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Verspielte Häuser, himmelhohe Säulen

Zum Zeitpunkt unserer Feinplanung sollte laut Wettervorhersage der Mittwoch der angenehmste Tag werden, und so legten wir den Besuch des Parks Güell gleich auf unseren allerersten Vormittag und die Sagrada Familia dann auf den Nachmittag desselben Tages. Zwar scheint sich das Wetter nicht ganz an die Planungen halten zu wollen und beschert uns für den Park einen bedeckten Himmel, aber später zeigt derselbe dann doch noch ein Einsehen.

Wie kommt man nun aber vom Hotel zu diesem Park, der ja auf einem Hügel liegt? Eher zufällig finde ich heraus, dass der Routenplaner meines iPhone nicht nur für Auto und Fahrrad, sondern auch für den ÖPNV brauchbar ist, man muss nur das Ziel eingeben, der Rest erledigt sich quasi von allein. Zum Linienbus V19 sind es vom Hotel aus nur ein paar Schritte, und ein Umsteigen erübrigt sich, da der Bus schnurstracks bis vor den rechten Seiteneingang fährt, also dorthin, wo für gewöhnlich auch die Reisebusse parken. Beim Linienbus denkt unsereiner ja an Taktzeiten, die man nur ungern am Straßenrand wartend zubringen will, aber das ist hier anders, der Bus fährt alle paar Minuten. Ungewohnt ist auch, dass alle Tickets in den Prüfautomaten zu stecken sind, auch die Tageskarten. Das schauen wir uns aber erst während der Fahrt von den anderen Fahrgästen ab.

Sind wir schon da? Nicht ganz, wahrscheinlich erst die nächste Haltestelle. Aber dann fährt der Bus am Parkeingang vorbei uns hält erst wieder ein ganzes Stück weiter oben. Dadurch wird der Weg zwar länger, führt nun aber zum Glück bergab.

Der Park samt einiger kleiner Häuser wurde von Antoni Gaudí, dem Meister des architektonischen Jugendstils, für den Industriellen Eusebi Güell errichtet und ist in einer so liebreizenden Art verspielt, wie sie eben nur ein Gaudí erschaffen konnte. Ein Weg schlängelt sich entlang einiger Viadukte hinauf und an der anderen Seite wieder hinab, wo es ähnlich geformte Wege entlang schräger Säulen gibt, bis man schließlich an einen zentralen, von bunt kachelverzierten Balkonbrüstungen umschlossenen Platz gelangt, von denen man einen herrlichen Blick auf die Stadt und natürlich die Sagrada Familia genießt. Unterhalb des Platzes, wo dem Geräuschpegel nach eine ganze Kindergartenklasse unterwegs sein muß, befindet sich eine halb offene Säulenhalle, und noch ein Stück weiter unten, in der Nähe des Haupteingangs mit den beiden schlumpfig verspielten Häusern, die Wasserachse mit der bunten Echse, vor der gerade alle für ihre Selfies posieren. Leider verwehrt uns ein geschlossenes Tor den näheren Zutritt. Aber wie kommen dann all die anderen Leute hin? Vielleicht von unten? Wir laufen einen Weg hin und einen anderen her, dann stehen wir an der erstrebten Stelle – und werden zurückgewiesen, denn hier ist der Ausgang. Um zur Echse zu gelangen, müssen wir links hinauf, um das Haus herum und durch die Säulenhalle, die wir anderenfalls samt ihrer mosaikverzierten Decke möglicherweise übersehen hätten.

Natürlich ist die markant gekachelte Reptilienskulptur fest in der Hand der Selfie-Fotografen, kaum ist einer fertig, rückt auch schon der nächste an, denn man will ja nicht, dass sich von der Seite her jemand vordrängt. Zudem pflegen kleine Kinder die Fotos der Erwachsenen zu crashen, indem sie ihnen mitten ins Bild laufen. Alles in allem eine herrlich unterhaltsame Szenerie.

Nun ist es aber an der Zeit, den bereits bekannten Linienbus ein zweites Mal zu entern, und dieses Mal fährt er uns nicht direkt zum Ziel, sondern wir müssen vier Häuserblocks einer Querstraße entlang laufen, was sich aber als eine ausgezeichnete Idee erweist, denn so nähern wir uns dem eindrucksvollen Jugendstil-Kirchenbau durch einen kleinen Park, dessen Palmwedel ein unterhaltsames Verstecken mit den Türmchen der Kathedrale spielen, so dass uns die Gerüste und der Turmkran gar nicht so sehr ins Auge fallen. Denn an der Sagrada wird ja immer noch gebaut.

Eigentlich hätten wir noch fast eine Stunde länger im Güellpark bleiben können, aber in einer fremden Stadt plant man ja zeitliche Reserven ein. Und dann dürfen wir endlich die Sicherheitsschleuse passieren: Oberbekleidung ablegen, Taschen entleeren, den Gürtel aus der Hose fädeln und alles ins Plastikschälchen legen, man kennt das ja vom Flughafen. Wie denn, die Armbanduhr auch? Ja. Und auch die Brille, wird mir bedeutet. Das geht mir aber nun doch etwas zu weit, und ich darf mitsamt Brille durch den Körperscanner.

Wir betreten den eindrucksvollen Bau durch das östliche Portal. Es ist der Geburt Jesu gewidmet, was nicht nur an den überdimensionalen steinernen Krippenfiguren kenntlich ist, sondern auch an dem großen Christbaum darüber. Mit grünen Zweigen, auf denen weiße Tauben sitzen. Und mit einem Kreuz an der Spitze. Alles aus Stein.

Drinnen weiß man erst gar nicht, wohin man zuerst schauen soll. Die hohen Fenster und die Rosetten der Ostseite bestehen aus unregelmäßigen Gläsern in grünen und blauen Farbtönen, die der Westseite sind eher in Rot und orange gehalten, denn dort befindet sich das Passionsportal. Anders als in gotischen Kirchen verzweigen sich die tragenden Säulen des Kirchenschiffs nach oben hin, alles zusammen wirkt wie ein Wald aus weißem Stein. Und alles ist vom Licht durchflutet, das durch die farbigen Fenster hereinfällt. Die Säulen der Vierung tragen auf halber Höhe die Embleme der vier Evangelisten Johannes, Matthäus, Markus und Lukas, natürlich in der katalanischen Form: Joan, Marc, Mateu, Lluc. Und in die wuchtig-bronzene Tür des Hauptportals sind in 50 Sprachen Sätze aus dem Vaterunser eingraviert: Pare nostre que esteu en el cel, sugui santificat el vostre nom. Aha, die Katalanen siezen Gott.

Bevor wir durch die Passionspforte wieder hinausgehen, um das Portal und seine Architektur von außen zu betrachten, werfen wir noch einen Blick in die Krypta, wo der Architekt und Schöpfer mit seinem denkwürdigen Gotteshaus für immer vereint ist. Gleich nebenan gibt es ein Museum, welches die Geschichte der Sagrada Familia anhand interessanter Ausstellungsstücke und Tafeln ausgiebig thematisiert.

