Der Zug, den es nur auf dem Papier gab

Pünktlich um 16.59 Uhr fuhr unser TGV im Bahnhof Paris de l’Est ein. Hinter uns lag eine Fahrt mit fast durchgehend Tempo 200. Das schafft der deutsche ICE auch? Richtig, aber auf dem Display des französischen „Train à grande vitesse”, also Hochgeschwindigkeitszug, stand „mph” hinter der 196, also Meilen pro Stunde. Und dann wieder 316 km/h, für die nichtbritischen Reisegäste.

Eigentlich hätten wir ja schon um 14 Uhr in Paris eintreffen sollen, aber um diese Uhrzeit hatten wir gerade einmal Mannheim verlassen, nach einer beispiellosen Odyssee durch verschiedene süddeutsche Hauptbahnhöfe. Dieses Mal war das Chaos jedoch nicht verspäteten oder ausgefallenen Zügen der deutschen Bahn geschuldet, zumindest nicht ursächlich. Nein, unser Zug ab Nürnberg hätte sich definitiv nicht verspäten können: er existierte nämlich erst gar nicht. Außer auf unseren Bahntickets und auf dem guten alten gelben Aushangfahrplan. In der Online-Auskunft und auf dem Abfahrtsmonitor hingegen: Fehlanzeige. Und jetzt? In Stuttgart warteten unsere reservierten Sitzplätze für den ICE nach Paris.

Die freundliche Dame am Informationsschalter schüttelte zunächst einmal den Kopf über die verblüffende Diskrepanz zwischen Ticket und Fahrplan, riet uns dann aber zu einem sofortigen Fahrtantritt über Ingolstadt und Augsburg, denn so könnten wir den Stuttgarter Zug gerade noch erreichen. Sie muss neu in diesem Job sein, sonst wüßte sie, dass bei der Bahn so gut wie nie ein Anschluss klappt. Aber bei Zugbindung an einen Zug, der nur auf dem Papier existiert, weiß man ja nie so recht, wie es bei eigenmächtiger Änderung des Reiseverlaufs um die Fahrgastrechte bestellt wäre, also folgten wir der gegebenen Weisung und bestiegen den ICE in Richtung Ingolstadt, wo 6 Minuten Umsteigezeit vorgesehen waren.

Es kam, wie es kommen mußte: der ICE traf 7 Minuten verspätet in Nürnberg ein. Das sah knapp aus! Der Zugbegleiter versprach zwar, die Kollegen in Ingolstadt zu informieren, dass umsteigewillige Fahrgäste mit kritischem Anschluß im Zug seien, kam aber wenig später mit einem ernüchternden „der Anschlußzug wartet nicht” zurück. Da standen wir nun also auf dem Bahnsteig von Ingolstadt vor dem leeren Gleis, fragten die Bahn-App für die Weiterfahrt nach Stuttgart ab – und erhielten den ICE vorgeschlagen, den wir soeben verlassen hatten. Flugs wieder eingestiegen und die Koffer verstaut, begrüßte uns der Zugbegleiter mit einem trockenen „willkommen zurück” und riet, da der Anschluss nun endgültig verloren war, den weiteren Fahrtverlauf mit den Kollegen vom Reisezentrum in München zu klären, denn für Ziele in Frankreich ist die Sitzplatzbuchung obligatorisch.

Ein Sitzplatz für einen Zug nach Paris, und das heute noch? Der Berater im Münchner Reisezentrum schüttelte mitleidig den Kopf: alle menschenfreundlichen Zeiten seien restlos ausgebucht! Er gab uns aber den Rat mit, bei den Kollegen in Mannheim einfach auf eine Ausnahme zu pochen, schließlich sei es ja nicht unsere Schuld, dass unser Zug … siehe oben.

Im Mannheimer Reisezentrum hatten wir dann ausgiebig Zeit, unsere Situation zu überdenken, denn die Wartezeit auf einen freien Beraterplatz sollte geschätzte 30 Minuten dauern, und auch der Erstvermittlungsschalter war dauerblockiert. Weil der nächste Zug gen Paris aber ohnehin erst in gut eineinhalb Stunden ging, war Panik unangebracht. Und dann gab’s endlich die erlösende Zusage: nehmen Sie bitte den nächsten Zug, ich stemple Ihnen die Freigabe auf Ihre Fahrkarte.

Endlich waren wir nun in den Händen der französischen Staatsbahn, und alles weitere klappte fortan wie am Schnürchen.

Category: Allgemein, Paris 2023
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