gestreßtes Personal ist dieser Art von Humor abhold.

Zum Mittag gibt es Lachs. Ohne Gummiband. Frisch gestärkt brechen wir sodann nach Lucca auf. Das ist ein malerisches Städtchen auf halber Strecke zwischen Montecatini und Torre, wo wir auch heute wieder einer Opernvorstellung beiwohnen werden.

Der Parkplatz für Reisebusse befindet sich auch in Lucca weit außerhalb der Stadtmauern, bei 40 Grad im Schatten kämen wir alle völlig erschöpft am Dom an, denn der liegt vom Parkplatz aus gesehen am jenseitigen Rand der Kernstadt. Thomas hat aber eine bessere Idee und setzt uns an jenem Stadttor ab, das dem Dom am nächsten liegt.

Wir beide wollen aber gar nicht zum Dom, sondern zum Geburtshaus Puccinis, das sich ziemlich genau im Zentrum des Zentrums befindet. Was würden wir nur ohne das Smartphone-Navi machen? Wir müßten dann ja den vielen Wegweisern zum Casa natale folgen. Wie dem auch sei, wir finden das von außen eher unscheinbare Gebäude und – es ist abgeschlossen! Wieso das denn? Sollen wir klingeln? Ein Täfelchen neben der Tür verweist auf das Ticket Office, das sich an der gegenüberliegenden Seite des Platzes befindet. Aber wie geht es nun weiter? Die Tür zum Puccinihaus ist ja nach wie vor verschlossen? Händigt man uns vielleicht einen Schlüssel aus? Des Rätsels Lösung: wir mögen bitte klingeln.

Es ist ein wenig wie in einem alten Roman oder Film: man wird nach einem Losungswort gefragt, und nur wer die richtige Antwort weiß, wird eingelassen. Im unserem Fall heißt die Frage „Avete già un biglietto?” und die Parole „Si!”. Für uns Touristen spielt sich dieser Dialog natürlich auf englisch ab. Wie viele hier wohl täglich unbedarft anläuten und dann erst einmal wieder weggeschickt werden müssen?

Die Wohnung, in der der große Komponist 1858 geboren wurde und eine glückliche Kindheit und Jugend verlebte, liegt oben im zweiten Stock. Einen Aufzug gibt es nicht, für den Notfall aber einen Treppenlift. Zwei freundliche Bedienstete, ein Mann und eine Frau, überprüfen noch einmal unsere Tickets und händigen uns je ein beidseitig bedrucktes Blatt in deutscher Sprache aus, dann dürfen wir den Raum betreten, dessen Schaustück Puccinis Steinway-Flügel ist. Auf diesem Instrument wurde Turandot komponiert: die Oper, die wir heute abend sehen werden. Dass Puccini kurz vor der Vollendung dieses Werkes an Kehlkopfkrebs verstorben ist, wissen wir bereits. Und auch, dass sich sein Todestag heuer zum hundertsten Mal jährt. Er war also gerade einmal 66 Jahre alt geworden

Es folgen viele weitere Räume, die fast alle eines gemeinsam haben: zentrales Ausstellungsstück ist ein Kostüm aus einer seiner Opern, eines schöner wie das andere. Nur einmal nicht, da füllt das Bett seiner Eltern den gesamten Raum aus. Aber sogar in das kleine Ankleidezimmer nebenan hat man ein textiles Outfit gestellt, in diesem Fall die Abendrobe des Meisters persönlich. Und einen anderen Raum hätten wir beinahe übersehen, denn neben dem Durchgang zur Treppe prangt ein Schild mit stilisierten Männlein und Weiblein. Das kennt man ja irgendwie. Allerdings sind es deren vier, was dann doch Anlaß genug ist, auch den Text zu lesen: es dürfen nur vier Personen gleichzeitig in den Raum, der einst die Dachkammer war und heute daher folgerichtig eine Szene aus La Bohème zeigt.