Der Bahnhof Sants, von dem wir morgen nach Madrid starten werden, ist vom Hotel aus mit der Metro etwas umständlich zu erreichen, es gäbe zwar eine direkte Regionalbahn, aber gelten unsere Fünftagetickets auch für die unterirdisch geführte Bahnlinie? Aus den Beschreibungen werden wir nicht schlau, daher hilft wohl nur Ausprobieren, zumal es in Bahnhofsnähe heute abend sicher auch das eine oder andere Essenslokal gibt. Wir haben Glück: die Schranke am Zustieg zu den R-Linien akzeptiert unser Ticket. Und Pech: im und am Bahnhof gibt es weit und breit nichts Warmes zu essen, mit einer Ausnahme, und die heißt McDonalds. Die georderten Wraps sind jedoch irgendwo zwischen lauwarm und kalt angesiedelt. Das hätten wir einfacher haben können.

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Jugendstil

Man mag den Jugendstil für eine blumig-schwülstige Erscheinung halten, die schon lange nicht mehr in unsere Zeit paßt, aber wenn ein Architekt eine ganze Kirche in diesem Stil konzipiert hat, wenn an dieser Kirche schon seit fast 140 Jahren gebaut wird, und wenn sie nach ihrer Fertigstellung das höchste Kirchengebäude der Welt sein wird, dann sollte man dieses Wunder einmal mit eigenen Augen gesehen haben: die Rede ist vom katalanischen Architekten Antoni Gaudí und von der „Sagrada Familia”.

Wie man hinkommt? Nun, man bucht einen Flug nach Barcelona und ein Hotel dort. Zuerst das Hotel, denn sollte sich kein geeigneter Flug finden, kann man die Buchung notfalls wieder stornieren. Anschließend also der Flug: wir wollen am Dienstag eintreffen und am Sonntag wieder abfliegen, angeboten werden aber vornehmlich Rückflüge für den Freitag oder den Montag, mit unpraktischen Flugzeiten oder Zwischenlandungen in Timbuktu und mehrstündigen Aufenthalten dort. Endlich ist eine praktikable Verbindung von und nach Nürnberg und zu menschlichen Uhrzeiten und Preisen gefunden: hinwärts mit der Lufthansa um 14.25 Uhr über Frankfurt mit 50 Minuten Umsteigezeit, zurück mit Eurowings um 13.15 Uhr über Hamburg mit etwas über drei Stunden Aufenthalt, die man gut nutzen kann, um noch an ein Abendbrot zu kommen.

Wer auf eigene Faust reist, muss sich um alles selbst kümmern: um die Coronabestimmungen, um den Nahverkehr vom Flughafen zum Hotel, um die Tickets und Zeitfenster bei den Attraktionen, ja sogar um das Wetter, denn wer will schon bei Sonnenschein ins Museum und bei Regen in den Park? Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir uns auch zwei Museen in Madrid anschauen möchten, und dafür braucht es nicht nur weitere Zeitfenster-Tickets, sondern auch Fahrkarten für den AVLO, was für „Alta Velocidad Low Cost” steht, also den preisgünstigen Hochgeschwindigkeitsverkehr der spanischen Eisenbahngesellschaft Renfe. Zwei Personen hin, zwei Personen zurück. Zum Glück läßt sich all das vom heimischen Bildschirm aus buchen, aber es dauert natürlich, vor allem wegen der persönlichen Daten, die man von uns haben will.

Auch das spanische Einreiseformular will alles ganz genau wissen: Ausweisnummer und Ablaufdatum, Name und alle Vornamen, Adresse zuhause, Adresse in Barcelona, Flugdaten, Impfnachweis, Sitzplatznummern. Aber woher letztere nehmen, wenn man noch nicht eingecheckt ist? Auch dafür hat das Formular eine Lösung: man gibt alles ein, was schon vorliegt, und speichert den Vorgang dann ab, um ihn nach dem Check-in zu vervollständigen. Für diese Wiederanmeldung erhält man einen Accountlink und eine ID.

Die Lufthansa erlaubt den Check-in 23 Stunden vorab, für uns also um 15.25 Uhr an einem Montag, der zum Glück ein Feiertag ist. Die Sitzplätze sind schnell gewählt, hinwärts auf der linken Seite vorne für eventuelle Tiefblicke auf die Alpen, zurück dann später auf der rechten. Und da einige Corona-Testnachweise ja bekanntlich schon nach 24 Stunden wieder verfallen, wird erst jetzt der Weg frei zum Hochladen der Zertifikate. Hochladen? Ich schaue vom Papierausdruck zum Smartphone und wieder zum Papier: wie soll ich das hochladen? Mehr zufällig finde ich heraus, dass die CovPass-App eine Funktion zum Erzeugen und Mailen eines PDF hat. Nach ein paar Fingertipps und Mausklicks habe ich das erste Zertifikat im Online-Formular, wo es geprüft und für gut befunden wird. Dann das zweite: Validierung abgelehnt. Dabei ist mein Impfnachweis doch vollkommen in Ordnung?! Die Lösung für diese unerwartete Komplikation sieht so aus, dass man ein weiteres Formular ausfüllt, mit Impftermin und Wirkstoff und dem Vorbehalt des Abgleichs mit dem Impfpass bei der Einreise. Zur Belohnung gibt es schließlich zwei Ausdrucke mit jeweils einem QR-Code, der dann am Check-in-Counter vorzulegen ist. Nun können wir endlich entspannt starten.

Unser Nahverkehrsticket „Hola BCN” mit 120 Stunden Gültigkeit haben wir direkt beim Verkehrsverbund TMB gebucht. Der Preis ist zwar nominell derselbe wie bei der touristischen Buchungsoption, aber der Verbund gibt 10% Nachlass. Die Strecke vom und zum Flughafen mit der Metrolinie L9 ist bei diesem Ticket inklusive. Und so lassen wir uns also von den Wegweisern zunächst zu den Gepäckbändern geleiten und von dort dann hinaus oder besser gesagt hinunter zur Metro. Die sieht eigentlich gar nicht aus wie eine Metro, sondern eher wie eine lange Schaufensterfront mit ein paar Türen, die sich aber erst öffnen, nachdem der Zug eingefahren ist.

An der Station Torrassa sollen wir laut Plan in die „rote” Linie L1 umsteigen. Welche Richtung? Ja, wenn das immer so einfach wäre. Zuerst jedenfalls müssen alle aus- und umsteigenden Fahrgäste auf die Rolltreppe. Dann, nach einem Absatz, auf eine zweite. Nach einem weiteren Absatz auf eine dritte, der eine vierte folgt. Und dann noch eine fünfte. Der Metrotunnel liegt hier wirklich sehr tief. Eine letzte Rolltreppe noch, dann klärt sich die Fahrtrichtung, denn die Stationen sind angeschrieben. Unser Ziel heißt „Arc de Triomf”. Von dort liegt das „Motel One”, unser Lieblingshotel, nur noch drei Häuserblocks entfernt.

