Unser Tokio Hotel heißt Prince, womit wir also mit nur einem Streich gleich zwei bekannte Popstars erschlagen hätten.
Der Tempelbezirk von Nikko, ein Weltkulturerbe, befindet sich etwa 150 Kilometer nordwestlich von Tokio, was aber durchaus nicht bedeutet, dass man ihn in etwa eineinhalb Stunden mit dem Auto erreichen könnte. Noch nicht einmal auf der Autobahn, obwohl sie sehr gut ausgebaut ist. Einerseits. Andererseits führt sie teils mehrstöckig, also die Richtungsfahrbahnen übereinander, mitten durchs Zentrum des größten Ballungsraums der Welt, oft vor den Fenstern der Wohnhäuser vorbei und streckenweise sogar direkt über dem Fluss. Wohnen möchte man hier nicht, obwohl überall konsequent Lärmschutzwälle gebaut wurden, so viele, dass man vom Bus aus kaum etwas von der Landschaft sieht, auch weiter draußen nicht.
Aber ich schweife ab. Es ist nicht nur der Stau, der die Fahrzeit nach Nikko ziemlich verlängert, sondern auch der Umstand, dass natürlich Zwischenstopps eingelegt werden müssen. Bis dann alle wieder im Bus sind, verstreichen pro Stopp etwa 20 bis 30 Minuten. Zusammen mit der verspäteten Abholung vor dem Hotel, die wohl ebenfalls dem Stau geschuldet war, sind wir vom Zusammentreffen der Reisegruppe um 7:40 Uhr bis zum Eintreffen am Busparkplatz um 12 Uhr mehr als vier Stunden unterwegs. Nun kann es aber endlich losgehen, und es wird vereinbart, dass um 13:15 Uhr alle wieder auf dem Platz vor der Pagode sein sollen.
Der buddhistische Tempelbezirk liegt mitten im Wald und hat malerische Motive zu bieten. Da sind zum einen die zahllosen Steinlaternen, zwei Meter hoch und teilweise von Moos überwachsen. Da sind Treppen und die Tore, meist rote und üppig mit geschnitzten Figuren geschmückte Holzkonstruktionen: wir begegnen den Drei Affen, diversen mythologischen Vogelgestalten und natürlich Furcht einflößenden Dämonen und Drachen. Und da sind auch die vielen vielen anderen Besucher, die alles Wichtige fotografieren wollen. Sich selbst oder die jeweilige Begleitperson inbegriffen.
Für das Tempelinnere heißt es: Schuhe ablegen und sich hinten in die Schlange einreihen. Die rückt gottlob recht zügig voran, und schon nach wenigen Minuten stehen wir im Allerheiligsten. Zum Gebet niederknien möchten wir nicht, einmal herumgehen und das Schnitzwerk anschauen aber schon. Wieder draußen und mit wieder angelegtem Schuhwerk zeigt ein Blick auf die Uhr, dass uns nur noch wenige Minuten bleiben für den Besuch des Mausoleums mit der Schlafenden Katze. Und die Treppen dort hinauf wollen kein Ende nehmen. Auf halbem Weg umkehren? Wir beschließen, dass wir nicht wegen zu knapp bemessener Zeit einen wesentlichen Teil der Besichtigung auslassen wollen, und keuchen die 207 Stufen hinauf, um den Bau einmal zu umrunden und dann mit inzwischen zehnminütiger Verspätung zum Treffpunkt zu eilen. Doch statt strafender Blicke einer wartend versammelten Reisegruppe erwartet uns ein gerade nur halb so großes Häufchen Mitreisender, denen wir uns anschließen, um gemeinsam auf den Rest der Gruppe samt Reiseleiterin zu warten.
Sie mag ja ein nettes Persönchen sein, unsere Maya-san aus Tokio, und wenn sie von eingeweichten Bauwerken spricht oder vom Mäuseleum, entlockt uns das maximal ein verständnisvoll-amüsiertes Lächeln, schließlich würden wir ohne sie kein Wort verstehen in diesem Land. Aber ein Organisationstalent ist sie nicht. Und natürlich hätten wir uns geärgert, wären wir um des pünktlichen Eintreffens willen auf halbem Weg zur Katze wieder umgekehrt. Gesehen haben wir den Fries mit dem berühmten hölzernen Schnurrtier aber trotzdem nicht.
Alle wieder hier? Treffen in einer Viertelstunde am Bus? Obwohl wir uns verlaufen und den falschen Tempelausgang nehmen, halten wir die Zeitvorgabe. Aber wo ist der Rest der Truppe? Und wo die Reiseleiterin? Auf dem Weg zur Toilette treffen wir sie, soeben die Eintrittskarten für den zweiten Tempel an die vermißten Teilnehmer verteilend. Bitte auch die Leute, die schon am Bus warten, wieder einsammeln!
Wir genießen eine knappe weitere Stunde im Tempel mit den vielen Steinlaternen und mindestens ebenso vielen Treppenstufen. Inzwischen sind kaum noch Touristen unterwegs, und unser Bus ist der letzte, der heute den Parkplatz der Unesco-Kulturerbestätte verläßt. Denn schließlich ist der Weg zurück nach Tokio lang, auch wenn wir eine andere Strecke nehmen als die, auf der wir gekommen sind. Nämlich durch einen Tunnel, der offenbar die halbe Stadt unterquert.
Wir beschließen den Tag mit zwei Dosen japanischem Bier aus dem Supermarkt.