Bevor wir wieder hinaus ins Foyer treten, wo in einem gesonderten Raum das mit Abstand schönste aller Kostüme ausgestellt ist, kommen wir noch am Grammophon vorbei. Nanu, fehlt bei diesem Gerät etwa der so typische Schalltrichter? Mitnichten, aber er befindet sich im Inneren des Möbels, unterhalb des Plattentellers. Unsereiner möchte natürlich sofort wissen, welche Platte da aufliegt: es ist „E lucevan le stelle” (Und es leuchteten die Sterne) aus Tosca, gesungen von Enrico Caruso. Schade, dass die Aufnahme nicht abhörbar ist. Dafür dürfen wir aber ausgiebig das bereits erwähnte Bühnenkostüm bewundern, das die Sopranistin Maria Jeritza bei der Erstaufführung an der New Yorker Metropolitan Opera trug. 1926 war das, ein halbes Jahr nach der Uraufführung an der Mailänder Scala.

Ob wir es nach diesem unerwartet ausgiebigen Museumsbesuch noch zum Dom schaffen? Es sind knapp 10 Minuten Wegstrecke bis dorthin und dann noch einmal 10 Minuten bis zum Bus, der in genau einer halben Stunde an der uns bekannten Stelle wieder abfahren soll. Einen Versuch ist es wert! Wir bewundern den Dom aber nur von außen, denn für einen kurzen Blick ins Innere Eintritt zu bezahlen will mir unökonomisch erscheinen. Auch das berühmte sogenannte Fingerlabyrinth an einer der Säulen der Vorhalle ließe sich mit etwas Geduld sicher lösen, aber die Zeit drängt, und Punkt 16 Uhr sitzen alle im Bus. Alle bis auf zwei, denn die hatten sich verlaufen.

Den Weg nach Torre del Lago und zum Busparkplatz kennen wir ja nun schon. Was wir noch nicht kennen, zumindest nicht von innen, ist Puccinis Wohnhaus am See, wo es ihm so ausgesprochen gut gefiel, weil er hier seiner Jagdleidenschaft nachgehen konnte, und wo er eigentlich alt werden wollte. Aus zwei Gründen gelang ihm das nicht: zum einen, weil man ihm ein lautes und häßliches Kraftwerk direkt vor den Garten stellte. Und zweitens, weil er fortan nicht mehr lange zu leben hatte.

In einer Führung dürfen wir das Haus kennenlernen. Eigentlich ist unsere Gruppe aber zu groß für ein Wohnhaus wie dieses, und wir sehen das Förster-Klavier nur von weitem. Puccini liebte dieses Instrument so sehr, dass er sich eine Grabstätte Wand an Wand damit wünschte. Dieser Wunsch wurde ihm später tatsächlich auch erfüllt, sein marmorner Kenotaph steht an der Wand der kleinen Hauskapelle, die unmittelbar an das Klavierzimmer angrenzt. Und wird es gespielt, kann er das in seiner Gruft in der Wand sicher hören, genau wie seine Frau, sein Sohn, seine Schwiegertochter und seit ein paar Jahren auch seine Enkelin.

Für heute abend steht nun also Turandot auf dem Spielplan der Seebühne. Da wir bis zum Vorstellungsbeginn wieder etwas Zeit haben, wollen wir uns im Café einen Eiskaffee gönnen. Aber der italienische Kellner versteht nicht so recht, was wir da bei ihm bestellen möchten, und so serviert man uns schließlich zwei Gläser kalten Kaffee mit Eiswürfeln darin.

Turandot ist ein Dreiakter, der zweite und der dritte Akt haben jeweils zwei Bilder. Es geht in der Oper um eine schöne chinesische Prinzessin, die jeden Freier köpfen lässt, der ihre drei Rätsel nicht lösen kann. Soeben ist wieder einer durchgefallen, der dreizehnte in diesem Jahr. Ping, Pang und Pong, die Minister des Kaisers, sowie auch der Vater, dessen Sklavin Liù und sogar der Kaiser selbst versuchen Prinz Calàf, der ebenfalls den Bewerbungsgong schlagen will, von seinem Plan abzubringen, aber vergebens.