Der Gehweg erweist sich als zu grob gepflastert für zwei Rollkoffer, aber auf der Straße geht es. Und dann sind wir da. Das Mädchen an der Rezeption spricht ein ganz passables Deutsch und ist überhaupt sehr hilfsbereit. Ob wir ein Frühstück dazubuchen wollen? Morgen ja, aber übermorgen müssen wir schon ganz früh los, Stichwort Madrid, Abfahrtszeit 6.45 Uhr. Und wir müssen dann ja auch erst noch zum Bahnhof!

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Meisterhafte Häuser

Der Tag ist noch jung, und die Rückreise nach Nürnberg wird knapp 5 Stunden in Anspruch nehmen. Welches attraktive Zwischenziel könnten wir uns vornehmen? Die Wahl fällt auf das Bauhausmuseum in Dessau, die zugehörige Adresse ist schnell gefunden. Zwei Stunden später stehen wir vor dem markanten bauhaustypischen Gebäude. Der Eintritt ist frei, denn heute ist Tag des offenen Denkmals. Und um ein solches handelt es sich ja auch.

Dass er sich in einem ehemaligen Schulgebäude befindet, würde hier selbst ein Blinder merken. Für Sehende gibt es einen Lageplan: Bauhausgebäude, Meisterhäuser, Bauhaus Museum. Aha, das Museum befindet sich also ein Stück abseits. Dies ist einer jener Augenblicke, in welchem sich von jetzt auf gleich ein jahrelang gepflegter Irrtum lichtet: Bauhausgebäude und Bauhausmuseum sind keineswegs ein- und dasselbe. Der Wegweiser draußen an der Straße verrät, dass die Wegstrecke zwischen beiden fast eineinhalb Kilometer beträgt.

Nun gut, dann besichtigen wir eben zuerst die Reihe der Meisterhäuser, denn die liegen nur 600 Meter entfernt. Auf dem Lageplan ist das praktisch gegenüber. Aber der Lageplan ist nicht maßstäblich. Nach gefühlt einem Kilometer Fußmarsch stehen wir vor dem ersten Haus – und werden etwas unfreundlich empfangen: nein, die Bauhaus-Eintrittskarten gelten hier nicht. Nein, es sind auch in den nächsten zwei Stunden keine Zeitfenster-Tickets mehr verfügbar. Dass der Fussmarsch umsonst gewesen sein soll, will mir nicht in den Kopf. Nach gutem Zureden der Liebsten lasse ich mich aber umstimmen, und wir buchen das nächst mögliche Zeitfenster.

Hier lebten vor 90 Jahren Klee, Kandinsky und Feininger mit ihren Familien

Aber wo ist denn nun das Museum? Da mir der Sinn nicht nach Wandertag steht, laufen wir erst einmal zum Auto zurück. Und bleiben prompt am Bauhaus-Café hängen, wo hungrigen Besuchern leckere Burger serviert werden. Nach dem Verzehr derselben ist das Zeitfenster auf eine Stunde geschrumpft. Stand da vorhin nicht auch ein Wegweiser zur Anhaltischen Gemäldegalerie? Die ist zwar, so viel ich weiß, schon seit Jahren wegen Renovierung geschlossen, aber ob das überhaupt noch aktuell ist?

Fünf Minuten später stehen wir vor einem Gebäude, das sich mittels beschrifteter Auslegerflagge als die gesuchte Galerie ausweist. Aber wo ist der Eingang? An der rückwärtigen Tür wird darum gebeten, die Ausstellung nur mit Maske zu betreten. Aber die Tür ist verschlossen, und es sind auch keine Öffnungszeiten angeschrieben. Eine Passantin vermutet die Galerie im Nebengebäude. Aber das Nebengebäude ist dafür viel zu klein. Und nun? Intuitiv mache ich im Hintergrund zwischen den Bäumen ein weiteres Gebäude aus. Vielleicht dort? Der Haupteingang des Schlösschens ist versperrt, aber am Seiteneingang werden wir fündig: „Das Museum ist geschlossen, die Neueröffnung wird mit ausreichendem Vorlauf angekündigt werden.” Na, das ist doch mal etwas. Denn auf der Website steht nur „bald”, und man weiß ja aus Erfahrung, wie aktuell Websites oft sind.

Ein weiteres Museum ist das Technikmuseum Hugo Junkers, unschwer zu erkennen an ein paar alten Flugzeugen, die auf dem Museumsgelände parken. Leider reicht die Zeit nicht mehr für einen Besuch.

Denn nun steht ein Besuch bei Prominenten an, wir beginnen bei Walter Gropius. Dessen Haus ist zwar nicht mehr das Original, aber man hat es nach seinen Plänen wieder aufgebaut. Leider wirkt das weiß gestrichene Gebäude mit seinen verbarrikadierten Fenstern von außen eher wie ein unfertig aufgegebener Rohbau. Im Haus von Paul Klee am anderen Ende der kleinen Reihensiedlung wiederum fühlt man sich sofort wohl: wären da nicht die heute nicht mehr gebräuchlichen Drehlichtschalter, man könnte glauben, in einem modernen Neubau zu stehen, so zukunftsweisend war die Architektur des Bauhausgründers. Undeutsch, nannten die Nazis diesen Baustil und lehnten ihn ab. Klee und seine Nachbarn Kandinsky, Feininger und Moholy-Nagy sahen das naturgemäß völlig anders. aber das alles ist lange her, auf die Auflösung der Bauhausschule folgten Krieg und DDR. Heute hat man sich wieder besonnen und den Häusern den Rang eines Weltkulturerbes verliehen. Wie anders wäre die Weltgeschichte doch verlaufen, hätte man sich damals an den Genies orientiert statt an den Populisten.

Der Vollständigkeit halber steht nun aber nun doch noch der Besuch im neuen Bauhausmuseum an, ein gläserner Kasten im Stadtzentrum, dessen Anliegen es ist, das Bauhaus als einen lebendigen Ort darzustellen, an dem gelernt und gelehrt, künstlerisch experimentiert und an industriellen Prototypen gearbeitet wurde. Die damals ausgesprochenen Verfemungen sind ein Teil dieser Geschichte und werden im Foyer vorgetragen.

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Schrecklich schöne Ausstellungen

Das Humboldt Forum bietet Raum für mehrere Ausstellungen, teils temporär und teils dauerhaft. Eine davon haben wir gestern schon besucht, für heute haben wir weitere drei Zeitfenster reserviert und beginnen im ersten Obergeschoss mit „Nach der Natur”. Hier steht ein Relief des Aletschgletschers neben einer Sammlung chemischer Farben, das bunte Skelettmodell eines frühen Landlebewesens, eine Zusammenstellung diverser Mineralien und eine kleine Sammlung von PCs der frühen 80er-Jahre: Apple IIe, IBM PC, Macintosh Classic, Osborne. Genau genommen stehen aber nur die Exponate, die Vitrinen hängen allesamt von der Decke und schaukeln, wenn man sich versehentlich dagegen lehnt. Wahrscheinlich erleichtert es die Reinigung des Fußbodens. Aber was verbindet all diese exemplarisch angerissenen Themen? Nun, es geht wohl um die Humboldt Universität, wir haben es also mit einer interdisziplinären Ausstellung zu tun. Man könnte sich, entsprechende Interessen vorausgesetzt, stundenlang mit den dargestellten Themen beschäftigen, allein der sprachgeschichtliche Abschnitt bietet Dutzende von Audioaufnahmen diverser Sprachen und Mundarten. Zugleich lockt aber ja auch das nächste gebuchte Zeitfenster.

„Schrecklich schön” sollen die Exponate der Ausstellung über Elefanten und Elfenbein sein, die uns im Erdgeschoss erwartet. Auch dieses Thema bietet sehr viele Aspekte, von der Eiszeitkunst, die mit einem kleinen Mammutfigürchen vertreten ist, über riesige Stosszähne und Schädel zu allerlei Schnitzwerk aus dem edlen Material. Immer wieder wird daran erinnert, dass Elefanten vor allem wegen ihrer wertvollen Stoßzähne gejagt werden, ein Wandteppich zeigt eine dazu passende Jagdszene. Und über alledem liegt ein Geräusch, das entfernt an das Brüllen eines Raubtieres erinnert. Ist es aber nicht: was die Besucher vernehmen, aber zunächst nicht einordnen können, ist der schwere Atem einer sterbenden Elefantenkuh. Man hat hier wirklich keinen Aspekt ausgelassen. Was passiert, wenn Elefantenbullen wütend werden, zeigt ein völlig demolierter Geländewagen, dessen Insassen die Attacke aber überlebt haben sollen.

Als drittes Zeitfenster erwartet uns abschließend noch der Schlosskeller. Denn es wurden ja nur die oberen Teile des alten Gebäudes dem Erdboden gleich gemacht. Man steigt also hinab und erfährt, wo die Köche die Hühner gehalten haben, bevor sie zubereitet und den feudalen Herrschaften serviert wurden. Auch Porzellanscherben hat man gefunden und sogar die Zapfhähne einiger Weinfässer. Ein interaktiver Leuchttisch fordert zum Wegwischen der virtuellen Sandschicht auf, in Coronazeiten natürlich mit Handschuhen. Zum Vorschein kommen allerlei Abbildungen von Gebäuden und Grundrissen.

Unser heutiges Abendprogramm und eigentlicher Grund der Reise ist die neue Show „Arise” des Friedrichstadt-Palastes. Wir sitzen ziemlich weit rechts, aber so nah an der Bühne, dass wir den Tänzern und Tänzerinnen quasi direkt in die Augen schauen – falls sie nicht gerade weit oben im Trapez ihre atemberaubende Artistik darbieten. Wie eng und auf Präzision gearbeitet die Nummern gestrickt sind, zeigt sich in Form zweier Stürze ins Sicherheitsnetz. Natürlich gibt es auch wieder eine Einlage mit Wasser auf der Bühne. Und wie es sich für eine Varietéshow gehört, begleiten Licht- und Nebeleffekte die Vorstellung. Natürlich vergeht die Zeit wie im Flug, aber erfreulicherweise liegt ja das Hotel nur einen Katzensprung vom Palast entfernt.

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Erster Besuch im Humboldt Forum

Hurra, wir fahren nach Berlin, und das aus zwei Gründen. Zum einen ist das Humboldt Forum endlich für die Öffentlichkeit zugänglich, zum anderen wartet der Friedrichstadt-Palast mit einer neuen Show auf. Mit dem „Arcotel Velvet” hatten wir zudem ein Hotel in fußläufiger Entfernung gefunden, noch nicht ahnend, dass das auch aus Gästesicht ein absoluter Glücksgriff war.

Denn das Oranienburger Tor liegt nicht nur günstig am Schnittpunkt einer U-Bahn mit einer Straßenbahn, es gibt dort auch einige Geschäfte in Laufweite – und einen Platz, um das Auto unterzustellen. Vorher werde ich noch gefragt, ob es denn kürzer als fünf und schmäler als zwei Meter sei und anklappbare Außenspiegel habe. Dann darf ich damit vor das Rolltor fahren und dasselbe per Chip öffnen: vor mir liegt eine Art Garage mit Rampen, auf die es einigermaßen exakt einzuparken gilt. Handbremse anziehen und Fahrzeug verlassen, dann schließt sich das Tor, und das Auto wird zu einem kompakten Würfel zusammengedrückt. Zumindest hört es sich so an. Kurze Zeit später steht an derselben Stelle ein Audi. Er gehört aber dem Mann, der neben mir steht und ebenfalls einen Chip in den Händen hält. Ich hoffe, das funktioniert übermorgen mit meinem Prius genauso.

Im Hotel bewohnen wir das Zimmer 405. In den Aufzug nach oben steigt auf der dritten Etage ein Staubsauger ein. Nur der Schlauch, denn der stand wohl angelehnt draußen. Die zugehörige Putzkraft entschuldigt sich, dann geht es weiter. Das Zimmer ist geräumig, hat eine vom Naßraum getrennte Toilette und verfügt über zwei Sitzgelegenheiten: in vielen Hotels leider keine Selbstverständlichkeit.

Als wir wieder auf die Straße treten, ist sie nass. Aha, es hat geregnet. Aber nur bis zur Straßenmitte. Demnach war es wohl doch die Straßenreinigung. Wir beschließen, den nach 452 Kilometern Fahrt deutlich aufkommenden Hunger mit einem Nudelgericht aus der PHO-Noodlebar gegenüber zu stillen. Deren Mitnehmgerichte sind zwar nicht ganz billig, dafür aber reichhaltig und wohlschmeckend.

Frisch gestärkt geht es sodann zu Fuß, vorbei an Bodemuseum und Lustgarten, zum neuen Berliner Schloss hinüber. Dessen Ähnlichkeit mit dem 1950 abgerissenen Stadtschloss ist aber in weiten Teilen nur äußerlich, im Inneren erwartet uns ein moderner Zweckbau mit großzügigem Foyer, einem einladenden Innenhof, einer Passage, einer Treppenhalle sowie funktionalen Räumen auf vier Etagen plus Keller. Allein die inneren Seiten der fünf Eingangsportale und drei Seiten des Schlüterhof genannten Innenhofs erstrahlen in derselben barocken Ausstattung wie früher.

Die Wiedererstehung des Schlosses ist im Skulpturensaal dokumentiert, wo auch einige gerettete Architekturteile des ursprünglichen Baus ausgestellt sind. Über die Geschichte des Platzes wiederum informiert das Videopanorama direkt neben dem Nikolaiportal.