Gegen Ende des zweiten Aktes geschieht das Unglaubliche: der fremde Prinz kann alle drei Rätsel lösen. Nun aber zickt die Prinzessin herum und will, obschon sie im Wort steht, ihren Teil der Abmachung nicht erfüllen. Man einigt sich darauf, dass sie ihrerseits eine Aufgabe gestellt bekommt: sie soll den Namen des Fremden herausfinden und betraut nun ihre Wachen damit, die Sklavin zu foltern, da sie die einzige ist, die ihn kennt. Aus Liebe zum Prinzen und um ihn nicht unter der Folter doch noch zu verraten, erdolcht sich das Mädchen. Das ist aber eigentlich schon die Handlung des dritten Aktes, dem gestern bei Tosca eine halbstündige Pause vorausgegangen war.

Eigentlich sollte jetzt auch noch ein Happy End folgen, stattdessen verbeugen sich unerwartet die Darsteller zum Schlussapplaus. Dann geht das große Licht an, und der Mann am Lichtmischpult deckt sein Lichtmischpult zu. Alle bleiben betreten sitzen: warum dieses plötzliche Ende? Ich erinnere mich gelesen zu haben, dass Puccini verstorben war, bevor er die Oper zu Ende komponiert hatte. Und genau dieses vorzeitige Ableben des Maestro hatte die Aufführung nun nachvollzogen, den fremd hinzu komponierten Schluss weglassend.

Statt erwartungsgemäß noch etwas länger zu dauern als gestern ist die Aufführung unerwartet so früh zu Ende, dass die ersten Rückkehrer den im Bus schlafenden Busfahrer wecken müssen. Und so geht dieser Abend ähnlich zu Ende wie der letzte: mit einem Absacker aus dem Kühlfach des Busses, während dieser über die Autostrada unser Quartier ansteuert.

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Zerbröselndes und Schiefes

Grund unserer Reise sind die Puccini-Festspiele in Torre del Lago, die dortige Seebühne liegt etwa eine Stunde Fahrzeit vom Hotel entfernt. Wir haben aber viel Zeit, sehr viel sogar. Denn die Vorstellung beginnt erst eine Viertelstunde nach Neun. Als Vorprogramm werden wir Pisa und den Schiefen Turm besichtigen. Allerdings auch erst relativ spät, damit bis zu unserer Rückkehr am sehr späten Abend für den Busfahrer nicht mehr Lenkzeit anfällt als erlaubt. Als Abfahrtszeit wird 12 Uhr 20 ausgerufen.

Verbringen wir die Zeit also im nahen Kurpark! Das Städtchen am Südhang des Apennin ist längst nicht mehr so mondän wie in der Epoche der Bäderreisen, als hier eine Therme neben der anderen um Gäste buhlte und deswegen auch attraktiver sein wollte als die Konkurrenz nebenan. Heute sind die Anlagen verfallen, die Häuser verwittern und zerbröseln allmählich, und überall breitet sich Grünzeug aus. Schade, dass man nicht hineingehen darf, um diese malerische Morbidität aus der Nähe zu studieren. Es wäre aber wohl zu gefährlich, und so müssen wir uns mit neugierigen Blicken über den Zaun begnügen.

Auch für einen Supermarktbesuch wäre noch etwas Zeit, schließlich haben wir heiße und durstige Tage vor uns. Aber wo? Das Smartphone führt uns zu einem Markt ganz in der Nähe, aber der hat seine Türen offenbar für immer geschlossen. Die Liebste fragt eine Italienerin, die gerade in ihr Auto steigt und einheimisch aussieht. Zu unserem Erstaunen erklärt sie uns in fließendem Englisch den Weg zum nächsten CONAD Markt und schätzt die Gehzeit bis dorthin auf 10 Minuten. Mille grazie! Zur Sicherheit befrage ich, als wir außer Sichtweite sind, noch einmal mein schlaues Gerät: 9 Minuten Fußweg. Das sollte zu schaffen sein und ist es auch. Das Personal bei CONAD ist ausgesprochen zuvorkommend, und die Preise günstig. Nun sind wir also für’s erste versorgt: mit Softgetränken, Birra und Aperol. Und auch der Fußweg durch die Stadt war durchaus angenehm, da es hier erstaunlich wenig Autoverkehr gibt. Wie machen die Italiener das nur?

In Pisa erwartet uns die gebuchte Stadtführerin, eine sympathische junge Frau, die offenbar in Deutschland aufgewachsen ist. Leider liegt der Busparkplatz ziemlich außerhalb. Teuer ist er trotzdem, aber was will man machen, die Vorschriften für Touri-Gruppen sind nun einmal so.

Der Stadtplan, an dem wir auf dem Weg zum Dombezirk kurz stehen bleiben, sieht von weitem wie der von Nürnberg aus: ein schiefes Rechteck, ein horizontal querender Flußlauf, und das Wichtigste befindet sich in der linken oberen Ecke.

Wir sind auf dem Weg zu jenem Campanile, der heute bei weitem nicht so berühmt wäre, hätten seine Baumeister im 12. Jahrhundert nicht buchstäblich auf Sand gebaut. Wie schräg er wirklich steht, der Schiefe Turm von Pisa, wird nirgendwo deutlicher wie an der Stelle, wo er mit der senkrechten Außenwand des Doms kontrastiert. Doch, eine weitere Stelle gibt es, und zwar direkt vor der Tür, die in das Turminnere führt. Das Gelände ist an dieser Stelle etwas eingetieft, und das sei auch der Grund, warum die Neigung in den letzten 150 (?) Jahren immer stärker wurde, heißt es, denn es fehle das stabilisierende Gewicht des Erdreichs. Ich selbst vermute ja einen anderen Grund, und zwar den Umstand, dass sich Regenwasser immer an der tiefsten Stelle sammelt und von dort ins Erdreich dringt. Wie dem auch sei, das bevorstehende Umfallen des Turmes konnte quasi im letzten Augenblick verhindert werden, und heute darf man ihn sogar wieder betreten: angesichts des Andrangs eine Geduldsprobe, und das bei 40 Grad im Schatten!

Zuletzt hatte man die Turmneigung so gut im Griff, dass man ihn durchaus auch wieder in die Lotrechte hätte bringen können, erzählt die Stadtführerin. Aber niemand in Pisa würde einen geraden Turm wollen. Und zudem ist das Bauwerk auch in sich selbst schief, da man die zunehmende Neigung schon während der Bauphase bemerkte und ihr durch unterschiedliche Säulenlängen entgegen wirkte. Auch die Zahl der Treppenstufen zur Glockenstube, dem obersten Turmabschluss, soll auf der geneigten Seite größer sein. Geläutet wurden die Glocken übrigens zum letzten Mal in den 1950er-Jahren, dann wurde die Angst um die Stabilität des Turms mächtiger als die Traditionen.

Dass Galileo Galilei seine Fallversuche vom Turm aus durchführte, sei eine unbestätigte Legende, sagt Stadtführerin Christina, denn das hätte Galilei in seinen Schriften sicherlich erwähnt („Hätte er das getan, dann hätte er das getan”).

Wie schwierig es in Pisa ist, Gebäude senkrecht in die Höhe zu bauen, zeigt sich auch am Dom. Man sieht es zwar nicht auf den ersten Blick, aber der Kronleuchter hängt keineswegs genau mittig. Und was mögen sich die Baumeister wohl gedacht haben, als sie die Marmorfiguren unter der Kanzel so einbauten, dass die Heiligen in Richtung Wand schauen? Hatte ihnen die sommerliche Hitze die Sinne vernebelt? Wohl kaum, denn im Dom ist es angenehm kühl.

Neben Turm und Kirchenschiff gibt noch ein drittes markantes Bauwerk auf dem Domplatz: das achteckige Baptisterium. Der Bau war nötig geworden, weil Ungetaufte nicht in die Kirche durften. Wie also hätte man sie da in der Kirche taufen sollen?