Es ist schon ein skurriles Bauwerk, das da nun den Platz des früheren Berliner Schlosses einnimmt: teils rekonstruiert, teils modern, auf keinen Fall aber etwas, das man als Schloss bezeichnen könnte. Denn auch wenn es exakt denselben Luftraum ausfüllt und exakt dieselben Außenfassaden zeigt: es ist im Inneren ein völlig anderes Gebäude, das eher an ein modernes Einkaufszentrum erinnert, mit langen Rolltreppen, viel Glas und Cafés mit Sitzgelegenheiten, wo man herrlich entspannt seinen Cappuchino schlürfen und dabei über die soeben besuchte Ausstellung sprechen kann.

Und deren gibt es im Humboldt Forum gleich mehrere. Noch am Anreisetag besuchen wir „Berlin global”, eine Ausstellung, bei der die Besucher mit einem Abstimmgerät ausgestattet werden und dann unter anderem verschiedene Türen durchschreiten müssen: will ich eine offene Stadt? Oder lieber eine soziale Stadt? Will ich Bewährtes schützen oder lieber Neues wagen? Und in welcher Form würde ich mich an einer Revolution beteiligen? Die gesellschaftlichen Hintergründe solcher Fragen liefern die Bilder und Videos an den Wänden, aber auch die Ausstellungsstücke selbst. Wofür interessierten sich die Berliner während des Kaiserreichs, in der Zwischenkriegszeit oder während des Kalten Krieges, als mitten durch Berlin eine trennende Mauer verlieft?

Die hereinbrechende Nacht beschert den Berlinern heute bunt beleuchtete öffentliche Gebäude, das markante Bode-Museum sieht aus wie eine Jahrmarktsbude. Und alles was Beine hat ist unterwegs.

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Blumenstadt Erfurt

Der Erfurter Egapark hat eine lange Geschichte, von der Westdeutsche nur wenig wissen: fragte man uns nach namhaften Veranstaltungsorten der IGA, der Internationalen Gartenbauausstellung, so fielen uns wahrscheinlich auf Anhieb der Hamburger Planten-un-Blomen-Park, der Stuttgarter Killesberg oder der Münchner Westpark ein, während die „Internationale Gartenbauausstellung der sozialistischen Länder” von 1961 als deren Gegenveranstaltung wohl kaum jemandem geläufig wäre. 30 Jahre nach der Wende darf Erfurt auf dem historischen Gelände nun heuer mit der Buga 2021 erneut eine große Gartenschau ausrichten.

Die lange Tradition Erfurts als „Blumenstadt” zeigt sich auch darin, dass im Hauptgebäude der Zitadelle Cyriaksburg seit nunmehr 60 Jahren auch das Deutsche Gartenbaumuseum untergebracht ist. In der Buga-Zeit kann man nur beides zusammen besuchen, also beginnen wir unseren Rundgang erst einmal dort. Gezeigt wird die Geschichte des Gartenbaus, die Biologie der Pflanzen sowie deren Züchtung, Anbau und Vermarktung, sei es nun in Form von Gartenerzeugnissen oder im Sinne der Erholung und Entspannung.

Die kinetische Pflanze „Valentine” ist Anschauungsobjekt und Kunstwerk zugleich: durch Plastikschläuche fließen, für die Besucher gut sichtbar, Wasser und Nährstoffe, es wird Umgebungsluft aufgenommen und in Pflanzenmasse umgewandelt, dargestellt durch einen sich aufspreizenden Laubrechen. Man könnte ihr stundenlang dabei zusehen.

Die heutige Cyriaksburg ist der verbliebene Teil einer einst viel größeren Zitadelle. Deshalb befindet sich der Tiefbrunnen auch nicht direkt unter dem Gebäude, sondern ist über einen langen unterirdischen Gang erreichbar, an dessen Ende man in die schaurige Tiefe hinunterblicken kann.

Wieder draußen im Gelände, meldet sich der Hunger auf Thüringer Rostbratwurst. Zuerst steht aber noch der Besuch im Zwei-Zonen-Klimahaus „Danakil” an, denn man braucht für den Eintritt ein Zeitfenster, und wir haben unseres für 11:45 Uhr gebucht. Der Weg führt zuerst durch das Wüstenhaus, dann durch das Regenwaldhaus. Im ersten ist außer Sand und allerlei Kakteen nicht viel zu sehen, denn die Tiere sind offenbar gewerkschaftlich organisiert und haben gerade Mittagspause. Das gilt auch für das wachhabende Erdmännchen: schaute es bei unserem allmählichen Näherkommen noch aufmerksam in die Runde, ist es damit Punkt 12 Uhr vorbei, und es kommt auch keine Ablösung. Schade. Dafür ist aber das Tropenhaus voller Leben, wir ergötzen uns an frei fliegenden Schmetterlingen, sehen ein Weilchen den Blattschneider-Ameisen zu, entdecken zwischen den Blättern ein Paar grellgelbe Pfeilgiftfrösche und sehen dem Chamäleon in die Augen: abwechselnd mal ins linke, dann wieder ins rechte. Ob das Erdmännchen inzwischen wieder Posten bezogen hat? Leider nein. Den ganzen Weg durch beide Häuser noch einmal laufen gefällt uns nicht, wir wenden also – und werden dafür gerüffelt.

Draußen dann endlich Rostbratwurst. Mit Senf. Im Brötchen. Denn die Wurst will ja irgendwie in der Mitte festgehalten werden.

Die Buga verteilt sich auf zwei Hauptstandorte: Egapark und Petersberg. Im Geländeplan zwar ist beides eingezeichnet, aber leider nicht, wie man von einem Gartenteil in den anderen gelangt. Zudem sind beide Pläne unterschiedlich orientiert. Gravierendstes Manko ist aber die Regel, dass man den verlassenen Parkteil nicht erneut betreten darf: eine Veranstaltung im anderen Gartenteil besuchen ist also nicht drin. Außer man fragt in der Info nach dem Weg, dann erhält man ein Bändchen für den Wiedereintritt.

Gelohnt hat sich die zweimalige Fahrt mit der Straßenbahn dennoch nicht, denn meine Pressekarte gilt für diesen Ausstellungsteil nicht, und Einzelkarten gibt es auch nicht.

Zurück im Egapark steht nun der lange Rundweg über Blumenhalle, Begrüßungsbeet, verschiedene alte und neue Themengärten und das Rosencafé an, wo ein Alleinunterhalter Schrammelmusik zum besten gibt, in deren Texten sich „Wien” auf „gern” reimt. Aber wer hört schon so genau hin, wenn er doch mit dem Verarbeiten der vielen visuellen Eindrücke beschäftigt ist?

Die Wasserspiele der Lilienterrasse fügen einen weiteren hinzu, denn sie schleudern Stakkatos in die Luft, die eher zu einem Tango als zu einem Wiener Walzer passen würden.

Inzwischen ist es 5 Uhr nachmittags geworden, und das Gelände leert sich bemerkenswert rasch und gründlich. Dabei verbleiben doch noch ganze zwei Stunden bis zur Schließung! Wir können also noch den Aussichtsturm besteigen, mit herrlichem Rundblick über die Stadt und die Berge des Thüringer Waldes, und den ausgedehnten japanischen Garten mit seinen Felsen und Wasserspielen durchstreifen. Und da wir in der Nähe des unteren Eingangs geparkt haben, müssen wir von dort auch nicht wieder hochlaufen.