Wie erfindungsreich die Toskaner sind, erfahren wir wenig später im nahen Viageggio, wo wir eine späte Mittagspause – im Leitner-Jargon Freizeit – einlegen. Nachdem alle ein wenig flanieren waren, und obwohl es Alternativen gegeben hätte, findet sich die halbe Reisegruppe in der nahen Pizzeria ein, die ohne unsere Gruppe heute einen schlechten Tag gehabt hätte, denn wir waren die einzigen Gäste. Das WC dieses Lokals befindet sich oben im ersten Stock, wo auch die Möwen hausen. Wie man am Waschbecken das Wasser aufdreht? Nun, es gibt unten zwei Fußhebel: einen roten und einen blauen. So muss man, gänzlich ohne Elektronik, mit seinen sauberen Händen nichts mehr weiter anfassen.

Von hier bis zur Seebühne nach Torre del Lago ist es jetzt nur noch ein Katzensprung, zumindest theoretisch. Denn das Navi kommt wohl nicht so recht mit den Abmessungen eines Reisebusses klar. „Der PKW kam auch durch” bemerkt die Liebste trocken, als wir aus einer engen Straße mit einer noch engeren Unterführung rückwärts wieder heraus rangieren müssen.

Einmal noch nach links abbiegen, dann sind wir auf der Zielgeraden zum See. Aber wie – Stichwort Platanen? Nach rechts herum geht es aber. Jetzt käme ein Kreisverkehr gelegen, aber immer wenn man einen solchen braucht, kommt keiner. Man sollte für solche Fälle immer einen Reserve-Kreisverkehr im Handschuhfach haben. Nach mehreren Kilometern ist es schließlich so weit, wir umrunden den einzigen Kreisel weit und breit, und nun sollten wirklich keine Hindernisse mehr auftauchen.

Als die Straße schließlich vor einer Schranke endet, fragt der dortige Platzanweiser in geschliffenstem Schwyzerdütsch zum Fenster herein, warum wir denn nicht auf dem Busparkplatz parkiert hätten? Busparkplatz? Tatsächlich wäre da irgendwo ein Verkehrszeichen gewesen, aber das ehemals blaue Schild hatte sich längst wie ein Chamäleon der Umgebung angepaßt. Also Busparkplatz! Schließlich wollten wir uns ja alle noch operngerecht umziehen, und das wäre an der Stelle, wo wir zum Aussteigen nur 5 Minuten hätten stehen bleiben können, nicht möglich gewesen.

Am Ende dieses langen Tages und nach zwei weiteren langen Stunden bis zum Vorstellungsbeginn sitzen wir dann also tatsächlich im Stadion, wo gleich der Wettkampf … Späßle, vor uns liegt die Seebühne, auf der gleich eine Aufführung von Puccinis „Tosca” beginnen wird. Ohne Seeblick, denn es ist bereits ziemlich dunkel. Dafür aber mit Mondsichel zur rechten.

Im ersten Akt trifft der politische Gefangene Angelotti in einer Kirche auf seinen Freund, den Maler Cavaradossi, der ihn in der Sakristei versteckt. Das weckt den Argwohn seiner Geliebten, die hinter alledem eine andere Frau vermutet. Der Irrtum wird aufgeklärt, aber Polizeichef Scarpia läßt den Maler, der Angelottis Versteck nicht preisgeben will, foltern und droht mit dessen Hinrichtung, sollte Tosca ihm nicht zu Willen sein. Die geht zum Schein darauf ein, erbittet aber ein Schriftstück mit der Begnadigung. Als sie es hat, erdolcht sie Scarpia. Der allerdings hatte sie betrogen, so dass die Hinrichtung am Ende doch noch erfolgt und Tosca vor Kummer von der Engelsburg springt. Irgend jemand stirbt eben immer in einer Oper, in dieser sind kurz vor Mitternacht sogar alle tot und die Oper zu Ende. Darauf trinken wir einen. Im Bus, auf dem Heimweg.