Acht Stunden hat unser Aufenthalt gedauert, und wir haben noch längst nicht alles gesehen. Das ist wohl auch der Grund, warum es neben den Tageskarten auch Zweitageskarten gibt.

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Penzberg, die Bergarbeiterstadt

Penzberg ist eine Bergarbeiterstadt, die Ampelmännchen halten kleine rote oder grüne Grubenlampen in den Händen. Ein heimeliger Ortskern wiederum fehlt. Der Expressionist Heinrich Campendonk fühlte sich hier trotzdem wohl, denn er kam aus Krefeld. Über die Neue Künstlervereinigung München fand er Anschluss an die „Blauen Reiter” um Marc und Kandinsky.

Als der gebürtige Rheinländer den Auftrag für das riesige „Jesaja-Fenster” im Kölner Dom nicht übernehmen konnte, fand das zugehörige Probestück seinen Platz in der nach Kriegszerstörung neu erbauten Penzberger Kirche, ebenso wie das „Passionsfenster”, das den Nazis als „entartet” mißfiel.

Den Campendonk’schen Nachlaß zu erwerben lehnte der Stadtrat von Penzberg allerdings ab, das Konvolut wurde daraufhin vom Jägermeister-Hersteller angekauft und der Stadt Penzberg als Leihgabe zur Verfügung gestellt unter der Bedingung, dass Penzberg sein Stadtmuseum geeignet erweitert.

Genau dieses Museum besuchen wir heute. Und wir finden darin nicht nur Glasmalerei, sondern auch viele expressionistische Gemälde Campendonks. Die Sonderausstellung „Ringsum Schönheit” veranschaulicht die Wechselbeziehung von kunsthandwerklichen Arbeiten und moderner Malerei. Und auch über die allgemeine Stadtgeschichte findet sich im Museum so einiges, insbesondere die Einrichtung einer typischen Arbeiterwohnung mit Küche und Schlafzimmer.

Für den Nachmittag ist heute Entspannung angesagt: es geht mit dem Schiff einmal quer über den Staffelsee nach Utting und wieder zurück. Von den sieben Inseln im See gefällt uns die allerkleinste am besten, denn sie erinnert mit ihren paar Felsen und Bäumen an eine japanische Bonsaischale.

Und dann ist der Tag des Abschieds gekommen. Die Gruppe hat zwar für morgen noch zwei weitere Ziele, aber mich ruft die Pflicht zurück an den Schreibtisch.

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Vom Kochel- zum Walchensee

Das gestrige Abendessen im Griesbräu, aus dessen Fenstern Kandinsky dereinst die Hauptstraße des Ortes malerisch verewigte, war touristengerecht, sprich: man hat anderswo schon besser gegessen. Was aber in Erinnerung bleibt ist das „Drachenblut” genannte Rotbier mit Räuchergeschmack.

Unsere Reiseleiterin heißt Andrea Welz, stammt aus Stuttgart und ist für den erkrankten Dr. Walter Appel „kurzfrischtig” eingesprungen. Heute führt sie uns durch die malerische Landschaft hinüber nach Kochel, wo der Bus zunächst am Friedhof mit dem Grab von Franz und Maria Marc stoppt. Der Maler fiel zwar 1916 in den Schlachtfeldern von Verdun, wurde später aber auf Veranlassung Marias geborgen und auf den heimischen Friedhof überführt.

Beim heutigen Franz-Marc-Museum handelt es sich aber nicht um das ehemalige Wohnhaus der beiden, sondern um ein Gebäude, das erst ab 1985 für die Sammlung zur Verfügung stand und im Jahr 2008 gleich nebenan einen mächtigen Neubau erhielt.

Wie nicht anders zu erwarten, gilt es hier das eine oder andere Bild des pferdevernarrten Marc zu bewundern: die „Große Landschaft I” von 1910, das „Springende Pferd” von 1912 und der „Eselsfries” von 1911, dessen Vorlage ein ähnlich aufgebautes Bild aus einem altägyptischen Grab war. Natürlich ist auch Malerkollege August Macke mit einem bekannten Werk vertreten, nämlich der „Großen Promenade” von 1914. Dann begann der Krieg, Mark und Macke fielen auf den Schlachtfeldern.

Für das Franz-Marc-Museum sind die Werke seines Namensgebers nicht mehr als ein Teil der Sammlung, der hin und wieder auch gegenüber anderen Themen zurücktreten muss, wir hatten gerade noch das Glück, die genannten Werke noch hängen zu sehen, bevor sie für etliche Monate im Depot verschwinden werden.

Auf dem Weg zum Aussichtsfenster, einem „Dreiflügelaltar vor der Natur”, passieren wir ein gigantisches Werk des zeitgenössischen Malers Anselm Kiefer, das eher an eine Kletterwand als an ein Gemälde erinnert, so dick und knubbelig sind die Farben aufgetragen. Es soll schon vorgekommen sein, dass Kinder sich ein Stück davon abbrachen und in die Tasche steckten.

Bis zur Führung im Walchenseemuseum, der nächsten Station unserer Kulturreise, ist noch etwas Zeit, die wir in einem Café am Ufer des Walchensee verbringen.

Und dann steht er vor uns: Friedhelm Oriwol, knapp 90 Jahre alt und ebenso rüstig wie gesprächig: er kam als Flüchtlingskind 1945 von Königsberg nach München, absolvierte eine Maurerlehre, studierte dann auf eigene Kosten Ingenieurwissenschaften und brachte es schließlich zu Wohlstand, der ihm das Sammeln von Werken des ebenfalls aus Königsberg stammenden Malers Lovis Corinth ermöglichte. Corinth verbrachte seine letzten Lebensjahre hier im Ort Urfeld, sein Wohnhaus existiert noch.

Wie fast jedes Privatmuseum ist auch in diesem hier bis in die kleinsten Ecken mit Sammelgut bestückt, das sich den Gästen nur im Rahmen einer Führung erschließt, denn Schildchen unter den Exponaten sind Mangelware. Aber das macht nichts, denn die Führung lebt von der Begeisterung des Sammlers für die ausgestellten Werke.

Da ist zum Beispiel die Serie der Buchstaben des Alphabets, garniert mit Zeichnungen biblischer Szenen. Da sind Teile des Storyboards, die Corinth für den berühmten, 1920 von Ernst Lubitsch gedrehten Stummfilm „Anna Boleyn” angefertigt hat. Da sind diverse Gebrauchsgrafiken für alle möglichen Anlässe wie etwa die Einladung des weinseligen Jubelgreises zu seinem 60. Geburtstag.  Da sind aber auch die Gemälde der expressionistischen Malerin Charlotte von Maltzahn, die zu Lebzeiten nie damit an die Öffentlichkeit treten durfte, und derer sich die Oriwol-Stiftung vor ein paar Jahren angenommen hat.

Die Sammlung ist so vielseitig, dass man Stunden bräuchte, um sich alles erklären zu lassen. Und auch die Aussicht vom Balkon hinaus auf den Walchensee sucht ihresgleichen. Man darf gespannt sein, wie sich das Museum weiter entwickeln wird, denn trotz seiner 89 Lenze hat sich der Museumsgründer, den einer seiner Bewunderer lebensgroß in Öl gemalt hat, noch viel vorgenommen.

Die Rückfahrt zum Hotel führt heute über den Klosterort Benediktbeuern, der dem breiten Publikum als Fundort der „Carmina Burana” (lateinisch für Beurer Lieder oder Lieder aus Benediktbeuern) aus dem im 11. und 12. Jahrhundert bekannt ist. Der Komponist Carl Orff ließ sich davon zu einem Chorwerk inspirieren, das zu den bekanntesten Werkender klassischen Musik zählt – und bei der Einfahrt in den Ort natürlich über die Soundanlage des Reisebusses eingespielt wird.

Das Kloster und die Klosterkirche sind eindrucksvoll, aber nicht mehr als andere barocke Klöster auch. Und die historische Fraunhofer-Glashütte hat leider geschlossen, wie man aber leider erst erfährt, wenn man den 15-minütigen Fußmarsch hinter sich hat.

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Zu Gast bei Frau Münter

Die Kühe in der Umgebung von Murnau sind keineswegs gelb, und auch die Pferde weder rot noch blau. Was mag in den Bauersleuten vorgegangen sein, als sich um 1910 herum ein paar Maler  mit rheinischem oder Berliner oder gar russischem Akzent hier niederließen, in wilder Ehe lebten, mit Jankern und Wadlstrümpfen bekleidet durchs Moor stapften und wertloses Geschmiere auf ihre Leinwände klecksten? Gabriele Münter klagte später, dass sie ihre Bilder noch nicht einmal gegen Lebensmittel einzutauschen vermochte – heute ist jedes von ihnen Millionen wert.

Vom Garten des Münterhauses und erst recht durch die Fenster im oberen Stockwerk genießt man eine herrliche Aussicht auf den Ort, die Kirche und die Burg. Hier lebte Gabriele Münter fünf Jahre lang mit Wassily Kandinsky zusammen und später, nach ihrer Exilzeit, noch viele Jahrzehnte mit ihrem neuen Lebensgefährten Johannes Eichner.

Was tut ein Künstlerehepaar mit seinen Möbeln? Es bemalt sie: mal der eine, mal der andere, mal mit Blauer-Reiter-Pferden, mal mit Blümchen. Sogar entlang des Treppengeländers reiten ein paar blaue und sonstwiefarbige Reiter hinauf. Die Räume sind klein, es ist ja ein Wohnhaus und kein Kunstmuseum. Im Schlafzimmer steht kein Bett mehr und im Musikzimmer kein Klavier, sehr wohl aber gibt es die Eckbank, die als Gemälde heute im Lenbachhaus hängt. Und es gibt den Blick aus den Fenstern an der Gartenseite. Ein Blick, der von beiden Bewohnern im Bild festgehalten wurde, mal eher gegenständlich, mal eher abstrakt und mal fotografisch. Die zugehörige Kamera, ein für heutige Verhältnisse relativ klobiges Gerät, steht am Treppenaufgang.

Das Haus steht am Hang, deshalb liegt der Garten- und heutige Haupteingang eine Etage tiefer. Früh am Morgen hängt noch der Tau in den Dahlien, Krötenlilien und Sonnenblumen des Rondells: ein Erlebnis der besonderen Art, denn normalerweise ist hier nur nachmittags geöffnet. Drüben in der Gartenlaube wurde beim Kaffee die Idee für den berühmten Almanach „Blauer Reiter” geboren. Und im Gartenzimmer, dem heutigen Garderobenraum, lagerten gut versteckt all die expressionistischen Werke, die die Nazis gerne beschlagnahmt, als „entartet” gebrandmarkt und außer Landes verkauft hätten. Der Inhalt dieses „Millionenzimmers” bereichert heute die Sammlung des Münchner Lenbachhauses.

Vom Münterhaus führt uns der Weg durch eine Lindenallee und an einem großen Kruzifix vorbei wieder hinüber in den Ort, wo wir uns nach einer kleinen Mittagspause dem anderen, wesentlich größeren Museum des Ortes zuwenden. Vorher suchen wir aber noch, direkt hinter der Mariahilfkirche, die Grüngasse auf, von der es ein Kandinsky-Gemälde gibt. Die markanten Wohnhäuser sind längst durch Neubauten ersetzt, und die Rückwand der kleinen Kapelle ist nicht mehr blau. Aber war sie das jemals? Wir wissen ja, dass der Maler durch seine Farbwahl die inneren Werte der Dinge sichtbar machen wollte.

Das Schloß ist ein wuchtiger Bau mit vielen Abteilungen auf vielen Etagen. Coronabedingt muss die Gruppe, wie schon gestern im Lenbachhaus, dreigeteilt werden. Und um die Verwirrung komplett zu machen, wechseln zwischen den Fachabteilungen auch noch die Führer. Da biegt man, wenn man sich bei den Gemälden etwas verzettelt hat, auch schon einmal im Treppenhaus in die falsche Etage ab. Ganz am Ende trifft man sich aber bei den Schließfächern wieder, nur: die gesuchten Nummern gibt es hier nicht. Und der Ausgang nebenan ist alarmgesichert. Hilfe, wir haben uns verlaufen! Eine freundliche Aufsichtsperson erklärt uns den Weg nach draußen, der zweite Schliesfachraum ist schnell gefunden, aber wo sind jetzt die beiden anderen Reisegruppendrittel? Die werden doch nicht etwa schon zum Friedhof weitergelaufen sein? Einige bleiben vor dem Schloß sitzen, die Liebste und ich suchen das Grab auf eigene Faust und finden es auch. Nur die Reisegruppe finden wir nicht. Und unten am Hotel wartet der Bus, der schon vor einer Viertelstunde in Richtung Murnauer Moos starten sollte.

Wir fühlen uns aber nur so lange als Nachzügler, bis wir vor dem Hotel einen einsamen Busfahrer antreffen, der sich wundert, wo denn wohl seine übrigen Fahrgäste abgeblieben sind? Aber da kommen sie auch schon, wir müssen einander knapp verfehlt haben.

Der Weg ins Moor führt zunächst entlang einer schmalen Fahrstraße, dann wird der Bus abgestellt, und wir gehen zu Fuß an zwei jener charakteristischen Strohhaufen vorbei, die wir in bunt aus den Gemälden der Blauen Reiter kennen, und suchen zunächst das kleine Kirchlein „Ahndl” auf, das als das älteste weit und breit gilt. Von dort geht es ein Stück ins Moor hinein, der Weg mit tausenden von Herbstzeitlosen gesäumt, dann über einen Bach und an einer kleinen Kuhherde vorbei wieder zurück zum Ähndl und zum Bus. Übrigens: die Kühe waren allesamt braun, Herr Kandinsky!