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Wohnen im zweiten Klavier

Der Tag unserer Anreise beginnt sehr früh, denn um rechtzeitig um 5 Uhr 40 an der Rothenburger Straße zu sein, müssen wir den allerersten Linienbus nehmen. Gibt es an der Haltestelle Gustav-Adolf-Straße, wo wir vom 69er in die U3 umsteigen wollen, einen Lift? Schon, aber irgendein Schlaukopf hat ihn auf die gegenüberliegende Seite der Kreuzung plaziert und auch nicht an Rolltreppen für einsteigende Kofferträger gedacht. Nun, wozu hat der Mensch zwei Arme? Drei Stationen weiter gäbe es eine Rolltreppe auch nach unten, aber die brauchen wir hier nicht, weil wir ja nach oben müssen. Jetzt noch ein Stück weit über holpriges Kleinpflaster, Straßenplaner scheinen nie Koffer bei sich zu haben, und schon stehen wir an der Stelle, wo uns der Leitner-Bus aufnehmen soll. Ist er das? Hinter der Scheibe liegt nur ein Willkommensgruß. Nein, das ist er nicht. Aber der nächste ist es. Rasch sind die Koffer verladen, bei uns Passagieren dauert das Procedere etwas länger, denn jeder hat seinen zugewiesenen Sitzplatz. Bevor aus den ersten Regentropfen ein gänzlich unerwarteter Wolkenbruch wird, sind aber zum Glück alle im Trockenen. Was für ein Wetter! Und der Busfahrer heißt Gerrit.

Wir haben bis Montecatini Terme eine lange Strecke vor uns, und die Lenkzeiten der Busfahrer sind streng reglementiert. Omnibus Kraus aus Forchheim, der für Leitner fährt, setzt daher einen Vorlader ein, der den Bus samt Insassen bis zu einem Übergabeplatz bringt. Vorher gilt es aber noch, in Allersberg weitere Mitreisende aufzunehmen. Personen mit Koffern warten auch in der Nähe von Rosenheim. Einer von ihnen ist der Fahrer, der uns in die Toskana bringen wird und am fünften und letzten Tag auch wieder zurück. E heißt Thomas und ist ebenso sympathisch wie unterhaltsam.

Offenbar verfügt der Bus über eine Kameradrohne auf dem Dach, denn ein Bildschirm zeigt Fahrzeug und Umgebung aus der Vogelperspektive. Aber es ist nur eine Collage aus vier Kamerabildern: vorne, hinten und an jeder Seite. So ausgerüstet, setzt Thomas den Reisebus damit sicherer zurück als unsereiner seinen PKW.

Auch die Zugestiegenen hätte beinahe noch der Regenschauer ereilt, der sich soeben über den abfahrbereiten Bus ergießt. Glück gehabt, wie auch schon bei unserem eigenen Zustieg.

Schnell nähern wir uns nun Innsbruck und der Brennerautobahn. Gleich hinter der Europabrücke gibt es einen Kettenanlegeplatz. Müssen die mitreisenden Damen ab hier ihre Perlenketten anlegen? Späßle. Wir gelangen staufrei nach Italien, wo es bei Trient die erste längere Pause gibt. Mit warmen Würstchen aus der bescheidenen Bordküche, denn die Verköstigung der Passagiere ist bei Leitner Programm. Es hätte übrigens auch Kaffee gegeben. Der Bierkeller befindet sich ganz vorne im Bus, ungefähr da, wo beim PKW das Handschuhfach ist. Und hält natürlich auch Wasser, Apfelschorle und Cola kühl.

Hand hoch, wer war schon einmal in Modena? Der Name des Städtchens ist jedem Italienreisenden vertraut, weil es die ganze A22 entlang als Ziel auf den Wegweisern steht. Heute entscheiden wir uns an deren Ende weder für Milano noch für Bologna, sondern verlassen die Autostrada und gelangen alsbald zu einem kleinen Betrieb, der Balsamico herstellt. Man braucht dafür drei Dinge: gekochte Weintrauben, Holzfässer und viel Zeit. Die teuren, 12 oder 25 Jahre gelagerten Sorten genießt man pur auf erlesenen Gerichten, den nicht ganz so edlen wird etwas Weinessig zugesetzt. Als Salatdressing sind sie natürlich allesamt viel zu schade.