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Vincent van Gogh und andere

Ein Expressionist war Vincent van Gogh nicht. Eher schon ein Exzentriker. Auf jeden Fall aber war er der Protagonist eines neuen Malstils, auf den sich die späteren Expressionisten beriefen. Und deshalb paßt ein Besuch der Multimediashow „van Gogh alive” in der Münchner Utopia sehr gut an den Anfang einer Reise, die an die Schauplätze des Expressionismus im „Blauen Land” zwischen Staffelsee und Kochelsee führen soll und führen wird.

Das Utopia liegt etwa zwischen Amtsgericht, Gewerbeaufsichtsamt und Barbarakirche. Vom Hauptbahnhof kommend, fährt man mit der Tram 20 oder 21 zur Lothstraße und geht dann noch etwa 700 Meter zu Fuß – zuerst um den markanten Ziegelbau der Fakultät für Design herum und dann die Heßstraße ein Stück weit stadtauswärts, um nach einigen hundert Metern schließlich nach rechts einzubiegen. Der Eingang befindet sich an der Ostseite des Saalbaus. Alternativ kann man auch erst noch ein Stück weit der Dachauer Straße folgen und dann in die Freddie-Mercury-Straße einbiegen, aber dann stolpert man etwas mühselig über die Gleise und Weichen des ehemaligen Straßenbahndepots.

Seine Tickets hat man sich natürlich vorab gesichert, und so steht man im Foyer zunächst einigen Zitaten van Goghs gegenüber: „Ich weiß nichts mit Sicherheit, aber die Sterne zu sehen läßt mich träumen” oder „Um gute Arbeit zu leisten, muss man gut essen, gut untergebracht sein, von Zeit zu Zeit eine Affäre haben, eine Pfeife rauchen und seinen Kaffee in Ruhe trinken können.” Das Zimmer, das er in Arles bewohnte, ist in Originalgröße inszeniert. Und wer sich die Zeit nehmen will, findet an einem Dutzend Wandtafeln seine wichtigsten Werke beschrieben. Werke, die allesamt in der „lebendigen Symphonie aus Licht, kräftigen Farben und Klang” zum Einsatz kommen, wie der Produzent Grande Experiences seine Multimediashow ankündigt.

Und er hat nicht zu viel versprochen: der Raum ist erfüllt mit Projektionen, die von über 30 Beamern auf ebenso viele raumhohe Leinwände geworfen werden, begleitet von geschickt ausgesuchter Musik aus dem klassischen Genre, die Bildwechsel präzise auf den Punkt gesetzt, die Motive in immer neuen Ausschnitten farblich passend kombiniert und so eine Stimmung erzeugend, als befände man sich mitten im Bild, als rieselten im leichten Abendwind die Blütenblätter aus dem blühenden Mandelbaum von Saint-Remy – jenem Baum, den van Gogh zur Feier des Tages malte, an dem er die Nachricht von der Geburt seines Neffen erhielt. Oder rieseln sie etwa wirklich? Und bewegt sich nicht auch das Wasser der Rhône,in der sich der Nachthimmel spiegelt? Ja, das eine oder andere Bild ist tatsächlich animiert, ganz dezent und unaufdringlich zwar, aber eben so, wie man es auch selbst empfunden hätte, wäre man zusammen mit dem Maler vor Ort gewesen. In der Ferne fährt ein Eisenbahnzug vorüber, verschwindet hinter Bäumen, so dass man nur noch die Rauchfahne der Lokomotive sieht, kommt wieder zum Vorschein. Gemächlich, kaum wahrnehmbar, drehen sich auch die Flügel der Windmühle. Da, ein Schuß! Verschreckt fliegen aus einem Kornfeld schwarze Krähen auf.

Nach etwa einer Stunde ist man durch, aber wer will schon gehen, wenn er oder sie auch einfach einen anderen Standort wählen oder vom Stuhl auf ein Sitzkissen wechseln kann, um alles aus der seitlichen oder rückwärtigen Perspektive noch einmal neu zu erleben? Noch einmal die Schwertlilien sehen, die Sterne, die Sonnenblumen oder das berühmte Selbstbildnis mit bandagiertem Ohr?

Vincent van Gogh, der zu Lebzeiten nur wenige seiner Bilder verkaufen konnte, starb 1890 im Alter von nur 37 Jahren an einem Pistolenschuß, den er sich selbst zugefügt hatte.

Nun wird es aber Zeit, sich mit der Reisegruppe zu treffen, die uns zu den Expressionisten und ihren Malorten bringen wird. Erste Station der fünftägigen Rundreise ist das Lenbachhaus in München, genauer gesagt die „Städtische Galerie im Lenbachhaus” mit ihren Dauer- und Sonderausstellungen.

Gabriele Münter
Kandinsky beim Landschaftsmalen
1903, Öl auf Leinwandkarton

Man kann eigentlich kaum unterscheiden, ob man sich in einer dauerhaften oder in einer temporären Ausstellung befindet, so fließend sind hier die Übergänge. Es geht um das Malen unter freiem Himmel, um die Malerin Gabriele Münter und um die Künstlervereinigung des Blauen Reiter, der hier unter dem Titel „Gruppendynamik” eine ganze Etage gewidmet ist. Geführt wird in drei Gruppen, da in Coronazeiten nur eine Gruppenstärke von 10 Personen erlaubt ist.

Ohr und Hals haben hier wieder so einiges auszuhalten: um die Ohrmuschel schlingen sich Brillenbügel, Coronamaske und der Bügel des Ohrstöpsels, der dann quer über die Brust mit dem Empfänger verdrahtet ist, dessen Trageschlaufe wiederum den Hals verziert. Setzt man eines der Teile ab, gehorchen die anderen dem Herdentrieb, und man ist erst einmal ein Weilchen mit Entwirren beschäftigt.

Der „Blaue Reiter” war ein Almanach, in welchem moderne Malerei, Volkskunst und Kunst aus der ganzen Welt gleichberechtigt nebeneinander stehen und in dessen Textbeiträgen die Ziele einer neuen Kunst beschrieben werden sollten. In ihrem damals unveröffentlichten Vorwort beschrieben Kandinsky und Marc ein Verständnis von Kunst, das wegweisend sein sollte.

Von anderen Bewegungen des Expressionismus unterschied sich der Blaue Reiter durch seinen spirituellen Ansatz und die Eröffnung neuer formaler Möglichkeiten, die in die Abstraktion führen konnten. Die Texte von Franz Marc und Wassily Kandinsky zeugen von einem erstaunlichen Sendungsbewusstsein.

Für das Titelbild schuf Kandinsky mehrere Entwürfe. Die endgültige Fassung zeigt die Figur des Heiligen Georg, des christlichen Drachentäters, er symbolisiert den Sieg des Geistigen über das Materielle.

Geburtsort der Idee soll der Pavillion im Garten des Hauses von Gabriele Münter gewesen sein: unser nächstes Ziel.

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