Zwischen Bologna und Florenz haben die Italiener eine neue Autobahn gebaut. Obwohl es eigentlich schon eine gibt, und noch dazu eine sehr schöne, in die Berglandschaft des Apennin eingepaßte, mit vielen Brücken und Tunneln. Aber sie war eben nicht mehr leistungsfähig genug, und so kam man auf die Idee, eine völlig neu trassierte Direttissima zu bauen und die alte Strecke als Panoramica weiter zu betreiben. Stellenweise wird die bisher nach Süden führende Fahrbahn auch so umgebaut, dass jetzt beide nordwärts befahren werden. Und an einer Stelle liegen die beiden Trassen sogar vertauscht, so dass man die Gegenfahrbahn ein Stück weit zur Rechten hat statt zur Linken. Die Umbauten sind allerdings noch nicht ganz abgeschlossen.

Ob wir es wohl rechtzeitig zum Abendessen ins Hotel nach Montecatini Terme schaffen? Die Straßen des alten italienischen Städtchens sind eng und mit Platanen gesäumt, da kann ein so großer Reisebus nicht einfach abbiegen. Und weil Thomas noch nie hier war und auch seine beiden Navis, das vom Bus und das private, mit der Situation nicht so wirklich zurecht kommen, irren wir erst einmal kreuz und quer durch die Kernzone, denn wegen der Einbahnstraßen braucht es für jeden neuen Anlauf erst wieder einen langen Umweg. Mit telefonischen Tipps von der Hotelrezeption, einer Zweitmeinung aus den Reihen der Passagiere und etwas Intuition biegen wir dann aber doch noch in die zielführende Straße ein. Zum Umziehen ist keine Zeit mehr, wir setzen uns direkt an den für Germania gedeckten Tisch.

Das Abendessen kommt aber nicht. Warum nicht? Weil die Küche noch auf Thomas warten will, der seinen Bus nicht vor dem Hotel stehen lassen darf, denn dafür hat er keine Konzession. Irgendwann kommt dann aber doch etwas auf den Tisch: Vorspeise, erster Gang, Hauptgang, Salatbuffet und schließlich die Dolci, also der Nachtisch. Das Hühnchengericht ist irgendwie verschnürt, aber man bekommt das Gummiband nicht herunter, und durchschneiden läßt es sich auch nicht. Nun, langsam essen soll ja sehr gesund sein.

Wir wohnen auf Zimmer 232 im zweiten Klavier. Nein, im zweiten Stock, das italienische Wort ist ja dasselbe. Und die Steckdosen sehen so aus, als könne man keinen Fön daran anschließen. Alles, was Eurostecker hat, paßt aber, und für den Haartrockner hält die Rezeption passende Adapter bereit. Vorausgesetzt man kann seinen Wunsch dem Rezeptionisten verständlich machen: wie bitte heißt Adapter auf italienisch? Oder auf englisch? Ich habe eine bessere Idee und rufe auf dem Handy einfach das Bild eines Schukosteckers auf. Und schon liegt das Gewünschte vor uns. Fünf Euro Kaution wollen sie dafür haben, für den Fall, man ihn nicht zurückbringt. Hotels kennen halt ihre Pappenheimer.

Der Abend ist noch jung, und in der Straße, in der auch das Hotel steht, steppt der Bär. Will heißen, es reiht sich ein Restaurant oder Nachtcafé an das andere. Wir laufen, bis wir an eine Eisdiele kommen. Wie heißt nochmal Eistüte auf italienisch? Und Kugel? Ich bestelle mir Stracciatella, den Gelatiero freut’s: wahrscheinlich habe ich es richtig ausgesprochen. Und das original italienische Eis tropft schon beim Verlassen der Eisdiele auf den Boden, denn es in Montecatini ist es heiß. Da heißt es schnell schlecken!

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